Könnte Exenatid für die Symptomatik einer akuten Pankreatitis bei dem Patienten verantwortlich sein?
Über welchen Wirkungsmechanismus senkt Exenatid den Blutzucker?
Welche unerwünschten Wirkungen sind für Exenatid bekannt?
Worüber sollte ein Patient bei Therapiebeginn mit Exenatid bezüglich einer Pankreatitis informiert werden?
Exenatid ist ein ursprünglich bei der Krustenechse (Gila monster) entdecktes und inzwischen synthetisch hergestelltes Inkretinmimetikum. Es ist zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen zugelassen, falls mit einer anderen oralen antidiabetischen Therapie keine angemessene Blutzuckereinstellung möglich ist. In dem vorliegenden Fall ergaben sich keine Hinweise für eine alkoholtoxische oder biliäre Genese der akuten Pankreatitis. Da aber ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der Anwendung von Exenatid und den Bauchschmerzen bestand, wurde der Verdacht auf eine unerwünschte Arzneimittelwirkung geäußert. Das Arzneimittel wurde abgesetzt und der Patient intensivmedizinisch betreut. Die Beschwerden besserten sich rasch und der Patient konnte nach 12 Tagen beschwerdefrei das Krankenhaus verlassen.
Zu Beginn des Jahres 2006 wurde erstmals ein Fallbericht über eine durch Exenatid induzierte Pankreatitis publiziert [1]. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat im Oktober 2007 nach Begutachtung von 30 Berichten über akute Pankreatitiden unter Behandlung mit Exenatid einen entsprechenden Warnhinweis herausgegeben. Bei 27 Patienten bestanden gleichzeitig weitere Risikofaktoren für eine Pankreatitis, wie Gallensteine, schwere Hypertriglyzeridämie oder Alkoholkonsum. 21 Patienten mussten stationär aufgenommen werden, und bei fünf Patienten traten Komplikationen wie Flüssigkeitsverlust und Nierenversagen, Ileusverdacht, Phlegmone oder Aszites auf [2]. In Deutschland (Stand: Dezember 2007) wurden 26 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Exenatid erfasst. Es wurden insgesamt fünf Fälle von Pankreatitis gemeldet. In den klinischen Studien mit Exenatid konnten bis Januar 2008 zehn Pankreatitisfälle in den Verum-Gruppen gezählt werden. Dies entspricht einer Inzidenzrate von 1,8/1000 Patientenjahre.
Exenatid besitzt große Ähnlichkeit mit dem humanen Glucagon-like-Peptide 1 (GLP-1) und wirkt als Agonist am humanen GLP-1-Rezeptor [3]. Es steigert in Abhängigkeit von der Glucosekonzentration im Blut durch Aktivierung von GLP-1-Rezeptoren die Insulinsynthese und -sekretion. Gleichzeitig unterdrückt Exenatid die Glukagonsekretion und führt somit zu einer verminderten Glucoseabgabe aus der Leber. GLP-1 und Exenatid haben keine insulinsekretionssteigernde Wirkung bei erniedrigten Blutzuckerwerten. Aus diesem Grund führt Exenatid selbst nicht zu Hypoglykämien. Es verlangsamt die Magenentleerung und reduziert dadurch die Geschwindigkeit, mit der die mit der Nahrung aufgenommene Glucose in die Blutbahn gelangt. Exenatid kann das Körpergewicht senken.
Die Anwendung von Exenatid erfolgt mit einer Injektionshilfe (Pen) zweimal täglich subkutan vor den Mahlzeiten. Zwei Stunden nach Applikation erreicht Exenatid die mediane Spitzenplasmakonzentration, die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich durch glomeruläre Filtration, die mittlere terminale Halbwertszeit beträgt 2,4 Stunden.
In klinischen Studien senkt die Zusatztherapie mit Exenatid den HbA1c-Wert bei oral behandelten Diabetikern um durchschnittlich 0,5 bis 1,5 Prozentpunkte, also ähnlich stark wie die Zusatztherapie mit Insulin [4, 5]. In drei Plazebo-kontrollierten Studien wurden bei 38% der Patienten niedrige Titer von Antikörpern gegen Exenatid nachgewiesen, bei 6% hohe Titer. Die Hälfte der Patienten mit hohen Titern zeigte trotz Exenatid keine offensichtliche Verbesserung der glykämischen Stoffwechselkontrolle.
