Andrea Warpakowski, Itzstedt
In der Behandlung nicht kurativ therapierbarer Prostatakarzinome ist die medikamentöse Androgenentzugstherapie Standard und GnRH-Agonisten sind die am häufigsten eingesetzten Medikamente. GnRH-Agonisten stimulieren die Hypophyse zur Freisetzung des luteinisierenden Hormons (LH), was kurzfristig zu einem Anstieg der Testosteronsynthese führt („Flare-up“). Im Verlauf der Behandlung kommt es zu einer Degeneration der hypophysären GnRH-Rezeptoren (Rezeptor-Down-Regulation) mit nachfolgender verminderter LH-Ausschüttung. Das initiale „Flare-up“ kann durch die zusätzliche Gabe eines Antiandrogens in den ersten zwei bis drei Wochen nach Therapiebeginn verhindert werden.
Das Anwendungsgebiet der GnRH-Agonisten reicht vom fortgeschrittenen oder metastasierten Prostatakarzinom über die Therapie eines systemischen Rezidivs nach kurativer Behandlung bis hin zur adjuvanten und neoadjuvanten Therapie bei Risikopatienten.
Bislang standen GnRH-Agonisten lediglich als 1-, 3-, 4- und 6-Monats-Depots zur sukutanen Injektion zur Verfügung. Seit Juli 2009 ist in Europa das Implantat Vantas® zugelassenen, ein 34,5×3,12 mm großes Röhrchen, das den GnRH-Agonisten Histrelinacetat enthält (Abb. 1). Der Wirkstoff ist in ein biokompatibles Polymer (Hydron®-Polymer) eingebettet, das in der Zusammensetzung dem Material weicher Kontaktlinsen ähnelt. Die Freisetzung erfolgt durch kontrollierte Diffusion: Porengröße und Oberfläche der Hydrogel-Matrix bestimmen die Diffusionsrate in Richtung des Konzentrationsgradienten; täglich diffundieren durchschnittlich 50 bis 60 μg Histrelinacetat. Das Implantat wird mit Hilfe eines mitgelieferten Applikators durch einen kleinen Schnitt subkutan an der Innenseite des Oberarms platziert. Nach 12 Monaten wird das Implantat entfernt und kann über dieselbe Inzisionsstelle durch ein neues Implantat ersetzt werden.
In den USA ist Histrelin in der Hydrogel-Implantatform bereits seit Ende 2004 auf dem Markt. Seither wurden etwa 50000 Patienten damit behandelt.

Abb. 1. Das Histrelin-Implantat ist etwa 3,5 cm lang und hat einen Durchmesser von etwa 3 mm (Foto Orion Pharma GmbH/Vantas®)
Studiendesign
Basis der Zulassung auch in Europa ist eine offene, multizentrische Studie über zwölf Monate, an der 138 Patienten ≥45 Jahre mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom (Stadium III oder IV), einem Serum-Testosteronspiegel ≥150 ng/dl und einer Lebenserwartung von mindestens einem Jahr teilnahmen. Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten, bei denen der Serum-Testosteronspiegel in Woche 4 bis 52 auf Kastrationsniveau (≤50 ng/dl) gesunken war. Zu den sekundären Endpunkten gehörten unter anderem die PSA-Werte.
Ergebnisse
Im Verlauf der zwölf Monate betrug der Histrelinspiegel im Mittel 0,3 ng/ml (Maximum 0,53 ng/ml, Minimum 0,13 ng/ml).
In einer engmaschig überwachten Subgruppe mit 17 Patienten wurde ein Anstieg des Serum-Testosteronspiegels von 376,4 ng/dl zu Studienbeginn auf 530,5 ng/dl an Tag 2 gemessen (initiales „Flare-up“). Nach zwei Wochen lag der Serum-Testosteronspiegel in der gesamten Gruppe wieder unter dem Baseline-Wert (p<0,001). Nach vier Wochen hatten alle 134 zu diesem Zeitpunkt auswertbaren Patienten das Kastrationsniveau (≤50 ng/dl) erreicht. Dieses Niveau blieb bei allen Patienten bis Woche 52 erhalten (Abb. 2a). Bei 88% der Patienten konnte in diesem Zeitraum ein Testosteronspiegel von <20 ng/dl gemessen werden. Am Ende der ersten 12 Monate lag die mittlere Testosteronkonzentration bei 14,3 ng/dl.
Der PSA-Wert verringerte sich innerhalb von zwei Wochen nach Studienbeginn deutlich und blieb über den gesamten Studienzeitraum supprimiert (Abb. 2b).

Abb. 2. Konstant niedrige Testosteron- und PSA-Spiegel im Verlauf von 12 Monaten. a) Nach einem geringfügigen initialen „Flare-up“ hatten nach zwei Wochen 30% der Patienten Kastrationsniveau erreicht. Nach vier Wochen war der Testosteronspiegel bei allen 134 ausgewerteten Patienten auf ≤50 ng/dl gesunken. Bei >99% der Patienten wurde das Niveau über den gesamten Studienzeitraum von 52 Wochen beibehalten. b) Die PSA-Werte waren ab Woche zwei deutlich gegenüber dem Ausgangswert reduziert.
Insgesamt 131 Patienten erhielten nach 12 Monaten ein zweites Implantat. Beim Implantatwechsel trat kein „Flare-up“ auf. Nach Herausnehmen des Implantats war innerhalb weniger Tage kein Histrelin mehr im Blut nachweisbar.
Als Nebenwirkungen traten bei 14% der Patienten Hämatome, Erytheme und Schwellungen an der Implantationsstelle auf, die sich innerhalb von 14 Tagen zurückbildeten. Erwartete Reaktionen auf den niedrigen Testosteronspiegel waren Hitzewallungen (bei 65% der Patienten), daneben traten Beeinträchtigungen der Libido und der Sexualfunktion sowie Verlust an Muskelmasse und Leistungsfähigkeit auf.
Ausblick
Geplant ist eine randomisierte, vergleichende, drei Jahre dauernde Studie mit 300 Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom, in der untersucht werden soll, ob sich das PSA-Rezidiv-freie Überleben unter Histrelin (12-Monats-Implantat) von dem unter dem GnRH-Agonisten Leuprorelin (6-Monats-Depots) unterscheidet. Die Hypothese der Studie lautet: „Aufgrund der gleichmäßigen Wirkstofffreisetzung und der dadurch konstant niedrigen Testosteronwerte kann die Zeit bis zur PSA-Progression verlängert sein“.
Quelle
Dr. Rolf Eichenhauer, Hamburg, Dr. Neal D. Shore, Myrtle Beach, SC/USA, Prof. Markus Graefen, Hamburg, Pressekonferenz „Vantas®-Implantat: Neue Therapieoption beim Prostatakarzinom. Kontinuierliche Wirkstofffreisetzung über 12 Monate“, veranstaltet von Orion Pharma, Hamburg, 2. Juli 2009.
Schlegel PN. Efficacy and safety of histrelin subdermal implant in patients with advanced prostate cancer. J Urol 2006;175:1353–8.
Crawford ED. A review of the use of histrelin acetate in the treatment of prostate cancer. BJUI 2009;14–22.
Arzneimitteltherapie 2010; 28(01)