Ovarialkarzinom

Versorgungsqualität in Deutschland und neue Daten zur Chemotherapie des platinsensiblen Rezidivs (ASCO 2009)


Dr. med. Mirjam Tessmer, Stuttgart

Der Anteil der leitliniengerecht behandelten Patientinnen mit Ovarialkarzinom hat in den letzten Jahren insgesamt zugenommen, es sind aber noch weitere Verbesserungen erforderlich. Beispielsweise erhalten zu wenige Patientinnen mit einem Rezidiv eine Chemotherapie nach dem geltenden Standard. Mit der Kombination aus Carboplatin und pegyliertem liposomalem Doxorubicin (PLD, CAELYX®) gibt es für das platinsensible Rezidiv neben Carboplatin plus Paclitaxel bzw. Gemcitabin nun eine weitere Therapieoption. In der CALYPSO-Studie konnte für diese Kombination eine dem bisherigen Standard mindestens gleichwertige Effektivität bei insgesamt weniger toxizitätsbedingten Therapieabbrüchen und geringerem Alopezie- und Neuropathierisiko gezeigt werden. Diese Daten wurden im Juni 2009 in München im Rahmen einer Pressekonferenz der Kommission Ovar der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e.V. und eines Post-ASCO-Pressegesprächs, veranstaltet von der Firma Essex Pharma, vorgestellt.

In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 8000 Frauen an einem Ovarialkarzinom. Damit ist es die dritthäufigste maligne Erkrankung der Geschlechtsorgane und die fünfthäufigste Krebserkrankung der Frau. In Relation zur Zahl der Betroffenen ist das Ovarialkarzinom die führende Todesursache unter den gynäkologischen Tumoren. Da es weder charakteristische Frühsymptome noch ein Screening-Verfahren gibt, das eine Dia- gnose in frühen Stadien ermöglicht, werden etwa 75% der Fälle erst in den fortgeschrittenen Stadien III (Tumor in einem oder beiden Ovarien, intraperitoneale Metastasen außerhalb des kleinen Beckens und/oder retroperitoneale Lymphknotenmetastasen, Befall von Dünndarm oder Omentum majus) und IV (Fernmetastasen außerhalb der Bauchhöhle, z. B. intrahepatisch oder Einbruch in Blase oder Darm) diagnostiziert, in denen die Überlebensrate bei etwa 40% bzw. ≤30% liegt.

Für die Prognose des Ovarialkarzinoms entscheidend ist neben dem Erkrankungsstadium die Qualität von Operation und Chemotherapie. Bei etwa zwei Dritteln der Frauen entwickelt sich trotz erfolgreicher Primärtherapie (Operation und Chemotherapie, in der Regel mit einer Kombination aus Carboplatin und Paclitaxel) ein Rezidiv. Je nach Erfolg der Primärtherapie und der Zeitdauer bis zum Wiederauftreten des Karzinoms (> oder <6 Monate) stehen die in Tabelle 1 angegebenen Therapieoptionen zur Verfügung.

Tab. 1. Therapieoptionen bei rezidivierendem Ovarialkarzinom [1 (nach Pfisterer), 2]

Rezidiv innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung der Primärtherapie (=platinrefraktäres Rezidiv)

Rezidiv nach mehr als 6 Monaten nach Beendigung der Primärtherapie

(=platinsensibles Rezidiv)

Therapieziel

Erhaltung/Verbesserung der Lebensqualität; Symptomkontrolle

Verlängerung des progressionsfreien Überlebens/Gesamtüberlebens; Erhaltung/Verbesserung der Lebensqualität; Symptomkontrolle

Chemotherapie

Monotherapie mit

– Topotecan

– Gemcitabin oder

– pegyliertem liposomalem Doxorubicin

(Auswahl unter Berücksichtigung des Nebenwirkungsprofils; Effektivität ist vergleichbar, eine Kombinationstherapie bietet bisher keinen Vorteil)

Platinhaltige Kombinationstherapie (Auswahl unter Berücksichtigung des Nebenwirkungsprofils):

