Diagnostik und Therapie von Lungeninfiltraten bei febrilen neutropenischen Patienten


Zusammenfassung der neuen DGHO-Leitlinie

Die Arbeitsgemeinschaft Infektionen in der Hämatologie und Onkologie (AGIHO), eine Fachgruppe der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), hat eine neue Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Lungeninfiltraten bei febrilen neutropenischen Patienten erstellt. Die Leitlinie wurde im September 2009 im European Journal of Cancer publiziert und wird im vorliegenden Beitrag zusammengefasst.
Arzneimitteltherapie 2010;28:17–9.

Bei Patienten, die seit mehr als 10 Tagen neutropenisch sind und unter Breitspektrum-Antibiotikatherapie Fieber und pulmonale Infiltrate entwickeln, liegt am häufigsten eine Infektion mit Fadenpilzen (z. B. Aspergillus) vor, aber auch multiresistente gramnegative Stäbchen wie Pseudomonas aeruginosa oder Stenotrophomonas maltophilia können beteiligt sein.

Das nach der neuen DGHO-Leitlinie [1] empfohlene diagnostische und therapeutische Vorgehen bei febrilen neutropenischen Patienten mit Lungeninfiltraten – beispielsweise im Rahmen einer akuten Leukämie oder anderen aggressiven hämatologischen Krebserkrankungen sowie unter Hochdosis-Chemotherapie und autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation – wird in den nachfolgenden Abschnitten zusammengefasst. Patienten, die sich einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation unterziehen, werden von der Leitlinie nicht eingeschlossen – für diese Patientengruppe gibt es eine separate, derzeit in Überarbeitung befindliche Leitlinie.

Die in der Leitlinie verwendeten Evidenzkriterien sind in Tabelle 1 angegeben.

Tab. 1. Evidenzkategorien

Merkmal/Einteilung

Definition

Empfehlungsgrad

A

Gute Evidenz für die Durchführung der Maßnahme/Therapie

B

Mäßige Evidenz für die Durchführung der Maßnahme/Therapie

C

Wenig Evidenz für die Durchführung der Maßnahme/Therapie

D

Mäßige Evidenz gegen die Durchführung der Maßnahme/Therapie

E

Gute Evidenz gegen die Durchführung der Maßnahme/Therapie

Evidenzgrad

I

Evidenz aufgrund von mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie

II

Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten klinischen Studie ohne Randomisierung, aufgrund von Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien sowie Verlaufsbeobachtungen oder aufgrund von überzeugenden Ergebnissen nicht kontrollierter Studien

III

Evidenz aufgrund von klinischer Erfahrung anerkannter Persönlichkeiten, deskriptiven Studien oder Expertenmeinungen

Epidemiologie

Bei 15–28% der Patienten, die infolge einer hochdosierten Chemotherapie eine schwere Neutropenie entwickeln, treten Lungeninfiltrate auf. Der klinische Verlauf verschlechtert sich mit zunehmendem Patientenalter und ist bei Patienten, die eine Bakteriämie und Schocksymptome entwickeln, sowie bei verzögertem Beginn einer adäquaten antimikrobiellen Therapie besonders ungünstig.

Lungeninfiltrate treten in etwa zwei Dritteln der Fälle innerhalb von 5 Tagen nach Einsetzen des Fiebers in Erscheinung. Im Vergleich zu anderen Infektionen gehen Lungeninfiltrate bei neutropenischen Patienten mit einer erhöhten Mortalität einher und ihre Behandlung ist schwieriger und kostenintensiver. Bei weniger als 30% der mit einem Breitspektrum-Antibiotikum behandelten Patienten ist die Therapie erfolgreich. Wird die Therapie jedoch bei allen Patienten mit ausgeprägter Neutropenie und Fieber durch ein gegen Schimmelpilze wirksames Antimykotikum ergänzt, steigt die Ansprechrate auf bis zu 78%. Da der klinische Verlauf invasiver Aspergillosen bei Vorliegen einer Neutropenie sehr schlecht ist, sollte bei febrilen und prolongiert neutropenischen Patienten mit Lungeninfiltraten frühzeitig eine präemptive antimykotische Therapie begonnen werden, um so die Überlebenschancen zu verbessern.

