Daptomycin – Dosisanpassung bei übergewichtigen Patienten erforderlich?


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Die Zahl übergewichtiger Menschen in Deutschland ist im Laufe der letzten Jahre gestiegen. Mittlerweile sind etwa 70% der erwachsenen Männer und 50% der erwachsenen Frauen übergewichtig oder adipös [8]. Bei der Anwendung von Arzneimitteln bei übergewichtigen Patienten kann je nach Eigenschaften des Arzneistoffs eine Dosisanpassung erforderlich sein. Dosierungen von Arzneimitteln werden beispielsweise auf das ideale Körpergewicht (ideal body weight; IBW) oder das Gesamtkörpergewicht (total body weight; TBW) bezogen. Bei übergewichtigen Patienten stellt sich die Frage, welches Gewicht als Grundlage für die Dosierung herangezogen werden soll. Eine routinemäßig applizierte Dosierung statt einer gewichtsadaptierten Dosierung kann zu subtherapeutischen Konzentrationen und einem potenziell schlechteren klinischen Ergebnis führen. Dagegen können bei einer Dosierung nach dem Gesamtkörpergewicht eine Überdosierung und eine Zunahme beziehungsweise Verstärkung von Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden.
Muss bei Patienten mit Übergewicht oder Adipositas eine Dosisanpassung von Daptomycin (Cubicin®) vorgenommen werden?

Daptomycin (Cubicin®) ist ein natürliches Lipopeptid, das ausschließlich gegen grampositive Bakterien wirksam ist. Das Arzneimittel ist für die Behandlung folgender Infektionen bei Erwachsenen zugelassen:

  • Komplizierte Haut- und Weichteilinfektionen
  • Rechtsseitige infektiöse Endokarditis aufgrund von Staphylococcus aureus
  • Staphylococcus-aureus-Bakteriämie, assoziiert mit rechtsseitiger infektiöser Endokarditis oder mit komplizierten Haut- und Weichteilinfektionen [1]

Grundsätzlich kann bei übergewichtigen Patienten eine Dosisanpassung erforderlich sein. Dosierungen werden beispielsweise auf das ideale Körpergewicht oder das Gesamtkörpergewicht bezogen (siehe Kasten). Für die Einstufung des Patienten als übergewichtig wird der Körpermassenindex (body mass index; BMI) verwendet. Als Übergewicht wird ein BMI von 25 bis 29,99 kg/m², als Adipositas ein BMI von >30 kg/m² bezeichnet [2].

Total body weight (TBW)
Aktuelles Gesamtkörpergewicht

Ideal body weight (IBW)
Idealkörpergewicht (IKG)

Frau: IKG [kg]= 45,5 kg + 0,91 kg/cm × (Körpergröße [cm] –152 cm)

Mann: IKG [kg]= 50 kg + 0,91 kg/cm × (Körpergröße [cm] –152 cm)

Pharmakokinetik und Dosierung von Daptomycin

Daptomycin verteilt sich vorwiegend innerhalb des Extrazellulärraums; das Verteilungsvolumen bei gesunden Erwachsenen beträgt im Steady-State etwa 0,1 l/kg. Das Arzneimittel bindet konzentrationsunabhängig und reversibel an menschliche Plasmaproteine; die durchschnittliche Proteinbindung beträgt rund 90%. Daptomycin zeigt in vitro eine rasche, konzentrationsabhängige bakterizide Aktivität.

Das Arzneimittel wird in Abhängigkeit von der Indikation in einer Dosierung von 4 mg/kg beziehungsweise 6 mg/kg einmal alle 24 h i.v. verabreicht. Bei Niereninsuffizienz mit einer Creatinin-Clearance <80 ml/min soll Daptomycin nur angewendet werden, wenn der zu erwartende Nutzen das potenzielle Risiko überwiegt. Die Anwendung von Daptomycin bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Leberinsuffizienz (Klasse B nach Child-Pugh) erfordert keine Dosisanpassung. Über die Behandlung von Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz (Klasse C nach Child-Pugh) liegen keine Daten vor [1].

Übergewichtige Patienten

Die Informationen zur Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Daptomycin bei stark übergewichtigen Personen sind begrenzt; daher ist Vorsicht geboten.

Verglichen mit nicht übergewichtigen Probanden ist die anhand der AUC (=Area under the curve; Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve) gemessene systemische Exposition gegenüber Daptomycin bei moderat übergewichtigen Probanden (BMI=25–40 kg/m²) um 28% und bei stark übergewichtigen Probanden (BMI >40 kg/m²), aber einer Creatinin-Clearance >70 ml/min, um 42% erhöht. Laut der Fachinformation von Cubicin® deutet jedoch nichts darauf hin, dass eine Dosisreduktion einzig auf Grundlage von Übergewicht erforderlich ist [1]. Diese sehr allgemein gehaltene Aussage soll im Folgenden näher betrachtet werden.

