Kniegelenk-Läsionen

Re-implantierte Knorpelzellen differenzieren sich im Knie weiter


Reimund Freye, Baden-Baden

Zur Behandlung fokaler Knorpelschäden im Kniegelenk wurde mit ChondroCelect® das erste Zelltherapieprodukt von der Europäischen Kommission zugelassen. Das Verfahren eignet sich vor allem für Patienten mit einem akuten Knorpelschaden, der noch nicht arthrotisch degeneriert ist. Auf einer Presseveranstaltung der Firma TiGenix im Rahmen des Orthopädiekongresses 2009 wurden die zulassungsrelevanten Studienergebnisse im Vergleich mit der Mikrofrakturierung vorgestellt.

Die Mikrofrakturierung ist momentan wie die Abrasionsarthroplastik oder die Pridie-Bohrung ein Standardverfahren zur Behandlung akuter Knorpelschäden. Die Verfahren zielen darauf ab, durch kontrollierte Schädigung der Knochenoberfläche unter dem lädierten Knorpel Stammzellen zu mobilisieren, die den Defekt auffüllen. Das neu gebildete Gewebe ist allerdings viel faseriger als der physiologische Knorpel und weist daher auch nicht im gewünschten Maße dessen biomechanische Eigenschaften auf.

Mit ChondroCelect® wird ein generell anderes Verfahren eingesetzt. Es handelt sich um charakterisierte, vitale, ex vivo expandierte autologe Knorpelzellen, die bestimmte Markerproteine exprimieren. Die Chondrozyten werden durch Biopsie aus dem Knie des betroffenen Patienten gewonnen. Zur Zellentnahme wird eine wenig belastete Stelle des Femurkondylus gewählt. Die Knorpelzellen des Patienten werden aufbereitet und extrakorporal durch Kultivierung vermehrt. Die Chondrozyten-Suspension wird in einem zweiten Eingriff, der autologen Chondrozyten-Transplantation (ACT), auf die Knorpelläsion appliziert und mit einer biologischen Membran fixiert. Hier differenzieren sich die re-implantierten Zellen weiter aus. Dieser Prozess benötigt über ein Jahr und wird durch Rehabilitationsmaßnahmen wie konseqente Physiotherapie unterstützt.

Voraussetzung für eine erfolgreiche ACT ist die Qualität des Zellprodukts. Das grundlegende Problem dabei: Es sollten möglichst wenig Zellen entnommen werden, die aber bei der dann notwendigen Vermehrung ihre Differenzierungsfähigkeit behalten müssen, um stabile und strukturierte Knorpelzellen ausbilden zu können.

Bessere Knorpelstruktur führt zu klinischem Benefit

In der Zulassungsstudie wurde die ACT per ChondroCelect® mit dem momentanen Standardverfahren, einer Knochenmarkstimulation durch Mikrofrakturierung, verglichen. Die Studienhypothese lautete, dass nach zwölf Monaten die neue Methode der herkömmlichen klinisch zumindest äquivalent ist, in der longitudinalen Begutachtung über 36 Monate aber überlegen. Grund dafür, so die Annahme, wäre eine bereits nach zwölf Monaten vorliegende strukturelle Überlegenheit des neu gebildeten Knorpelgewebes.

Dafür wurden 118 Patienten in neun belgischen und drei internationalen Zentren behandelt, 57 mit der ACT und 61 mit Mikrofrakturierung. Bei 107 Patienten konnte nach 12 Monaten eine Knorpelbiopsie zur Prüfung der Knorpelqualität entnommen werden, und 87 Patienten wurden nach 36 Monaten bioptisch nachuntersucht. Die Biopsate wurden verblindet ausgewertet.

In der Tat konnte nach 12 Monaten, gemäß histomorphometrischen Daten und nach dem ICRS(International cartilage repair society)-Score, eine strukturelle Überlegenheit der ACT konstatiert werden (p=0,003 bzw. p=0,0103).

Die klinischen Parameter wurden mit der KOOS-Skala (Knees injury and osteoarthritis outcome score) ermittelt, einem Fragebogen, der Schmerzen, weitere Symptome wie Schwellung und mechanische Restriktion, Beeinträchtigungen im Alltag und beim Sport sowie die kniebezogene Lebensqualität erfasst. Nach 12 Monaten war hierbei lediglich ein tendenziell besseres Abschneiden der ACT zu verzeichnen. Das primäre Studienziel, ein Nachweis der Nichtunterlegenheit, wurde erreicht. Nach 36 Monaten aber erlangte die ACT mit ChondroCelect® gegenüber der Mikrofrakturierung sowohl beim Schmerzparameter der KOOS-Skala als auch insgesamt eine signifikante Überlegenheit (p=0,044 bzw. p=0,048).

Damit konnte die Hypothese, dass ChondroCelect®, aufgrund der physiologischeren Ausbildung von Knorpelzellen, gegenüber der Knochenmarkstimulation durch Mikrofrakturierung langfristig auch klinische Vorteile hat, bestätigt werden. Die Methode ist geeignet für Patienten mit Knorpelschäden ab einer Größe von 2 cm2. Die Läsion sollte möglichst nicht länger als zwei Jahre zurückliegen, da ansonsten das Gelenk bereits arthrotisch geworden sein kann. Das neue Verfahren ist im Moment auf speziell dafür qualifizierte Zentren beschränkt.

Quellen

Prof. h. c. Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Steinwachs, Zürich, Dr. Gerd Steffens,Leuven, Pressekonferenz „Positive CHMP-Empfehlung von ChondroCelect®, dem ersten zellbasierten Arzneimittel zur Behandlung symptomatischer Knorpelschäden“, veranstaltet von TiGenix N.V. im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie, Berlin, 22. Oktober 2009.

European Medicines Agency. Assessment Report for ChondroCelect. EMEA/724428/2009. www.ema.europa.eu (Zugriff am 5. April 2010).

Arzneimitteltherapie 2010; 28(05)