Tocilizumab

Erster Interleukin-6-Rezeptorblocker zur Therapie der rheumatoiden Arthritis


Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Mit Tocilizumab wurde am 16. Januar 2009 von der europäischen Zulassungbehörde ein Biologikum mit einem neuen Wirkungsmechanismus zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA) zugelassen. Es ist seit dem 2. Februar 2009 als RoACTEMRA® im Handel verfügbar. Die neue Substanz wurde bei einer Pressekonferenz von Roche Pharma und Chugai Pharma Marketing Ltd. am 11. Februar 2009 in Köln vorgestellt.

Der monoklonale Antikörper Tocilizu- mab stellt als IL-6-Rezeptorblocker einen neuen Therapieansatz zur Behandlung der RA dar. Das Zytokin Interleukin 6 (IL-6) vermittelt seine zahlreichen Wirkungen im Organismus über membranständige und über lösliche IL-6-Rezeptoren. Tocilizumab bindet spezifisch an beide Rezeptorformen und hemmt so die Signalübertragung und damit die Wirkungen von IL-6.

Wie wirkt Interleukin-6?

Das Zytokin IL-6 ist ein relativ kleines Polypeptid und kann gut in Gewebe und Organe penetrieren. IL-6 schaltet das Immunsystem an und stimuliert T-Zellen, insbesondere TH17-Zellen zur Proliferation, die an Autoimmunkrankheiten beteiligt sind. In der Synovialmembran von Patienten mit RA induziert IL-6 die Bildung von Osteoklasten, die zur Knochendestruktion führen. Zusätzlich begünstigt es durch die Osteoklastenaktivierung die Entstehung einer Osteoporose. IL-6 kann außerdem zur Pannusbildung beitragen, indem es die Bildung von endothelialem Gefäßwachstumsfaktor (VEGF) stimuliert.

IL-6 ist der wichtigste Regulator der Synthese von Akute-Phase-Proteinen, einschließlich C-reaktivem Protein (CRP). In Hepatozyten stimuliert IL-6 die CRP-Bildung dosisabhängig. Ein hoher CRP-Wert ist nicht nur ein unabhängiger prädiktiver Faktor für die radiologische Langzeit-Progression der RA, sondern auch ein unabhängiger Prädiktor für das kardiovaskuläre Risiko. Bekannt ist, dass Patienten mit RA gleichzeitig häufig unter kardiovaskulären Erkrankungen leiden. Auch im Eisenstoffwechsel spielt IL-6 eine Rolle: erhöhte IL-6-Serumkonzentrationen korrelieren mit einer Anämie bei RA-Patienten. IL-6 löst eine Anämie der chronischen Entzündung durch eine Induktion der Hepcidin-Produktion in Hepatozyten aus.

Wie wirkt Tocilizumab?

Tocilizumab ist in Kombination mit Methotrexat (MTX) für die Behandlung erwachsener Patienten mit mäßiger bis schwerer aktiver RA zugelassen, die auf eine vorangegangene Behandlung mit einem oder mehreren krankheits-modifizierenden Antirheumatika (DMARDs) oder Tumornekrosefaktor-(TNF)-Inhibitoren unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Es kann bei diesen Patienten auch als Monotherapie verabreicht werden, wenn sie MTX nicht vertragen oder eine weitere Therapie mit MTX nicht sinnvoll erscheint. Der IL-6-Rezeptorantagonist wird alle vier Wochen in Form einer Infusion in einer Dosierung von 8mg/kg Körpergewicht verabreicht. Das Sicherheitsprofil von Tocilizumab ist vergleichbar mit dem anderer Biologika, die für die Behandlung der RA zugelassen sind. Eine sorgfältige Überwachung der Patienten mit regelmäßiger Überprüfung von Leberwerten und Blutbild wird empfohlen.

Umfangreiches klinisches Programm

Das umfangreiche Phase-III-Programm zur klinischen Prüfung von Tocilizumab umfasste fünf randomisierte, kontrollierte Studien, in die weltweit über 4200 Patienten eingeschlossen waren:

OPTION (Tocilizumab pivotal trial in methotrexate inadequate responders) [1]: Randomisierte doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie an 623 Patienten mit aktiver, mäßiger bis schwerer RA und unzureichendem Ansprechen auf MTX zum Vergleich von Tocilizumab + MTX versus Plazebo + MTX.

