Hemmung des RAA-Systems nach Myokardinfarkt?


Ein 68-jähriger Patient mit Zustand nach Myokardinfarkt weist folgende kardiovaskulären Risikofaktoren auf: arterielle Hypertonie, langjähriger Nicotinabusus, Hypercholesterolämie. Die linksventrikuläre Ejektionsfraktion ist eingeschränkt. Zur Besserung der kardiovaskulären Prognose des Patienten soll das Renin-Angiotensin-System gehemmt werden.
• Welche pharmakologischen Prinzipien sind zur Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems geeignet?
• Welche großen Vergleichsstudien liegen für den Einsatz von Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen vor?
• Welche Substanzgruppe ist nach aktueller Studienlage zu empfehlen?
• Welche Erkenntnisse erbrachte die ONTARGET-Studie?

Zurzeit stehen drei Substanzgruppen mit unterschiedlichen pharmakologischen Angriffspunkten zur Verfügung, um die Aktivität des Renin-Angiotensin-Systems zu reduzieren. Dabei handelt es sich zum einen um Inhibitoren des Angiotensin-Konversionsenzyms (ACE-Hemmer), die seit 1981 im klinischen Gebrauch sind, die Antagonisten der Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptoren (AT1-Rezeptorantagonisten; „Sartane“), die seit 1995 verfügbar sind, und um den direkten Renininhibitor Aliskiren, der seit 2007 in Deutschland zugelassen ist.

Bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten reduzieren ACE-Hemmer die kardiovaskuläre Morbidität und Letalität. Da ACE-Hemmer nicht die komplette Angiotensin-II-Produktion inhibieren, könnte die Therapie mit einem AT1-Rezeptorantagonisten effektiver sein. Andererseits fallen die Wirkungen der ACE-Hemmer, die nicht von Angiotensin II abhängen, weg, beispielsweise die Hemmung des Bradykinin-Abbaus. Um die unterschiedlichen Angriffspunkte und damit die verschiedenen Substanzgruppen bewerten zu können, sind insbesondere große, prospektive randomisierte Vergleichsstudien aussagefähig. Diese liegen derzeit für den Vergleich von ACE-Hemmern und AT1-Rezeptorantagonisten vor.

ELITE: Evaluation of losartan in the elderly

ONTARGET: Ongoing telmisartan alone and in combination with ramipril global endpoint trial

OPTIMAAL: Optimal therapy in myocardial infarction with the angiotensin II antagonist losartan

VALIANT: Valsartan in acute myocardial infarction trial

Studien ACE-Hemmer vs. AT1-Rezeptorantagonist

Captopril vs. Losartan

In zwei Studien wurde der AT1-Rezeptorantagonist Losartan (Lorzaar®) in einer täglichen Dosierung von 50 mg/Tag mit dem ACE-Hemmer Captopril (z.B. Lopirin®) in einer Dosierung von dreimal 50 mg/Tag bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder nach Myokardinfarkt verglichen. In der ELITE-II-Studie mit insgesamt 3152 Patienten, die eine Herzinsuffizienz aufwiesen, war bezüglich der prädefinierten Endpunkte zwischen den beiden Behandlungsgruppen kein statistisch signifikanter Unterschied erkennbar [1]. Allerdings waren verschiedene Ereignisraten in der Captopril-Gruppe, wie beispielsweise die Gesamtmortalität (11,7% vs. 10,4% pro Jahr), in der Tendenz günstiger ausgefallen.

In der OPTIMAAL-Studie an insgesamt 5477 Patienten mit durchgemachtem Myokardinfarkt war die Gesamtmortalität tendenziell (p=0,07), die kardiovaskuläre Mortalität in der ACE-Hemmer-Gruppe signifikant (p=0,032) niedriger [2]. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass in beiden Studien die Dosis des AT1-Rezeptorantagonisten im Vergleich zu 150 mg Captopril pro Tag niedrig gewählt wurde. Weiterhin wurde der AT1-Rezeptorantagonist deutlich besser vertragen als der ACE-Hemmer.