Bei Patienten, bei denen Nucleosid-Analoga zur Therapie einer erneut aufgetretenen oder refraktären akuten Leukämie eingesetzt werden, sollte an Mikroorganismen gedacht werden, die typischerweise bei zellulärer Immunsuppression auftreten, wie Zytomegalie-Viren, Mykobakterien, Hefen oder auch Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, Aspergillus spp. und Pneumokokken. Den Atemtrakt befallende Viren wie Influenza A oder Respiratory-syncytial-Virus konnten hingegen bislang nur selten als Ursache von Lungeninfiltraten bei febrilen neutropenischen Patienten festgestellt werden und treten bei Immunsupprimierten nicht häufiger auf als bei immungesunden Personen.

Diagnostik

Ziel der Diagnostik ist es, Lungeninfiltrate möglichst frühzeitig zu erkennen und verlässliche mikrobiologische Untersuchungsbefunde zu erhalten, um entscheiden zu können, ob eine bereits begonnene antimikrobielle Therapie weitergeführt werden kann oder ein Wechsel erforderlich ist. Ein Algorithmus für das klinische Vorgehen bei febrilen neutropenischen Patienten mit pulmonalen Infiltraten ist in Abbildung 1 dargestellt [B-III].

Abb. 1. Algorithmus zum diagnostischen Vorgehen bei febrilen neutropenischen Patienten, bei denen Lungeninfiltrate vermutet werden oder bereits nachgewiesen wurden [B-III]
gestrichelte Linien: optionales Vorgehen

Bildgebung

Zur Erkennung von Lungeninfiltraten ist die Computertomographie (CT) sensitiver als der Röntgen-Thorax: Während im Thorax-Röntgenbild lediglich bei 10% der Patienten, die nicht auf eine Therapie mit einem Breitspektrum-Antibiotikum ansprechen, Lungeninfiltrate festgestellt werden können, sind es im Thorax-CT etwa 50%. Ist die Durchführung eines CTs nicht möglich, ist die Magnetresonanztomographie (MRT) eine geeignete Alternative [B-II]. Bei einem pathologischen Befund im Röntgen-Thorax sollte ein Thorax-CT zur Spezifizierung der Ursache der Lungeninfiltrate durchgeführt werden [B-II].

Verdichtungen, Luftsicheln oder Halo-Effekte im CT können Zeichen einer Fadenpilzinfektion sein. Bei invasiver pulmonaler Aspergillose kann es während der ersten Behandlungswoche trotz effektiver Therapie noch zu einer Größenzunahme der Infiltrate kommen; ein Rückgang der Luftsicheln oder Halo-Effekte kann Zeichen für ein Therapieansprechen sein.

Patienten mit Fieber unklarer Genese (FUO) oder bereits nachgewiesenen Infektionen außerhalb der Lunge, die nicht innerhalb von 72–96 Stunden auf eine antimikrobielle Therapie ansprechen, sollten wiederholt klinisch, mittels Bildgebung (CT) und mikrobiologisch untersucht werden [B-II].

Mikrobiologische Untersuchungen

Bei Patienten mit Lungeninfiltraten wird eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) empfohlen [B-III] (Abb. 1).

Mittels bronchoalveolärer Lavage können bei febrilen neutropenischen Patienten mit Lungeninfiltraten in Abhängigkeit vom Risikoprofil in 25 bis >50% der Fälle Mikroorganismen nachgewiesen werden. In 38–50% der Fälle hat das Ergebnis der BAL einen Therapiewechsel zur Folge.

Nicht auf kulturellem Nachweis basierende Untersuchungen

Bei Patienten mit einem hohen Risiko für eine invasive Pilzinfektion – beispielsweise bei mehr als 10 Tage andauernder schwerer Neutropenie infolge einer aggressiven myelosuppressiven Chemotherapie bei myelodysplastischem Syndrom oder akuter myeloischer Leukämie – wird eine wiederholte Untersuchung von Blutproben auf Aspergillus-Galactomannan (Zellwandbestandteil von Aspergillus), 1,3-beta-D-Glucan (Hauptbestandteil der Zellwand vieler Fadenpilze und Hefen) und/oder eine Pilz-PCR (Polymerasekettenreaktion; eher im Rahmen von Studien) empfohlen, wobei die Blutentnahmen mindestens zweimal wöchentlich stattfinden sollten [B-II].