TOWARD (Tocilizumab in combination with traditional DMARD therapy) [2]: Randomisierte doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie an 1220 Patienten mit aktiver, mäßiger bis schwerer RA zum Vergleich von Tocilizumab + DMARD versus Plazebo + DMARD bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf DMARDs.

RADIATE (Research on Actemra determining efficacy after anti-TNF failure) [3]: Randomisierte doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie an 499 Patienten mit aktiver, mäßiger bis schwerer RA mit unzureichendem Ansprechen auf mindestens einen TNF-Antagonisten zum Vergleich von Tocilizumab + MTX versus Plazebo + MTX.

AMBITION (Actemra versus methotrexate double blind investigative trial in monotherapy) [4]: Randomisierte doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie an 673 Patienten mit aktiver, mäßiger bis schwerer RA zum Vergleich von Tocilizumab-Monotherapie versus MTX-Monotherapie.

LITHE (Tocilizumab safety and the prevention of structural joint damage trial) [4]: Randomisierte doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie an 1196 Patienten mit aktiver, mäßiger bis schwerer RA zum Vergleich von Tocilizumab + MTX versus Plazebo + MTX bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf MTX.

Primärer Endpunkt in allen fünf Studien war das ACR-20-Ansprechen nach 24 Wochen. In der LITHE-Studie wurde zusätzlich das radiologische Ansprechen untersucht. Sekundäre Endpunkte waren beispielsweise das ACR-50- sowie ACR-70-Ansprechen, die Zeit bis zum Ansprechen nach den ACR-Kriterien, die Lebensqualität (HAQ, FACIT-F, SF-36), Änderungen des DAS28 im Vergleich zum Ausgangswert, der Prozentsatz der Patienten in Remission nach DAS28 sowie Änderungen der CRP- und Hb-(Hämoglobin-)Werte im Vergleich zum Ausgangswert.

In allen Studien hatten in Woche 24 die Patienten, die mit 8mg/kg KG Tocilizumab + MTX (oder anderen DMARDs) behandelt wurden, statistisch signifikant bessere ACR-20-, -50- und -70-Ansprechraten im Vergleich mit MTX- oder Plazebo-behandelten Patienten. Bei den Patienten der Tocilizumab-Gruppen konnte das Ansprechen rasch, nämlich schon nach zwei Wochen, gesehen werden.

In drei Studien konnte übereinstimmend gezeigt werden, dass mit Tocilizumab selbst bei Patienten mit hoch aktiver Erkrankung und mit unzureichendem Ansprechen auf DMARDs noch in 19% der Fälle ein ACR-70- und in 37% der Fälle ein ACR-50-Ansprechen erreicht werden kann (Abb. 1). Die ACR-Ansprechraten waren völlig unabhängig von der Vorbehandlung. Auch wenn die Patienten auf drei oder mehr DMARDs nicht angesprochen hatten, konnte mit Tocilizumab noch bei fast 60% ein ACR-20-Ansprechen erzielt werden. Bisher vorliegende Langzeitdaten über mindestens 96 Monate zeigen, dass die Wirksamkeit des IL-6-Rezeptorblockers anhält.

Abb. 1. Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf DMARDs: ACR-Ansprechen mit Tocilizumab (TCZ) nach 24 Wochen in der OPTION-, LITHE- und TOWARD-Studie

Ziel ist die Remission

Ziel der Behandlung der rheumatoiden Arthritis ist es jedoch, die Patienten in Remission (DAS28 <2,6) zu bringen, dies ist in diesen drei Studien nach 24 Wochen bei jedem dritten Patienten gelungen, und bei rund 47% der Patienten konnte ein DAS28 ≤3,2 und damit eine erniedrigte Krankheitsaktivität erreicht werden.