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Welche Strategie zur Hemmung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems ist am besten geeignet, die Prognose eines Patienten nach Myokardinfarkt zu verbessern

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Große Doppelblindstudien gibt es nur für den Vergleich von ACE-Hemmern und AT1-Rezeptorantagonisten. Sie zeigen allenfalls geringfügige Wirksamkeitsunterschiede bei allerdings teilweise besserer Verträglichkeit der AT1-Rezeptorantagonisten. Den Ergebnissen der aktuellen ONTARGET-Studie zufolge ist von der Kombination beider Wirkprinzipien keine verstärkte Wirksamkeit zu erwarten.

Captopril vs. Valsartan

In der VALIANT-Studie wurden 14703 Patienten mit durchgemachtem Myokardinfarkt entweder mit Captopril (3-mal 50 mg/Tag), dem AT1-Rezeptorantagonisten Valsartan (z.B. Diovan®; 2-mal 160 mg/Tag) oder der Kombination der beiden Substanzen (2-mal 80 mg Valsartan plus 3-mal 50 mg Captopril/Tag) behandelt [3]. Ein Unterschied der beiden Therapieschemata war in Bezug auf Mortalität und verschiedene Morbiditätsendpunkte nicht erkennbar. Allerdings war auch in dieser Studie die Verträglichkeit des AT1-Rezeptorantagonisten deutlich besser als die des ACE-Hemmers.

ONTARGET-Studie: Ramipril vs. Telmisartan

Eine weitere Studie zur Wertigkeit der AT1-Rezeptorantagonisten bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten verglichen mit ACE-Hemmern ist die ONTARGET-Studie (Ongoing telmisartan alone and in combination with ramipril global endpoint trial). Ziel der Studie war es, die Nichtunterlegenheit des AT1-Rezeptorantagonisten Telmisartan (z.B. Micardis®; 80 mg/Tag) im Vergleich zum ACE-Hemmer Ramipril (z.B. Delix®; 10 mg/Tag) zu zeigen und den möglichen Stellenwert einer Kombinationstherapie beider Präparate bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten zu untersuchen [4]. Es handelte sich um eine prospektive, doppelblinde, randomisierte, 3-armige (Telmisartan vs. Ramipril vs. Telmisartan plus Ramipril) Multicenterstudie an 733 Zentren in 40 Ländern mit einem durchschnittlichen Nachuntersuchungszeitraum von 56 Monaten. Nach der Run-in-Phase wurden 25620 Patienten randomisiert und wie folgt behandelt:

  • 8576 Patienten mit 5 mg Ramipril pro Tag
  • 8542 Patienten mit 80 mg Telmisartan pro Tag
  • 8502 Patienten mit einer Kombination aus 80 mg Telmisartan und 5 mg Ramipril pro Tag.

Nach zwei Wochen wurde die Ramipril-Dosis auf 10 mg/Tag erhöht. Eingeschlossen wurden Patienten mit kardialen, zerebrovaskulären oder peripheren vaskulären Erkrankungen oder Diabetes mellitus mit bestehenden Endorganschäden. Ausschlusskriterien waren symptomatische Hypotonie, Hyperkaliämie und erhöhte Creatinin-Serumkonzentration. Die kombinierten primären Endpunkte bestanden aus kardiovaskulär bedingtem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und Krankenhausaufnahme aufgrund einer Herzinsuffizienz. Sekundäre Endpunkte waren kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, neu aufgetretene Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Vorhofflimmern, Demenz, Nephropathie, Revaskularisationen sowie Tod, Angina pectoris, transitorisch ischämische Attacke, Linksherzhypertrophie, mikrovaskuläre Veränderungen und Malignome. Kardiovaskuläre Erkrankungen hatten 85% aller Studienteilnehmer, 27% waren Frauen, 69% hatten eine Hypertonie und 38% einen Diabetes mellitus. Ein Großteil der Patienten erhielt zusätzlich CSE-Hemmer („Statine“), Betablocker, Antikoagulanzien, Calciumantagonisten oder Diuretika.