Invasive diagnostische Maßnahmen

Bei Patienten, bei denen die Ursache ihrer Lungeninfiltrate trotz vorangegangener Diagnostik weiterhin unbekannt und ein histologischer Nachweis dringend erforderlich ist (z. B. bei Verdacht auf eine invasive Pilzinfektion oder nicht infektiöse Lungeninfiltrate), sollten invasive Untersuchungsmethoden wie Feinnadelbiopsien oder offene Lungenbiopsien angewendet werden [B-II] (Abb. 1).

Therapie

Präemptive antimikrobielle Therapie

Welche Arzneistoffe präemptiv, das heißt aufgrund von klinischer Symptomatik, Bildgebung und/oder Laborbefunden bei jedoch noch fehlendem Erregernachweis, eingesetzt werden, hängt von der Vorgeschichte des Patienten und dem damit verbundenen Risikoprofil ab.

Patienten mit akuter Leukämie oder anderen aggressiven hämatologischen Krebserkrankungen

Febrile und seit mehr als 10 Tagen neutropenische Patienten mit Lungeninfiltraten sollten initial mit einem gegen Pseudomonas wirksamen Beta-Lactam-Antibiotikum in Kombination mit Voriconazol (Vfend®; an Tag 1 6 mg/kg Körpergewicht alle 12 Stunden, an den Folgetagen 4 mg/kg KG alle 12 Stunden) oder liposomalem Amphotericin B (AmBisome®; 3 mg/kg KG täglich) behandelt werden [B-II]. Letzteres sollte bei Patienten mit hohem Risiko für eine pulmonale Zygomykose oder bei vorangegangener Therapie mit Voriconazol oder Posaconazol (Noxafil®) vorgezogen werden [B-III]. Die antimykotische Therapie sollte so lange fortgeführt werden, bis sich die hämatopoetischen Parameter wieder erholt haben und die klinischen und radiologischen Infektzeichen wieder abgeklungen sind.

Zur präemptiven Therapie mit Echinocandinen gibt es noch keine eindeutigen Ergebnisse.

Die zusätzliche Gabe von Aminoglykosiden oder Flucytosin führt zu keiner Verbesserung der Behandlungsergebnisse [E-1].

Die Gabe antiviraler Medikamente, Glykopeptide oder Makrolide ohne vorherigen Erregernachweis wird nicht empfohlen [D-II].

Patienten unter Hochdosis-Chemotherapie oder nach autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation (AHSZT)

Da Patienten nach AHSZT ein sehr niedriges Risiko für Pilz-Pneumonien haben, sollte eine präemptive antimykotische Therapie nur in Ausnahmefällen erfolgen [B-II].

Bei Patienten mit Lungeninfiltraten unbekannter Ursache nach CD34-selektionierter HSZT sollte eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage durchgeführt werden, um eine mögliche Zytomegalie-Virusinfektion festzustellen. Bei positivem Befund wird eine Therapie mit Ganciclovir (Cymeven®) 5 mg/kg KG alle 12 h empfohlen [B-III].

Therapie bei bekannten Erregern

Ergebnisse mikrobiologischer Untersuchungen bei neutropenischen Patienten müssen unter Berücksichtigung der Bedeutung der nachgewiesenen Mikroorganismen als Verursacher von Lungeninfiltraten bewertet werden – auch, wenn sie in Blutkulturen oder in mittels BAL gewonnenem Material nachgewiesen werden. Als relevante Befunde gelten:

  • Nachweis von Pneumocystis jiroveci, gramnegativen aeroben Bakterien, Pneumokokken, Mycobacterium tuberculosis, Aspergillus spp., Aspergillus-Galactomannan oder Zygomyzeten in BAL-Material oder Sputum sowie Nachweis von Zytomegalie-Viren (CMV) in der Schnellkultur oder Nachweis des „CMV-immediate-early-antigen“
  • Isolation von Pneumokokken, alpha-hämolysierenden Streptokokken oder gramnegativen aeroben Keimen aus der Blutkultur
  • Jeglicher Erregernachweis im Biopsat
  • Nachweis von Legionellen- oder Pneumokokken-Antigen im Urin
  • Nachweis von Aspergillus-Galactomannan im Blut