Die Therapie mit Exenatid ist mit verschiedenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen verbunden. Sehr häufig tritt eine Hypoglykämie bei gleichzeitiger Behandlung mit Sulfonylharnstoffen auf. Außerdem ist die Inzidenz von Übelkeit (50% vs. 27% bei Plazebo) und Erbrechen (19% vs. 13% bei Plazebo) erhöht und schränkt die Anwendung von Exenatid ein. Eine Diarrhö kann durch langsame Dosistitrierung verhindert werden. Häufig klagen die Patienten über verminderten Appetit, Kopfschmerzen, Schwindel, abdominale Beschwerden, Dyspepsie, gastroösophagealen Reflux, Blähungen, Schwitzen, innere Unruhe und Schwäche. Spontanberichte zu Nierenversagen, malignen Tumoren und koronaren Komplikationen sind bekannt.
Wegen der verlangsamten Magenentleerung und des möglichen Erbrechens sollten oral anzuwendende Arzneimittel, deren Wirkung eine schnelle gastrointestinale Resorption oder eine Mindestkonzentration (Kontrazeptiva, Antibiotika) erfordern oder die eine geringe therapeutische Breite haben, mindestens eine Stunde vor der Injektion von Exenatid eingenommen werden. Kontraindiziert ist Exenatid bei diabetischer Gastroparese, bei Diabetes mellitus Typ 1 und bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2. Es darf auch nicht in der Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden.
Patienten sollten vor Beginn einer Behandlung mit Exenatid darauf hingewiesen werden, bei akuten Bauchschmerzen eventuell in Kombination mit Übelkeit/Erbrechen sofort einen Arzt aufzusuchen. Bei Verdacht auf eine Pankreatitis muss Exenatid abgesetzt und die Therapie auf ein anderes Antidiabetikum umgestellt werden. In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass Verdachtsfälle von unerwünschten Arzneimittelwirkungen entsprechend der ärztlichen Berufsordnung an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gemeldet werden müssen. Das Formblatt für die AkdÄ befindet sich auf der vorletzten Umschlagseite des Deutschen Ärzteblatts oder im Internet (www.akdae.de). Eine Meldung kann auch an das BfArM (www.bfarm.de) oder den Hersteller des Arzneimittels gerichtet werden. Es bleibt abzuwarten, ob das neue, länger wirkende und deshalb nur einmal täglich anzuwendende GLP-1-Mimetikum Liraglutid (Victoza®), das in Kürze zugelassen werden soll, auch Pankreatitiden verursachen kann. Die Dipeptidylpeptidase-IV-Inhibitoren Sitagliptin und Vildagliptin, die durch verzögerten Abbau das GLP-1 erhöhen, weisen kein erhöhtes Risiko einer Pankreatitis auf.
Literatur
1. Denker PS, Dimarco PE. Exenatide(exendin-4)-induced pancreatitis: a case report. Diabetes Care 2006;29:471.
2. FDA: Information for Healthcare Professionals: Exenatide (marketed as Byetta): www.fda.gov/cder/drug/infopage/Exenatide/default.htm.
3. Inzucchi SE, McGuire DK. New drugs for the treatment of diabetes. Part II: Incretin-based therapy and beyond. Circulation 2008;117:574–84.
4. Heine RJ, Van Gaal LF, Johns D, et al. Exenatide versus insulin glargine in patients with suboptimally controlled type 2 diabetes: a randomized trial. Ann Intern Med 2005;143: 559–69.
5. Nauck MA, Duran S, Kim D, et al. A comparison of twice-daily exenatide and biphasic insulin aspart in patients with type 2 diabetes who were suboptimally controlled with sulfonylurea and metformin: a noninferiority study. Diabetologia 2007;50:259–67.
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Wie hoch ist das Risiko einer akuten Pankreatitis durch Exenatid? Welche Nebenwirkungen sind außerdem zu beachten? |
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In klinischen Studien trat eine akute Pankreatitis mit einer Inzidenzrate von 1,8/1000 Patientenjahre auf. Sehr häufige Nebenwirkungen von Exenatid sind Übelkeit und Erbrechen. Die gastrointestinalen Nebenwirkungen müssen bei der gleichzeitigen Therapie mit resorptionskritischen Arzneistoffen berücksichtigt werden. |
Prof. Dr. med. Gerd Luippold, Medizinische Fakultät, Universität Tübingen, E-Mail: gerd.luippold@uni-tuebingen.de
Arzneimitteltherapie 2009; 27(07)