Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen
Frakturen gehören – insbesondere bei älteren Menschen – zu den Hauptursachen für Immobilität und verursachen immense Kosten für das Gesundheitswesen.
Der Knochenumbau ist ein sehr komplexer Vorgang und beruht auf einem genau abgestimmten Zusammenspiel von Osteoklasten, Osteoblasten und Osteozyten. Die Osteoblasten sezernieren den sogenannten receptor activator of nuclear factor kappa b ligand (RANKL), ein Protein, das Signale von Osteoblasten zu Osteoklasten überträgt. RANKL bindet an seinen auf der Oberfläche von Präosteoklasten exprimierten Rezeptor RANK, der zur Tumornekrosefaktor-Rezeptor-Superfamilie gehört. Infolgedessen differenzieren sich die Präosteoklasten zu aktiven Osteoklasten, der Knochenabbau wird erhöht.
Neben RANKL bilden die Osteoblasten ein weiteres Protein, das Osteoprotegerin (OPG). Indem OPG an RANKL bindet, hindert es den Liganden daran, mit RANK in Wechselwirkung zu treten. OPG kontrolliert somit die Dauer und Stärke der von RANKL induzierten Osteoklastenfunktion. Erst die detaillierten Kenntnisse über diesen Signalweg ermöglichten die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze zur Prävention des Knochenabbaus. Besonders vielversprechend scheint dabei der humane IgG2-anti-RANKL-Antikörper Denosumab (Prolia®) zu sein, der im Dezember 2009 vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eine positive Bewertung erhalten hat.
Studienziele und -designs
In zwei großen, multizentrischen, doppelblinden, randomisierten Studien wurde die Wirkung von Denosumab auf das Frakturrisiko untersucht.
In die eine Studie wurden 1468 Männer mit nicht metastasierendem, Hormon-sensitivem Prostatakarzinom aufgenommen, die sich einer Antiandrogen-Therapie unterzogen. Eine solche Behandlung erhöht die Knochenresorption, reduziert die Knochendichte und erhöht das Frakturrisiko. Die Studienteilnehmer wurden randomisiert in zwei Studienarme aufgeteilt:
- Denosumab 60 mg subkutan alle sechs Monate (n=734)
- Plazebo subkutan alle sechs Monate (n=734)
Primärer Studienendpunkt war die prozentuale Veränderung der Knochendichte in der Lendenwirbelsäule nach 24 Monaten. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die prozentuale Veränderung der Knochendichte des Schenkelhalses sowie der Gesamtfemurregion („total hip“) nach 24 Monaten und an allen drei Stellen nach 36 Monaten. Außerdem wurden die Häufigkeit neuer Wirbelkörperfrakturen nach 36 Monaten sowie die prozentuale Veränderung der Knochendichte des gesamten Skeletts und des distalen Radiusdrittels untersucht.
An der Freedom-Studie (Fracture reduction evaluation of Denosumab in osteoporosis every 6 months) nahmen 7868 Frauen zwischen 60 und 90 Jahren teil, bei denen die Knochendichtebestimmung der Lendenwirbelsäule oder der Gesamtfemurregion einen T-Wert (siehe Kasten) kleiner als –2,5, aber nicht kleiner als –4,0 ergab. Die Patientinnen wurden randomisiert in zwei Studienarme aufgeteilt:
- Denosumab 60 mg subkutan alle sechs Monate (n=3933)
- Plazebo subkutan alle sechs Monate (n=3935)
Die Studienmedikationen wurden jeweils über 36 Monate verabreicht. Als primärer Studienendpunkt waren neu aufgetretene Wirbelkörperfrakturen definiert. Sekundäre Studienendpunkte umfassten nichtvertebrale und Hüftgelenksfrakturen.
Studienergebnisse
Nach 24 Monaten hatte bei den Patienten mit Prostatakarzinom und Antiandrogen-Therapie die Knochendichte der Lendenwirbelsäule unter Denosumab um 5,6% zugenommen, während in der Plazebo-Gruppe in dieser Zeit eine Knochendichteminderung um 1% zu verzeichnen war (p<0,001). Signifikante Unterschiede in der Knochendichte der Lendenwirbelsäule wurden zwischen den beiden Studienarmen bereits nach einem Monat beobachtet und hielten über 36 Monate an (p<0,001 zu allen Messzeitpunkten).