– Carboplatin + Paclitaxel

– Carboplatin + Gemcitabin

– Carboplatin + pegyliertes liposomales Doxorubicin

Bei Kontraindikationen gegen eine platinhaltige Therapie und rezidivfreiem Intervall von 6–12 Monaten pegyliertes liposomales Doxorubicin ggf. in Kombination mit Trabectedin

Operation

Mit dem Ziel der Tumorentfernung in der Regel nicht sinnvoll

Mit dem Ziel der Tumorentfernung im Einzelfall sinnvoll

Versorgungsqualität in Deutschland

Qualitätssicherung QS-Ovar

Aus verschiedenen Veröffentlichungen der letzten Jahre geht hervor, dass die Überlebensraten von Patientinnen mit Ovarialkarzinom in Deutschland im Vergleich zu verschiedenen anderen europäischen und nicht europäischen Ländern schlechter sind. Seit dem Jahr 2000 geht die Kommission Ovar der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) im Rahmen des Programms zur Qualitätssicherung „QS-Ovar“ den Ursachen nach und führt in Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften regelmäßig Umfragen und Analysen durch, deren Ergebnisse wiederum den Kliniken für das Qualitätsmanagement zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt wurden die Daten von mehr als 1200 Patientinnen analysiert, bei denen in den Jahren 2001 und 2004 die Diagnose Ovarialkarzinom gestellt worden war. Die Nachbeobachtungszeit betrug 35 beziehungsweise 52 Monate. Die Daten repräsentieren einen Querschnitt durch alle Klinikarten (Universität, Schwerpunktversorgung, Grund-/Regelversorgung).

Ergebnisse

Die Datenanalyse ergab, dass die Therapiequalität beim Ovarialkarzinom in Deutschland stark schwankt. Wird nach den bestehenden Leitlinien vorgegangen, leben nach 4 Jahren noch über 60% der Patientinnen, werden weder Operation noch Chemotherapie optimal durchgeführt, sind es nur etwa 25%. Der Anteil der nach Leitlinie behandelten Patientinnen hat in den letzten Jahren insgesamt zugenommen: Fortgeschrittene Tumoren (FIGO IIB–IV) werden häufiger vollständig reseziert und die Chemotherapie wird inzwischen häufiger leitliniengerecht durchgeführt. Die QS-Ovar 2001 hatte ergeben, dass im Vergleich zur QS-Ovar 2000 signifikant mehr Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom (FIGO IIB–IV) die Standard-Chemotherapie (Carboplatin plus Paclitaxel) verabreicht wurde (p=0,002), die QS-Ovar 2004 zeigte noch eine weitere Steigerung (p=0,095). Dennoch gibt es weiterhin Unterschiede in der Behandlungsqualität und es müssen noch weitere Verbesserungen erzielt werden. Die QS-Ovar 2004 ergab beispielsweise, dass weiterhin ein kleiner Anteil der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom eine First-Line-Chemotherapie ohne Platin (Standard der 70er Jahre) erhalten hatte. Außerdem wurden nur knapp 50% der Patientinnen, bei denen ein Rezidiv festgestellt worden war und die nicht in einem so schlechten Allgemeinzustand waren, dass sie innerhalb von 28 Tagen nach der Diagnose verstarben (n=347), mit einer Chemotherapie nach dem geltenden Standard behandelt. Die übrigen bekamen entweder eine weniger wirksame oder gar keine Chemotherapie.

Platinsensibles Rezidiv – Ergebnisse der CALYPSO-Studie

Häufige unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Kombinationstherapie Carboplatin plus Paclitaxel sind Neuropathien und Alopezie. Da die Neuropathien bis zum Auftreten eines Rezidivs teilweise noch nicht wieder vollständig abgeklungen sind und für viele Patientinnen eine erneute Alopezie sehr belastend ist, ist eine alternative Behandlungsoption des platinsensiblen Rezidivs (Auftreten >6 Monate nach Beendigung der Primärtherapie) wünschenswert.