Die Einnahme mindestens eines der Studienmedikamente beendeten 24% der Ramipril-, 21% der Telmisartan- und 30% der KombinationstherapiePatienten vorzeitig; von den Kombinationspatienten setzten 23% beide Präparate vorzeitig ab. Bei den Telmisartan-Patienten kam es, verglichen mit den Ramipril-Patienten, seltener zu Husten (1,1 vs. 4,2%) und Angioödemen, dafür häufiger zu Hypotonien (2,7 vs. 1,7%). Die Patienten mit der Kombinationstherapie wiesen verglichen mit den Ramipril-Patienten, häufiger Hypotonien, Synkopen und Nierenfunktionsstörungen auf.

Der primäre Endpunkt ereignete sich bei

  • 1412 der 8576 Ramipril-Patienten (16,5%),
  • 1423 der 8542 Telmisartan-Patienten (16,7%) und
  • 1386 der 8502 Kombinationstherapie-Patienten (16,3%; n.s.).

Der sekundäre Endpunkt – kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall – ereignete sich bei 1210 Ramipril-Patienten (14,1%), bei 1190 Telmisartan-Patienten (13,9%) und bei 1200 Patienten mit Kombinationstherapie (14,1%; n.s.).

Im Jahre 2000 hatte die HOPE-Studie [5] an einer ähnlichen Patientenpopulation unter der Gabe von 10 mg Ramipril/Tag eine deutliche Reduktion von Mortalität, Myokardinfarkt und Schlaganfall dokumentiert. Die Ergebnisse von ONTARGET zeigen, dass sich eine identische kardiovaskuläre Prävention, wie sie in HOPE für Ramipril (10 mg/Tag) dokumentiert wurde, auch mit dem AT1-Rezeptorantagonisten Telmisartan (80 mg/Tag) erreichen lässt. Auch in ONTARGET war die Verträglichkeit des AT1-Rezeptorantagonisten der des ACE-Hemmers deutlich überlegen, obwohl protokollbedingt Patienten mit ACE-Hemmer-Unverträglichkeit vorab ausgeschlossen waren. Allerdings traten hypotensive Symptome häufiger bei den mit Telmisartan behandelten Patienten auf (2,6% vs. 1,7%; p<0,001) [4].

Fazit

Zusammengefasst ist die Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos sinnvoll. Aus der bisherigen Studienlage ist abzuleiten, dass bei Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko (wie im vorliegenden Fall) ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorantagonisten gleich effektiv sind. Dabei weisen aber die AT1-Rezeptorantagonisten bezüglich Husten und Angioödemen eine bessere Verträglichkeit auf.

Literatur

1. Pitt B, Poole-Wilson PA, Segal R, et al. Effect of losartan compared with captopril a mortality in patients with symptomatic heart failure: randomised trial – The Losartan Heart Failure Survival Study ELITE II. Lancet 2000;355:1582–7.

2. Dickstein K, Kjekshus J; OPTIMAAL Steering Committee of the OPTIMAAL Study Group. Effect of losartan and captopril a mortality and morbidity in high-risk patients alter acute myocardial infarction: the OPTIMAAL randomised trial. Lancet 2002;360:752–60.

3. Pfeffer MA, McMurray JJV, Velazquez EJ, et al. for the Valsartan in Acute Myocardial Infarction Trial Investigators. Valsartan, captopril or both in myocardial infarction complicated by heart failure, left ventricular dysfunction or both. N Engl J Med 2003;349:1893–1906.

4. Yusuf S, Teo KK, Pogue J, et al. for the ONTARGET Investigators. Telmisartan, ramipril or both in patients at high risk for vascular events. N Engl J Med 2008;358:1547–59.

5. The Heart Outcomes Prevention Evaluation Study Investigators. Effects of an angiotensin-converting-enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in high-risk patients. N Engl J Med 2000;342:145–53.


Prof. Dr. med. Gerd Luippold, Medizinische Fakultät, Universität Tübingen, E-Mail: gerd.luippold@uni-tuebingen.de

Arzneimitteltherapie 2009; 27(05)