Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg
Die perkutane Koronarintervention (PCI) mit Stentimplantation hat sich als führende Methode zur Behandlung von Koronararterienerkrankungen etabliert. Hauptrisiko der PCI sind ischämische Komplikationen aufgrund eines Gefäßverschlusses. Zur Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse nach PCI setzte man zunächst auf eine reine Antikoagulanzien-Therapie – im Rahmen des Eingriffs zunächst Heparin, danach Warfarin (Coumadin®) oder Phenprocoumon (z.B. Marcumar®). Die Erkenntnis, dass zur Prävention akuter und subakuter PCI-induzierter Thrombosen eine Thrombozytenfunktionshemmung besser geeignet ist als eine Antikoagulation, führte zur „doppelten Antiplättchen-Behandlung“, einer einfach anzuwendenden Routinemaßnahme in der Prävention ischämischer Ereignisse nach PCI und Stentimplantation. Gegeben werden Acetylsalicylsäure (ASS) und ein Thienopyridin – früher Ticlopidin (z.B. Tiklyd®), heute meist Clopidogrel (z.B. Iscover®, Plavix®) – über einen Monat nach dem Eingriff. Bei Einsatz eines Arzneimittel-freisetzenden Stents wird eine Therapiedauer von 12 Monaten empfohlen.
Wichtigste und häufigste Nebenwirkung der Thromboseprävention ist die Hämorrhagie. Betroffen sind vor allem Ältere, Frauen, Niereninsuffiziente, Diabetiker oder Patienten, die nach Implantation eines Arzneimittel-freisetzenden Stents über mehrere Monate zwei Thrombozytenfunktionshemmer einnehmen. Neue Therapieansätze, die die Blutungskomplikationen weiter verringern und gleichzeitig ein gutes antiischämisches Potenzial aufweisen, könnten die Morbiditäts- und Mortalitätsraten nach PCI weiter verbessern. Im Blickpunkt der pharmakodynamischen Arzneimittelentwicklung steht dabei Thrombin, ein zentraler Regulator der Aktivierung, Aggregation und Koagulation der Plättchen, der seinen Effekt vor allem über den Proteinase-aktivierten Rezeptor 1 (PAR-1) der Blutplättchen vermittelt. Durch selektive Thrombinblockade wird die thrombinabhängige Plättchenaktivierung und damit ein wichtiger Mechanismus der Thrombosebildung gehemmt. ASS oder Thienopyridine beeinflussen die Thrombin-vermittelte thrombozytäre Aktivierung jedoch nicht. Ein neuer Antagonist am Thrombin-Rezeptor (PAR-1) ist SCH 530348. Dabei handelt es sich um ein synthetisches trizyklisches 3-Phenylpyridin-Analogon von Himbacin, das nach oraler Gabe rasch resorbiert wird und eine terminale Halbwertszeit von 126 bis 269 Stunden hat. Bei gesunden Probanden hemmte der selektive, kompetitive PAR-1-Antagonist in Einzeldosen zwischen 5 und 40 mg die Thrombin-induzierte Plättchenaggregation um mehr als 90% für länger als 72 Stunden, die Blutungszeit wurde nicht beeinflusst. In einer Phase-II-Studie sollten Sicherheit und Verträglichkeit von SCH 530348 bei Patienten mit elektiver PCI untersucht werden.
Studiendesign
Einbezogen in die internationale multizentrische Studie waren Patienten >45 Jahre mit einer Koronararterienerkrankung, bei denen eine PCI geplant war oder eine Koronarangiographie – falls erforderlich mit PCI – anstand. Mindestens eine Stunde vor dem Eingriff erhielten die Patienten randomisiert und doppelblind entweder SCH 530348 (n=773) in den Dosierungen 10 mg, 20 mg oder 40 mg oder Plazebo (n=257). Die Patienten, die initial SCH 530348 erhalten hatten und bei denen eine PCI durchgeführt wurde, nahmen anschließend über 60 Tage eine einmal tägliche Erhaltungsdosis von 0,5 mg, 1,0 mg oder 2,5 mg SCH 530348 ein, die Patienten der Plazebo-Gruppe nahmen für weitere zwei Monate Plazebo. Alle Patienten erhielten darüber hinaus die übliche Thromboseprophylaxe entsprechend den jeweiligen Klinikstandards.
Primärer Endpunkt war die Inzidenz schwerer und leichterer Blutungen entsprechend den Kriterien der TIMI (Thrombolysis in myocardial infarction)-Skala nach erfolgter PCI. Die Auswertung erfolgte in einer Intention-to-treat-Analyse.
Ergebnisse
Blutungen traten überwiegend im Bereich des arteriellen Zugangs, der Haut sowie der Schleimhäute auf – meist noch während des Krankenhausaufenthalts. Schwere und leichtere Blutungen (Einteilung nach der TIMI-Skala) gab es in der Gruppe mit 10 mg SCH 530348 bei 2 (2%) von 129 Patienten, in der 20-mg-Gruppe bei 3 (3%) von 120 Patienten und in der 40-mg-Gruppe bei 7 (4%) von 173 Patienten im Vergleich zu 5 (3%) von 151 Patienten in der Plazebo-Gruppe (p=0,5786).
Unter einer Erhaltungstherapie mit 0,5 mg SCH 530348 traten schwere und leichte Blutungen bei 3 (2%) von 136 Patienten ein, unter 1,0 mg bei 5 (4%) von 139 Patienten und unter 2,5 mg SCH 530348 bei 4 (3%) von 138 Patienten (p=0,7561).
Diskussion
Der oral applizierte kompetitive PAR-1-Antagonist SCH 530348 wurde von Patienten, bei denen eine elektive perkutane Koronarintervention erfolgte, gut vertragen und verursachte – auch bei gleichzeitiger Einnahme von ASS und Clopidogrel – nicht häufiger als Plazebo klinisch relevante schwere und leichtere Blutungen entsprechend den TIMI-Kriterien. Der neue Wirkstoff hemmt die PAR-1-Rezeptor-vermittelte Thrombinwirkung und ist möglicherweise in der akuten und subakuten Thromboseprävention plättchenaggregationshemmenden Substanzen wie ASS oder Thienopyridinen überlegen. Derzeit befinden sich zwei klinische Phase-III-Studien in der Rekrutierungs- beziehungsweise Follow-up-Phase. Darin soll untersucht werden, ob zusätzlich zur Standardtherapie (z.B. ASS plus Clopidogrel) appliziertes SCH 530348 bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom bzw. mit bekannter Arteriosklerose einen Zusatznutzen bei der Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall bringen kann.
Quellen
Becker RC, et al. Safety and tolerability of SCH 530348 in patients undergoing non-urgent percutaneous coronary intervention: a randomised, double-blind, placebo-controlled phase II study. Lancet 2009;373:919–28.
Colombo A, Merlini P. The ischaemia/bleeding balance in PCI. Lancet 2009;373:872–3.
Arzneimitteltherapie 2010; 28(03)