Studiendesign

In der CALYPSO(CAELYX in platinum-sensitive ovarian cancer)-Studie, einer internationalen, offenen, randomisierten Phase-III-Studie, wurde mit der Zielsetzung „gleiche Wirksamkeit bei besserer Verträglichkeit“ die Kombination aus Carboplatin und pegyliertem liposomalem Doxorubicin (PLD, CAELYX®) mit der Standardkombination Carboplatin plus Paclitaxel verglichen. Eingeschlossen waren fast 1000 Patienten mit einem Spätrezidiv (>6 Monate) nach einer platinhaltigen First- oder Second-Line-Therapie mit vorausgegangener Taxan-Behandlung, die nach Länge des therapiefreien Intervalls (6–12 Monate bzw. >12 Monate), messbarer Krankheitsaktivität (ja/nein) und Behandlungszentrum stratifiziert wurden. Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert entweder alle 28 Tage PLD 30 mg/m2 über 1 h i. v. und Carboplatin AUC 5 über 0,5–1 h oder alle 21 Tage Paclitaxel 175 mg/m2 über 3 h i. v. und Carboplatin AUC 5 über 0,5–1 h. Beide Therapien wurden über 6 Zyklen verabreicht.

Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS); sekundäre Endpunkte waren Gesamtüberleben (OS), qualitative und quantitative Toxizitäten sowie Lebensqualität (gemessen anhand EORTC QLQ-C-30 Version 3.0 und OV-28 Fragebogen Version 1.0).

Ergebnisse

Unter der Kombination aus PLD und Carboplatin betrug das mediane progressionsfreie Überleben 11,3 Monate, unter Carboplatin plus Paclitaxel 9,4 Monate (Hazard-Ratio [HR] 0,82; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,72–0,94). Somit war PLD plus Carboplatin bezüglich des progressionsfreien Überlebens der derzeitigen Standardtherapie bei platinsensiblem Ovarialkarzinom-Rezidiv nicht unterlegen (p<0,001), sondern mit einer Reduktion des Rezidivrisikos um 18% sogar überlegen (Logrank p=0,005) (Abb. 1). Daten zum Gesamtüberleben liegen derzeit noch nicht vor.

Abb. 1. Progressionsfreies Überleben unter Carboplatin/PLD bzw. Paclitaxel [nach Wagner] PLD: pegyliertes liposomales Doxorubicin, PFS: progressionsfreies Überleben, HR: Hazard-Ratio, KI: Konfidenzintervall, CD: Carboplatin/PLD, CP: Carboplatin/Paclitaxel

Unter Carboplatin plus Paclitaxel traten häufiger Hypersensitivität, Arthralgien/Myalgien, Alopezie und Neuropathien auf, Übelkeit/Erbrechen, Hand-Fuß-Syndrom, Mukositis und Thrombozytopenien waren unter Carboplatin plus PLD häufiger (Tab. 2). Unter Carboplatin plus Paclitaxel gab es aufgrund von Toxizitäten mehr als doppelt so viele Therapieabbrüche wie unter Carboplatin plus PLD (15% vs. 6%, p<0,001).

Tab.2. Häufigkeiten unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) unter Carboplatin/Paclitaxel und Carboplatin/pegyliertes liposomales Doxorubicin (PLD) [nach Wagner]

Nicht hämatologische UAW

Carboplatin/PLD (n=466)

Carboplatin/Paclitaxel (n=501)

p-Wert

Hypersensitivität

Grad 2:

3%

Grad 2:

10%

<0,001

Grad 3/5:

2%

Grad 3/5:

9%

<0,001

Übelkeit/Erbrechen

Grad 2:

31%

Grad 2:

20%

<0,001

Grad 3/4:

4%

Grad 3/4:

4%

ns

Hand-Fuß-Syndrom

Grad 2:

11%

Grad 2:

2%

<0,001

Grad 3/4:

2%

Grad 3/4:

0%

ns

Mukositis

Grad 2:

13%

Grad 2:

6%

<0,001

Grad 3/4:

2%

Grad 3/4:

1%

ns

Arthralgien/Myalgien

Grad 2:

4%

Grad 2:

18%

<0,001

Grad 3/4:

0%

Grad 3/4:

1%

ns

Alopezie

Grad 2

7%

Grad 2

84%

<0,001

Neuropathie

Grad 2:

4%

Grad 2:

