Andrea Warpakowski, Itzstedt
Ziel der Hormontherapie beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom ist die Ausschaltung der Androgene. Bis in die 1980er Jahren war die bilaterale Orchiektomie, also die chirurgische Entfernung beider Hoden, der Therapiestandard bei Patienten mit fortgeschrittenem und metastasiertem Prostatakarzinom. Nach einer Orchiektomie kommt es zu einer raschen Absenkung der zirkulierenden Androgene um 90%.
Seit Einführung der GnRH-Agonisten ist die „medikamentöse Kastration“ Mittel der Wahl. Diese ist im Gegensatz zur chirurgischen Kastration zwar reversibel, aber mit den GnRH-Agonisten erreichen 13 bis 46% der Patienten nicht den nach der Orchiektomie üblichen Testosteronwert von <0,2 ng/ml [Beispiel bei Morote et al.]. Und es kommt aufgrund des Wirkungsprinzips der Agonisten bei etwa 11% der Patienten initial zu einer gesteigerten Testosteronproduktion („surge“), die durch die gleichzeitige Gabe eines Antiandrogens über ein bis drei Wochen verhindert werden kann. Auch bei der Aufrechterhaltung der Testosteronkontrolle sind GnRH-Agonisten der Orchiektomie nicht äquivalent: Kurzfristige Erhöhungen des Testosterons („micro-surges“) und sogenannte Testosteron-Ausreißer kommen unter medikamentöser Kastration vor; deren klinische Bedeutung ist bisher nicht untersucht [Tombal et al.].
Mit dem GnRH-Antagonisten Degarelix (Firmagon®) steht eine neue Therapieoption zur Verfügung, die in ihrer Wirkung der Orchiektomie ähnelt. Die Substanz blockiert kompetitiv die GnRH-Rezeptoren in der Hypophyse. Dadurch wird sofort die Freisetzung von luteinisierendem Hormon (LH) und Follikel-stimulierendem Hormon (FSH) unterdrückt und somit rasch die Testosteronfreisetzung aus dem Hoden gehemmt.
Die Zulassung des GnRH-Antagonisten beruht auf einer randomisierten offenen Phase-III-Studie, in der die Wirksamkeit einer monatlichen Injektion Degarelix (Tag 0: Initialdosis 240 mg [einmal 4 ml s. c.] und Tag 28 bis 364: Erhaltungsdosis 80 mg oder 160 mg einmal pro Monat [jeweils einmal 4 ml s. c.]) mit der Wirksamkeit des GnRH-Agonisten Leuprolid (7,5 mg i. m. einmal im Monat) verglichen wurde [Klotz et al.]. Insgesamt nahmen 610 Patienten mit einem hormonabhängigen Prostatakarzinom und einem Durchschnittsalter von 72 Jahren teil. Ein Drittel der Patienten hatte jeweils eine lokalisierte und eine lokal fortgeschrittene Erkrankung und bei 20% der Patienten wurden bereits Metastasen nachgewiesen.
Beim primären Endpunkt – Testosteronsuppression auf <0,5 ng/ml – war Degarelix Leuprolid nicht unterlegen (Tab. 1). Im Vergleich mit Leuprolid bewirkte Degarelix jedoch eine deutlich raschere Suppression des Serum-Testosteronwerts und des prostataspezifischen Antigens (PSA). Im Verlauf der 12 Monate blieb mit der neuen Substanz der erreichte niedrige Testosteronspiegel von median 0,08 ng/ml dauerhaft erhalten. Bis zum Tag 3 waren die Testosteronwerte bei 96,1% der Patienten in den beiden Degarelix-Gruppen auf Kastrationsniveau von 0,5 ng/ml und tiefer gesunken, in der Leuprolid-Gruppe war das bei keinem Patienten der Fall (Abb. 1). Bis zum Tag 14 sanken die Testosteronwerte bei allen Patienten mit Degarelix auf ≤0,5 ng/ml, aber nur bei 18,2% der Patienten mit Leuprolid. Nach 14 Tagen waren auch die PSA-Werte in der Degarelix-Gruppe stärker gesunken (im Median 64% vs. 18%).
Tab. 1. Testosteronsuppression auf < 0,5 ng/ml im Verlauf eines Jahres durch Degarelix im Vergleich mit Leuprolid
Kriterium für Nichtunterlegenheit |
Degarelix |
Degarelix |
Leuprolid |
|
Patienten, die auf die Therapie ansprachen [n] |
202 |
199 |
194 |
|
Ansprechrate [%] |
FDA: |
97,2% |
98,3% |
96,4% |
Unterschied zu Leuprolid |
EMEA: |
0,9% |
1,9% |
KI: Konfidenzintervall

Abb. 1. Änderung des Testosteronspiegels über 28 Tage [nach Klotz et al.]
Eine explorative Folgeanalyse der Zulassungsstudie ergab, dass ein PSA-Rezidiv hauptsächlich bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium auftrat. Bei Patienten mit metastasierender Erkrankung oder einem PSA-Wert von <20 ng/ml zu Studienbeginn war die Zeitspanne bis zum PSA-Versagen unter Degarelix 240/80 mg signifikant länger als unter Leuprolid. Die Dauer des PSA-progressionsfreien Überlebens, das heißt die Zeit bis zum PSA-Versagen oder Tod, war in der Gesamtpopulation unter Degarelix 240/80 mg signifikant länger (p=0,0495).
In den Degarelix-Gruppen traten Reaktionen an der Einstichstelle und Schüttelfrost häufiger auf, möglicherweise krankheitsbedingte Nebenwirkungen wie Harnwegsinfektionen und muskuloskelettale Ereignisse (Gelenkschmerzen) dagegen seltener als unter Leuprolid.
Quellen
Prof. Dr. med. Kurt Miller, Berlin, Dr. Christoph Rüssel, Borken, Prof. Dr. med. Johannes Maria Wolff, Viersen, Pressekonferenz „Neue Ära in der Behandlung des hormonabhängigen Prostatakarzinoms. Der Kreis schließt sich: erster weltweit eingeführter GnRH-Rezeptor-Blocker“, Hamburg, 14. Mai 2009, veranstaltet von Ferring Arzneimittel.
Morote J, et al. Failure to maintain a suppressed level of serum testosterone during long-acting depot luteinizing hormone-releasing hormone agonist therapy in patients with advanced prostate cancer. Urol Int 2006;77:135–8.
Tombal B, et al. How good do current LHRH agonists control testosterone? Can this be improved with Eligard? Eur Urol Suppl 2005;4:30–6.
Klotz L, et al. The efficacy and safety of degarelix: a 12-month, comparative, randomized open-label, parallel-group phase III study in patients with prostate cancer. BJU Int 2008;102:1531–8.
Arzneimitteltherapie 2009; 27(10)