Schwere Spastik

Intrathekale Baclofen-Therapie bei Kindern


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Tanja Saußele, Stuttgart

Für Kinder mit einer schweren Spastik oder einer sekundären generalisierten Dystonie, bei denen eine physiotherapeutische oder orale medikamentöse Therapie nicht ausreicht, ist die intrathekale Baclofen-Therapie eine wirksame Behandlungsoption. Die subfasziale Implantation stellt dabei besonders für jüngere Kinder mit einem niedrigen Body-Mass-Index einen Vorteil dar. Die Wirksamkeit einer solchen Therapie bei Kindern mit einer nichtfokalen Spastik oder generalisierten Dystonie sowie die Vorteile einer subfaszialen Implantation wurden auf einem Pressegespräch der Firma Medtronic GmbH im Rahmen der 105. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin am 4. September 2009 in Mannheim vorgestellt.

Eine Zerebralparese ist die häufigste Ursache einer Spastik bei Kindern und entsteht in ungefähr 90% der Fälle vor oder während der Geburt.

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) stellt die Physiotherapie die Basis einer Spastik-Therapie dar (Abb. 1). Bei einer schweren Muskelspastik und besonders bei immobilen Patienten kommt dann eine orale Therapie mit Wirkstoffen wie Baclofen (z. B. Lioresal®) oder Tizanidin (Sirdalud®) hinzu; bei Unruhezuständen auch eine orale Therapie mit Benzodiazepinen. Bei einer fokalen Spastik wird Botulinumtoxin A (z. B. Botox®) eingesetzt. Bei schwerer, chronischer Spastizität, beispielsweise bei einer infantilen Zerebralparese oder hypoxischen Hirnschäden, die mit einer medikamentösen und krankengymnastischen Standardtherapie nicht befriedigend behandelt werden kann, ist eine intrathekale Baclofen-Therapie (ITB) indiziert (Abb. 1).

Abb. 1. Schema der Stufentherapie der Spastik in Abhängigkeit von der klinischen Ausprägung nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) [Diener HC, et al., Georg Thieme Verlag Stuttgart, 2000]

Der Nutzen einer solchen Therapie, die bereits seit 1985 für Erwachsene in Deutschland zugelassen ist, konnte durch Studien mit Patienten mit schwerer Tetraspastik ausreichend belegt werden. Durch die Reduktion der Spastik können die Pflege der Patienten erleichtert, die Schmerzen reduziert und auch Kontrakturen verhindert werden.

Wirksamkeit bei Spastik und Dystonie

Bei Patienten mit einer Zerebralparese überlappen die Symptome einer Spastik und Dystonie, bei der anhaltende Muskelkontraktionen zu Verdrehungen und abnormen Haltungen führen. So konnte in einer Studie am Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg eine intrathekale Baclofen-Therapie bei 15 Kindern mit einem durchschnittlichen Alter von 9,4 Jahren mit einer Spastik oder Dystonie miteinander verglichen werden. Kinder mit einer Dystonie waren im Durchschnitt leichter und jünger und benötigten eine höhere Baclofen-Dosis (1300 µg/24 h vs. 325 µg/24h). Das Ende der Katheterspitze lag bei Kindern mit einer Dystonie im unteren Halswirbelbereich (C7), da hier die oberen Extremitäten, die Nacken- sowie Schluckmuskulatur häufiger betroffen sind. Im Gegensatz dazu sind bei Kindern mit einer Spastik eher die unteren Extremitäten betroffen und das Ende der Katheterspitze lag im oberen Brustwirbelbereich (Th4). Der Tonus, bestimmt mit der modifizierten Ashworth-Skala (siehe Kasten), reduzierte sich um 1,5 Punkte bei den Patienten mit einer Dystonie und um 1,7 Punkte bei den Patienten mit einer Spastik.

Ashworth-Skala

Die Ashworth-Skala ist ein international anerkanntes Diagnoseinstrument zur Beurteilung der Spastizität auf Basis des feststellbaren Widerstands nach passiver Muskeldehnung durch den Arzt oder Therapeuten.