24%

<0,001

Grad 3/5:

1%

Grad 3/5:

4%

<0,001

Hämatologische UAW

Carboplatin/PLD (n=464)

Patienten [n (%)]

Carboplatin/Paclitaxel (n=500)
Patienten [n (%)]

p-Wert

Neutropenie

Grad 3:

Grad 4:

144 (31)

20 (4)

Grad 3:

Grad 4:

121 (24)

108 (22)

<0,01*

Thrombozytopenie

Grad 3–4

73 (16)

Grad 3–4

31 (6)

<0,01

*bezieht sich auf die Gesamtzahl der Neutropenien 3. und 4. Grades; ns: nicht signifikant Bezüglich folgender unerwünschter Ereignisse unterschieden sich die beiden Therapien nicht signifikant: Infektionen, Blutungen (Grad 3–4), Anämie (Grad 3–4), Obstipation, Diarrhö, kardiologische Erkrankungen

Zusammenfassung und Fazit

Die CALYPSO-Studie konnte für die Kombinationstherapie aus Carboplatin und pegyliertem liposomalem Doxorubicin eine dem bisherigen Standard mindestens gleichwertige Effektivität bei der Therapie des platinsensiblen rezidivierenden Ovarialkarzinoms zeigen. Mit einem im Vergleich zu Carboplatin plus Paclitaxel um zwei Monate verlängerten progressionsfreien Überleben und einem anderen Nebenwirkungsprofil mit insgesamt weniger toxizitätsbedingten Therapieabbrüchen sowie geringerem Alopezie- und Neuropathierisiko ergab sich ein gutes Nutzen/Risiko-Verhältnis. Carboplatin plus PLD wurde daraufhin als evidenzbasierte Therapieoption bei platinsensiblem rezidivierendem Ovarialkarzinom im Juni 2009 in die Therapieempfehlungen der Kommission Ovar der AGO aufgenommen (Tab. 1).

Durch die Ergänzung der beiden bisherigen Therapieoptionen (Carboplatin in Kombination mit Paclitaxel oder Gemcitabin) um eine dritte Möglichkeit erweitert sich das therapeutische Spektrum, die individuelle Situation der Patientin kann bei der Auswahl der Therapie besser berücksichtigt werden. Ein größeres Therapieintervall im Vergleich zu den bisherigen Möglichkeiten, die kurze Applikationsdauer und das geringe Alopezie- und Neuropathie-Risiko sind für viele Patientinnen sicherlich attraktiv.

Von entscheidender Bedeutung ist es jedoch, überhaupt nach Standard zu behandeln – in Anbetracht der Tatsache, dass nur knapp 50% der in der QS-Ovar 2004 erfassten Patientinnen mit einem Rezidiv eines Ovarialkarzinoms eine Chemotherapie nach dem geltenden Standard erhalten hatten, gibt es hier sicherlich noch ein großes Verbesserungspotenzial!

Quellen

1. Prof. Dr. med. Andreas du Bois, Wiesbaden, Prof. Dr. med. Jacobus Pfisterer, Solingen, Prof. Dr. med. Uwe Wagner, Marburg. Pressekonferenz der Kommission Ovar der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e.V. (Themen: „Das Ovarialkarzinom: Behandlungsstandards und Entwicklung des Aktionsprogramms zur Qualitätsverbesserung durch die AGO Kommission Ovar“ und „Wie gut wird in Deutschland behandelt? Versorgungsqualität beim Ovarialkarzinom – eine Erhebung von 2001 bis 2008“) und Post-ASCO-Pressegespräch „ASCO Highlight 2009 – Ergebnisse der CALYPSO (CAeLYx in Platinum-Sensitive Ovarian cancer)-Studie“, veranstaltet von der Essex Pharma GmbH, München, 18. Juni 2009.

2. http://www.ago-online.de/_download/unprotected/ovar_empfehlungen_maligner_tumoren_de_09.pdf (aktualisiert am 15.06.2009; Zugriff am 10.07.2009).

3. http://www.eierstock-krebs.de (Zugriff am 10.07.2009).

Arzneimitteltherapie 2009; 27(10)