Eine Therapie mit Denosumab ging außerdem zu allen Messzeitpunkten mit einem signifikanten Anstieg der Knochendichte der Gesamtfemurregion, des Oberschenkelhalses, des unteren Radiusdrittels sowie des gesamten Skeletts im Vergleich zu Plazebo einher (p≤0,001). Bei den Patienten, die Denosumab erhielten, traten signifikant weniger neue Wirbelkörperfrakturen auf als im Plazebo-Arm (kumulative Inzidenz nach 36 Monaten: 1,5% vs. 3,9%; relatives Risiko 0,38; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,19–0,78; p=0,006).
Die Nebenwirkungsrate fiel in beiden Studiengruppen vergleichbar aus, insgesamt wurde die Studienmedikation gut vertragen.
In der Freedom-Studie trat innerhalb von 36 Monaten bei 2,3% der Osteoporose-Patientinnen, die mit Denosumab behandelt wurden, eine Wirbelkörperfraktur auf, in der Plazebo-Gruppe bei 7,2% (Hazard-Ratio [HR] 0,32; 95%-KI 0,26–0,41; p<0,001).
Hüftgelenksfrakturen wurden nach 36 Monaten bei 0,7% der Patientinnen der Denosumab-Gruppe und 1,2% der Patientinnen des Plazebo-Arms beobachtet (HR 0,60; 95%-KI 0,37–0,97; p=0,04). Bei den nichtvertebralen Frakturen standen 6,5% unter Denosumab 8,0% unter Plazebo gegenüber (HR 0,80; 95%-KI 0,67–0,95; p=0,01).
Signifikante Unterschiede in der Nebenwirkungsrate wurden nicht registriert. Unter Denosumab wurde kein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen, Infektionen, kardiovaskuläre Erkrankungen, eine verzögerte Frakturheilung oder das Auftreten von Hypokalzämie festgestellt. Osteonekrosen des Kiefers traten nicht auf. Lokale Reaktionen im Bereich der Injektionsstelle kamen unter Denosumab bei 0,8% und unter Plazebo bei 0,7% der Patientinnen vor.
Fazit
Beide Studien belegen die Wirksamkeit des humanen Antikörpers Denosumab bei der Prävention von Knochenbrüchen. Das Risiko für Wirbelkörperfrakturen konnte in einer ähnlichen Größenordnung gesenkt werden wie in anderen Untersuchungen mit Zoledronsäure (z.B. Zometa®) oder Toremifen (Fareston®). Das Risiko für Wirbelkörperfrakturen scheint unter Denosumab zudem geringer zu sein als unter oralen Osteoporose-Therapeutika. Vergleiche der Wirksamkeit sind allerdings nur begrenzt möglich, da es keine direkten Vergleichsstudien gibt.
Hinweise auf gravierende Nebenwirkungen von Denosumab gibt es bislang nicht; allerdings sollte weiterhin ein Augenmerk auf das Risiko für Krebserkrankungen und Infektionskrankheiten gelegt werden.
Da die Signalübertragung RANKL/RANK bei allen Krankheiten eine Rolle spielt, die mit einem Knochenabbau einhergehen, dürfte Denosumab auch für weitere Indikationen interessant sein, zum Beispiel für Osteoporose bei Männern, Glucocorticoid-induzierten Knochenabbau oder Knochenmetastasen.
Quellen
Smith MR, et al. Denosumab in men receiving androgen-deprivation therapy for prostate cancer. N Engl J Med 2009;361:745–55.
Cummings SR, et al. Denosumab for prevention of fracture in postmenopausal women with osteoporosis. N Engl J Med 2009;361:756–65.
Osteodensitometrie: T- und Z-Wert
Da die Knochendichtemessung durch verschiedene, nicht untereinander vergleichbare Methoden erfolgen kann, wird das Ergebnis häufig nicht als Absolutwert, sondern als sogenannter T-Wert, das heißt als Abweichung vom Normalwert in Vielfachen einer Standardabweichung, angegeben. Eine Osteoporose liegt bei einem T-Wert <–2,5 vor, also wenn das Messergebnis mehr als 2,5 Standardabweichungen unter dem Durchschnittswert von gesunden 30-jährigen Personen des gleichen Geschlechts (peak bone mass) liegt. Da mit gesunden 30-Jährigen verglichen wird, wird die Diagnose Osteoporose mit zunehmendem Lebensalter immer wahrscheinlicher. Um diesen Faktor bei der Interpretation des Ergebnisses miteinzubeziehen, wird häufig zusätzlich der Z-Wert angegeben, der sich auf gesunde Frauen bzw. Männer desselben Alters bezieht. Ein Z-Wert >–1 spricht für eine alterstypische Knochendichte.
Arzneimitteltherapie 2010; 28(03)