Multiple Sklerose

Alemtuzumab versus Interferon beta-1a in frühen Stadien der multiplen Sklerose


Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Essen

In einer randomisierten, doppelblinden Phase-II-Studie verhinderte Alemtuzumab, ein monoklonaler Antikörper, der an CD52 auf Lymphozyten und Monozyten bindet, bei schubförmig remittierender multipler Sklerose neue Schübe besser als Interferon beta-1a. Eine schwerwiegende Nebenwirkung war das Auftreten einer immunthrombozytopenischen Purpura.

Die multiple Sklerose (MS) verläuft in ihren Anfangsstadien typischerweise in Schüben mit vollständiger oder partieller Remission. Derzeit zur Therapie der schubförmig remittierenden MS zugelassene Basistherapeutika sind Beta-Interferone (z. B. Avonex®, Rebif®) und Glatirameracetat (Copaxone®). Für die Behandlung therapierefraktärer Patienten steht Natalizumab (Tysabri®) zur Verfügung.

Alemtuzumab (MabCampath®) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an CD52 auf Lymphozyten und Monozyten bindet und diese dadurch als Objekte zur Vernichtung durch das körpereigene Abwehrsystem markiert (→ Komplement-vermittelte Lyse mit nachfolgendem Zelltod). Es ist in Deutschland bisher zur Behandlung von Patienten mit chronisch-lymphatischer B-Zell-Leukämie zugelassen, bei denen eine Fludarabin-Kombinationstherapie nicht indiziert ist. Die Anwendung von Alemtuzumab bei multipler Sklerose wird derzeit in mehreren Studien untersucht.

Studiendesign

In einer randomisierten, einfach verblindeten, multizentrischen Phase-II-Studie wurde Alemtuzumab mit Inter- feron beta-1a verglichen. Eingeschlossen wurden zwischen Dezember 2002 und Juli 2004 334 bis dahin unbehandelte Patienten mit seit ≤3 Jahren bekannter schubförmig remittierender MS. Interferon beta-1a wurde in einer Dosis von 44 µg dreimal wöchentlich subkutan injiziert (n=111). Alemtuzumab wurde zu Studienbeginn über 5 Tage in einer Dosierung von 12 oder 24 mg/Tag und nach 12 und 24 Monaten erneut an 3 aufeinanderfolgenden Tagen verabreicht (n=223). Zusätzlich erhielten alle Patienten 1 g Methylprednisolon für 3 Tage bei Studienbeginn sowie nach 12 und 24 Monaten.

Nachdem bei drei Patienten eine immunthrombozytopenische Purpura aufgetreten war, an der einer der Patienten verstarb, wurde der Alemtuzumab-Arm im September 2005 gestoppt. Die Interferon-Behandlung wurde über 36 Monate fortgeführt.

Primäre Studienendpunkte waren die Schubrate und die Zeit bis zum Auftreten oder Fortschreiten einer andauernden Behinderung, gemessen mit dem Expanded Disability Status Score (EDSS) zur Beurteilung der Schwere neurologischer Ausfälle bei MS-Patienten. Das Auftreten beziehungsweise Fortschreiten einer Behinderung war definiert als ein Anstieg des Scores um mindestens 1,5 Punkte bei Patienten, bei denen der EDSS zu Studienbeginn 0 betrug, oder um mindestens einen Punkt bei Patienten mit einem Baseline-EDSS-Wert von ≥1,0.

Sekundäre Studienendpunkte waren die Anzahl der Patienten, die keinen Schub hatten, Veränderungen der MS-Läsionen (festgestellt mittels T2-gewichteter MRT) und das Gehirnvolumen (ermittelt durch T1-gewichtete MRT).