0 = Keine Zunahme des Muskeltonus

1 = Leichte Zunahme des Muskeltonus

2 = Mäßige Erhöhung des Muskeltonus

3 = Ausgeprägte Erhöhung des Muskeltonus, passive Bewegung ist schwierig

4 = Keine passive Beweglichkeit

Pumpe und Operationstechnik

Bei einer intrathekalen Baclofen-Therapie wird das Pumpensystem in der Regel in die Bauchdecke implantiert. Das Gerät ist mit einem intrathekalen Katheter verbunden, der subkutan in den Subarachnoidalraum verläuft. Der Pumpentank kann über ein Septum direkt durch die Bauchhaut mit 20 ml Baclofen-Lösung alle zwei bis drei Monate nachbefüllt werden.

Vor einer solchen Therapie erhalten die Patienten zunächst zur Überprüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit über einen intrathekalen Katheter oder eine Lumbalpunktion eine Bolusinjektion. Bei Kindern beträgt diese Testdosis in der Regel 25 µg Baclofen. Die Dosierung bei der Langzeitbehandlung ist individuell verschieden und variiert zwischen 12 und 2000 µg/d (meist 300–800 µg/d). Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Sedierung, Muskelschwäche und Bewusstseinsstörungen, wie sie häufig bei einer oralen Baclofen-Therapie auftreten, sind selten. Dafür kommen peri- oder postoperative Komplikationen häufiger vor. Dazu zählen beispielsweise eine Pumpentascheninfektion oder ein Pumpentaschendekubitus. Bei einem abrupten Pumpenstopp treten Entzugssymptome auf, daher ist eine weitere Baclofen-Therapie beispielsweise über einen intrathekalen Port notwendig. Solche Komplikationen können durch eine subfasziale Implantation, bei der die Pumpe direkt unter das Muskelgewebe eingesetzt wird, vermieden werden. Auch für Kleinkinder mit einem niedrigen Body-Mass-Index, für die eine subkutane Implantation nicht in Frage kommt, ist eine solche Operationstechnik geeignet. Bei dieser Operationstechnik kommt es durch die Raumforderung der Pumpe häufig zur Obstipation, die sich aber nach ungefähr einer Woche bessert.

Eine intrathekale Baclofen-Therapie bedeutet eine Bindung an spezielle Therapiezentren mit multidisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Kinderchirurgen, pädiatrischen Neurochirurgen, Neuropädiatern und entsprechenden Physiotherapeuten.

Fazit

Die intrathekale Baclofen-Therapie ist bei unzureichendem Ansprechen auf eine Standardtherapie – Physiotherapie und orale Antispastika – indiziert und seit 1985 für Erwachsene mit schwerer Spastik und seit 1995 für Kinder ab sechs Jahren zugelassen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen durch Baclofen können dadurch reduziert werden, da die Dosis durch die direkte intrathekale Applikation um das 100- bis 1000-Fache gesenkt werden kann.

Diese Therapie kann auch bei jüngeren Patienten mit schwerer nichtfokaler Spastik oder sekundärer generalisierter Dystonie erfolgreich eingesetzt werden; hier insbesondere durch eine subfasziale Implantation der Baclofen-Pumpe.

Quellen

Dr. Phillip Kinkel, Hamburg, Dr. Achim Nolte, Geesthacht. Pressegespräch „Neue Hoffnung für Kinder und Jugendliche mit schwerer Spastik: Rückenmarksnahe Baclofen-Anwendung per implantierter Pumpe bietet mehr Lebensqualität und bessere Pflegemöglichkeiten“, veranstaltet von Medtronic GmbH im Rahmen der 105. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Mannheim, 4. September 2009.

Diener HC, et al. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. Auflage: Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2000.

Fachinformation Lioresal® Intrathekal (Stand: Januar 2006).

Arzneimitteltherapie 2010; 28(01)