Solche Befunde sollten – insbesondere bei multiresistenten Bakterien – eine sofortige Anpassung der antimikrobiellen Therapie zur Folge haben, um einen durch einen verspäteten Beginn einer adäquaten Therapie bedingten fatalen klinischen Verlauf zu verhindern.

Therapie bei Pilz-Pneumonien

Bei invasiver pulmonaler Aspergillose sind Voriconazol oder liposomales Amphotericin B Mittel der Wahl. Bei Zygomykosen wird die Gabe von liposomalem Amphotericin B empfohlen. Die antimykotische Therapie sollte nach der Entlassung des Patienten weiter fortgesetzt werden [B-III]. Die Dauer der Weiterbehandlung muss individuell festgelegt werden.

Bei einer Verschlechterung des Befunds unter antimykotischer Therapie (z. B. Progression der Lungeninfiltrate, Verschlechterung des Gasaustauschs) sollte erst nach Ausschluss anderer Ursachen (z. B. Sekundärinfektion, Erholung des Immunsystems, zu kurze Behandlungsdauer) an ein Therapieversagen gedacht werden [B-II].

Detaillierte Empfehlungen können einer separaten Leitlinie entnommen werden [2].

Therapie bei Pneumocystis-jiroveci-Pneumonien

Mittel der Wahl bei nachgewiesener Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie ist Trimethoprim plus Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol, z. B. Eusaprim®, Kepinol® forte) in einer Dosierung von 15–20 mg Trimethoprim/kg KG und 75–100 mg Sulfamethoxazol/kg KG aufgeteilt in drei bis vier Einzeldosen pro Tag [A-II]. Bei Nichtansprechen nach mindestens 14 Tagen Therapie sollte eine Sekundärinfektion ausgeschlossen werden. Ergibt eine erneute Bronchoskopie eine persistierende Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie ohne Anhalt für eine weitere Infektion, liegt möglicherweise eine Mutation des Dihydropteroat-Synthase-Gens vor. Bei nachgewiesener Resistenz gegen Sulfamethoxazol oder bei Cotrimoxazol-Unverträglichkeit können Atovaquon (750 mg dreimal täglich p. o.; z. B. Wellvone® Suspension), Pentamidin (täglich 600 mg als Aerosol oder 4 mg/kg KG i. v.; z. B. Pentacarinat®) oder Clindamycin (600 mg dreimal täglich, z. B. Sobelin®) plus Primaquin (30 mg täglich) gegeben werden, wobei die Kombination aus Clindamycin und Primaquin am effektivsten zu sein scheint [C-III]. Die Therapiedauer sollte 2–3 Wochen betragen [B-II]. Eine Sekundärprophylaxe mit Cotrimoxazol in einer Dosierung von 160/800 mg p.o. an drei Tagen pro Woche oder mit Pentamidin 300 mg als Aerosol ist erforderlich [A-II].

Quellen

1. Maschmeyer G, Beinert T, Buchheidt D, Cornely OA, et al. Diagnosis and antimicrobial therapy of lung infiltrates in febrile neutropenic patients: Guidelines of the infectious diseases working party of the German Society of Haematology and Oncology. Eur J Cancer 2009;45:2462–72.

2. Böhme A, Ruhnke M, Buchheidt D, et al. Treatment of invasive fungal infections in cancer patients. Ann Hematol 2009;88:97–110.

Dr. med. Mirjam Tessmer, Redaktion Arzneimitteltherapie, Birkenwaldstr. 44, 70191 Stuttgart, E-Mail:mtessmer@wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de
Prof. Dr. Georg Maschmeyer, Klinik für Hämatologie und Onkologie, Klinikum Ernst von Bergmann, Charlottenstr. 72, 14467 Potsdam

Arzneimitteltherapie 2010; 28(01)