Ergebnisse

Bei keinem der untersuchten Aspekte konnten statistisch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Dosierungen von Alemtuzumab festgestellt werden. Nachfolgend sind die gepoolten Ergebnisse der beiden Alemtuzumab-Gruppen angegeben:

Die jährliche Schubrate konnte unter Alemtuzumab im Vergleich zur Interferon-Behandlung von 0,36 auf 0,1 reduziert werden (Hazard-Ratio [HR] 0,26; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,16–0,41; p<0,001). 80% der mit Alemtuzumab therapierten Studienteilnehmer und 52% der mit Interferon beta-1a behandelten Patienten hatten nach 36 Monaten noch keinen erneuten Schub (p<0,001).

Das Risiko einer bleibenden Behinderung war nach 6 Monaten unter Alemtuzumab deutlich niedriger als unter Interferon beta-1a (9,0% vs. 26,2%; HR 0,29; 95%-KI 0,16–0,54; p<0,001). Während sich der EDSS-Wert in den Alemtuzumab-Gruppen in 36 Monaten im Mittel um 0,39 Punkte verbesserte, verschlechterte er sich unter Interferon beta-1a um 0,38 Punkte (p<0,001).

Unter Alemtuzumab nahm das Volumen der MS-Läsionen innerhalb von 36 Monaten stärker ab als unter Interferon (p=0,005). Die Hirnmasse nahm zwischen den Monaten 12 und 24 in den Alemtuzumab-Gruppen um 0,9% zu und unter Interferon um 0,2% ab (p=0,02).

Die Schilddrüse betreffende Nebenwirkungen (Hyper-/Hyopthyreose, Thyreoiditis) traten bei 23% der mit Alemtuzumab und 3% der mit Interferon behandelten Patienten auf. Auch Infektionen waren unter Alemtuzumab häufiger als unter Interferon beta-1a (66% vs. 45%). Während in der Interferon-Gruppe ein Patient (0,9%) eine immunthrombozytopenische Purpura entwickelte, waren es unter Alemtuzumab sechs (2,8%).

Kommentar

Alemtuzumab ist eine hoch aktive Substanz, die – wie diese Studie zeigt – bei der Behandlung der multiplen Sklerose wirksam ist.

Autoimmunvermittelte Thyreoiditiden traten im Rahmen dieser Studie deutlich häufiger auf als bei anderen Indikationen, was auf eine genetische Prädisposition von MS-Patienten schließen lässt.

Insgesamt war die Beobachtungszeit der Studie zu kurz und die Patientenzahl zu klein, um schwerwiegende bakterielle Infektionen, Pilzinfektionen oder virale Infektionen auszuschließen. Dasselbe gilt für das sehr wahrscheinlich erhöhte Risiko, eine progressive multifokale Leukenzephalopathie zu entwickeln.

Aufgrund der positiven Ergebnisse zur Wirksamkeit bei MS wird die Weiterentwicklung von Alemtuzumab trotz der teils schwerwiegenden Nebenwirkungen weiterhin verfolgt. Aufgrund der Fälle von immunthrombozytopenischer Purpura wurden zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen wie engmaschige Blutbildkontrollen und Patientenaufklärung über mögliche Anzeichen und Symptome implementiert. Derzeit läuft die CARE- MS-I-Studie (Comparison of alemtuzumab and Rebif efficacy in multiple sclerosis) mit Patienten mit nicht vorbehandelter MS. Für die CARE-MS-II-Studie werden Patienten rekrutiert, die unter ihrer bisherigen Therapie weitere Schübe entwickelt hatten.

Ob es gerechtfertigt ist, junge, noch wenig durch die Erkrankung beeinträchtigte Patienten einem solchen Nebenwirkungsrisiko auszusetzen, lässt sich anhand der derzeitigen Datenlage noch nicht beurteilen.

Quelle

CAMMS223 Trial Investigators, Coles AJ, Compston DA, Selmaj KW, Lake SL, et al. Alemtuzumab vs. Interferon Beta-1a in early multiple sclerosis. N Engl J Med 2008;359:1786–801.

Arzneimitteltherapie 2009; 27(09)