In der LITHE-Studie wurde der Einfluss der Tocilizumab-Therapie auf die radiologische Progression nach einem Jahr untersucht. Diese war um 74% und damit deutlich geringer, wenn die Patienten mit dem IL-6-Rezeptorblocker plus MTX im Vergleich zu MTX allein behandelt wurden. Tocilizumab verhinderte signifikant die Entstehung von Erosionen und Knorpelschäden. Das ACR-Ansprechen sowie die Remissionsrate in dieser Studie hatten sich in Woche 52 im Vergleich zur Woche 24 weiter verbessert. In der Tocilizumab-Gruppe konnte in Woche 52 bei annähernd jedem zweiten Patienten (47%) eine Remission erzielt werden.

Wirkt auch in Monotherapie

In der AMBITION-Studie wurden Patienten mit mäßig schwerer bis schwerer rheumatoider Arthritis und mindestens drei Monate Erkrankungsdauer behandelt. Sie durften bisher nicht mit MTX behandelt worden sein oder MTX in den letzten sechs Monaten bekommen haben. 288 Patienten wurden mit Tocilizumab (8mg/kg), 284 Patienten mit MTX über 24 Monate behandelt. 40% der Patienten waren weniger als zwei Jahre krank, 70% hatten noch nie MTX erhalten. Tocilizumab besserte die ACR-Ansprechraten signifikant stärker als MTX: Schon nach zwei Wochen Behandlung konnte man bei einem Teil der Patienten sehen, dass Tocilizumab wirkte. Je früher die Therapie einsetzte, umso eher gelang es, die Patienten in Remission zu bringen. So erreichten 42% der Patienten mit einer Erkrankungsdauer unter zwei Jahren bei Behandlung mit Tocilizumab einen DAS <2,6. Auch die Leistungsfähigkeit der Patienten steigerte sich durch einen Rückgang der Fatigue signifikant.

Wann Tocilizumab, wann TNF-Blocker?

Derzeit gibt es noch keine Biomarker, mit deren Hilfe entschieden werden kann, welches die optimale Therapiestrategie für einen RA-Patienten ist. Für die Behandlung mit Tocilizumab kommen vor allem Patienten nach Versagen von DMARDs in Frage, deren Erkrankung rasch progredient verläuft oder die an Anämie, ausgeprägter Leistungseinschränkung oder Fieber als Begleitsymptom leiden.

Quellen

Prof. Dr. Gerd-Rüdiger Burmester, Berlin, Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner, Bad Nauheim, Priv.-Doz. Dr. Andrea Rubbert-Roth, Köln, Einführungs-Pressekonferenz „Intelligente Therapie der Rheumatoiden Arthritis. RoACTEMRA® – ein innovatives First-Line-Biologikum”, veranstaltet von Roche Pharma AG und Chugai Pharma Marketing Ltd, Köln, 11. Februar 2009.

1. Smolen JS, Beaulieu A, Rubbert-Roth A, et al. Effect of interleukin 6 receptor inhibition with tocilizumab in patients with rheumatoid arthritis (OPTION study): a doubleblind, placebo-controlled, randomised trial. Lancet 2008;371:987–97.

2. Genovese M, McKay J, Nasonov E, Mysler E, et al. IL-6 Receptor inhibition with tocilizumab reduces disease activity in patients with rheumatoid arthritis with inadequate response to a range of DMARDs: The TOWARD Study. Am Coll Rheumatol 2007:L15.

3. Emery P, Keystone E, Tony H, Cantagrel A. Tocilizumab significantly improves disease outcomes in patients with rheumatoid arthritis whose anti-TNF therapy failed: The RADIATE study. EULAR 2008:OP-0251.

4. Jones G, Gu JR, Lowenstein M, Calvo A, et al. Tocilizumab monotherapy is superior to methotrexate monotherapy in reducing disease activity in patients with rheumatoid arthritis: The AMBITION study. EULAR 2008:OP-0131.

5. Kremer JM, Fleischmann RM, Am Halland, Brzezicki J, et al. Tocilizumab inhibits structural joint damage in rheumatoid arthritis patients with an inadequate response to methotrexate: The LITHE Study. Am Coll Rheumatol 2008: (L14).

Arzneimitteltherapie 2009; 27(05)