Brauchen wir bessere oder andere klinische Studien?


Prof. Dr. med. Jürgen Schölmerich, Regensburg

Klinische Studien gelten als Basis des therapeutischen Handelns in der Medizin. In der Regel werden klinische Studien zur Erprobung von therapeutischen Substanzen von der pharmazeutischen Industrie finanziert und mit Hilfe von entsprechenden Studienfirmen und Prüfärzten in Klinik und Praxis durchgeführt. Legitimerweise werden natürlich seitens der Industrie nur dann Studien durchgeführt, wenn sie bei positivem Ausgang einen ökonomischen Gewinn erwarten lassen. Ebenso verständlich werden diese Studien so angelegt, dass mit möglichst geringem Aufwand ein signifikanter Effekt zu erreichen ist. Dies führt dazu, dass häufig nicht die Alltagssituation in den Ein- und Ausschlusskriterien abgebildet werden kann, sondern eine eher seltenere Situation, die beispielsweise eine Monotherapie oder auch die Nutzung eines Plazebos zulässt.

Selten werden Alternativen gegeneinander getestet, Kombinationen, wie in der Praxis der Hypertoniebehandlung üblich, werden praktisch nie verglichen. „Problempatienten“, die gerade der neuen Therapie bedürfen, werden bei Studien zu nicht malignen Erkrankungen oft ausgeschlossen. In der klinischen Medizin werden komplexe Situationen, wie die Komplikationen der Leberzirrhose oder die Sepsis, die auch außerhalb regulärer Arbeitszeiten auftreten und behandelt werden müssen, deutlich weniger gern studiert als beispielsweise die Therapie der chronischen Hepatitis C (Hepatology 2008;48:1–3). Kombinierte Endpunkte werden immer häufiger benutzt, ohne dass die einzelnen Ereignisse in ihrer Bedeutung gewichtet werden. Meist werden Endpunkte geringerer Relevanz häufiger erreicht und nehmen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis, auch wenn die „harten Endpunkte“ gar keinen Unterschied zeigen.

Wir haben daher eine Schieflage der „Evidenz“, da für alle alten und ökonomisch nicht attraktiven Prinzipien wenige oder gar keine Studiendaten nach heutigen Kriterien existieren, was dann als geringerer Evidenzlevel zur Stigmatisierung in Leitlinien führt.

Erweitert wird das Problem durch die Frage der interessenfreien und vollständigen Veröffentlichungen. Studien mit negativem Ausgang werden kaum zur Publi- kation eingereicht und schlechter begutachtet (Arch Int Med 2009;169:1022–3). Studien, die industriegesponsert sind, haben deutlich häufiger ein positives Ergebnis als andere, wie in einer Analyse von 1140 Studien mit einem Odds-Ratio für ein positives Ergebnis von 3,6 deutlich gezeigt wurde (JAMA 2003;289:454–65). Es erscheint daher zwingend nötig, dass mit Mitteln der öffentlichen Hand und denen der Kostenträger klinische Studien finanziert und durchgeführt werden, die die reale Situation des Patienten und seines Therapeuten abbilden. Daher ist die Tatsache, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein gemeinsames Studienprogramm mit 30 Millionen Euro/Jahr finanzieren, ebenso wie die kürzliche Ausschreibung des BMBF von 54 Millionen Euro für Versorgungsforschung und schließlich die Schaffung von Konsortien zur Gesundheitsforschung, die sich den großen Volkskrankheiten mit translationalen Ansätzen widmen sollen, sehr zu begrüßen. Ähnliche Ziele verfolgt die Schaffung von 60 Zentren für translationale Forschung durch die National Institutes of Health in den USA. Angesichts der vielen ungelösten Probleme bei zahlreichen Erkrankungen wird aber deutlich, dass dies bislang nur kleine Schritte auf einem wichtigen Weg sind. Bessere, alltagsentsprechende Studien zur Therapie vieler Erkrankungen sind dringendes Desiderat.

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