Jeu et al. fassten die Ergebnisse einer Literaturrecherche zusammen. Sie beschrieben, dass nach Einmalgabe von Daptomycin in einer Dosierung von 4 mg/kg bei sechs mäßig übergewichtigen Patienten (BMI 25–39,9 kg/m²) die durchschnittliche maximale Plasmakonzentration (Cmax) und die AUC um 25% beziehungsweise um 30% höher waren als in der nicht übergewichtigen Kontrollgruppe. Die Plasmaclearance war um 18% erhöht, die renale Clearance um 16%.

Bei sechs extrem übergewichtigen Patienten (BMI >40 kg/m²) waren die durchschnittliche Cmax und die AUC um 26% beziehungsweise um 31% höher als in der nicht übergewichtigen Kontrollgruppe; die Plasmaclearance war um 46% erhöht, die renale Clearance um 36%. Die Autoren zogen aus den recherchierten Ergebnissen keine klinischen Konsequenzen [3].

Auch Dvorchik und Damphousse zeigten, dass nach Einmalgabe von 4 mg/kg Daptomycin bei übergewichtigen Probanden das absolute Verteilungsvolumen und die Plasmaclearance von Daptomycin im Vergleich zu normalgewichtigen Probanden erhöht waren; Cmax und AUC waren im Vergleich zu den Normalgewichtigen um 25% beziehungsweise um 30% erhöht, wenn nach Gesamtkörpergewicht dosiert wurde. Die Werte waren aber immer noch in einem Bereich, der sich in Studien [10, 11], in denen Dosierungen bis zu 8 mg pro kg Körpergewicht eingesetzt wurden, als sicher und gut verträglich gezeigt hat. Die Autoren schließen daraus, dass eine Dosisanpassung allein aufgrund von Übergewicht nicht notwendig ist [4].

Pai et al. untersuchten den Einfluss von „Morbid Obesity“ (d.h. BMI >40 kg/m²) auf die Pharmakokinetik einer Einmalgabe von Daptomycin [6]. Die Teilnehmer der Untersuchung waren 14 Frauen (7 „morbidly obese“ mit einem BMI von 46,2±5,5 kg/m², Durchschnittsalter 36,8±11,0 Jahre vs. 7 normalgewichtige Frauen mit einem BMI von 21,8±1,9 kg/m², Durchschnittsalter 29,1±12 Jahre). Alle Teilnehmer erhielten eine Einmaldosis Daptomycin von 4 mg/kg (bezogen auf das Gesamtkörpergewicht) als Infusion über 30 Minuten. Schwere Nebenwirkungen traten in der Studie nicht auf. Maximale Plasmakonzentration und AUC waren in der Gruppe der Übergewichtigen um etwa 60% erhöht, was auf die höhere verabreichte Gesamtdosis zurückzuführen ist. Nicht signifikant im Vergleich zur Gruppe der Normalgewichtigen stiegen das absolute Verteilungsvolumen (um 22%) und die Plasmaclearance (um 12%). Die Autoren fanden eine bessere Korrelation zwischen Verteilungsvolumen und Gesamtkörpergewicht als zwischen Verteilungsvolumen und FFW (= Fat free weight); die Korrelation zwischen Verteilungsvolumen und Idealkörpergewicht hingegen war schlecht, was für eine Dosierung von Daptomycin nach dem Gesamtkörpergewicht spricht. Zur Bestätigung ihrer Empfehlung, Daptomycin nach Gesamtkörpergewicht zu dosieren, verweisen die Autoren auf eine Publikation zu pharmakokinetischen Parametern von Daptomycin, die anhand von Populationsdaten erhoben wurden. In dieser Publikation war bei akuten bakteriellen Infektionen das absolute Verteilungsvolumen um durchschnittlich 37% im Vergleich zu Gesunden erhöht [9].

Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) der übergewichtigen Patientinnen in der Studie von Pai et al. wurde überschätzt, wenn für die Berechnung mittels Cockroft-Gault-Formel das Gesamtkörpergewicht verwendet wurde. Die Autoren empfehlen hier, die GFR nach der MDRD-Formel abzuschätzen oder das Idealkörpergewicht in der Gleichung nach Cockroft-Gault zu verwenden [6].

Auch im Fall eines stark übergewichtigen Patienten mit einem BMI von 66 (209 kg Körpergewicht, 178 cm) wurde zur Berechnung der applizierten Daptomycin-Dosis das Gesamtkörpergewicht herangezogen. Der Patient erhielt eine Dosis von 1200 mg Daptomycin (= 6 mg/kg) alle 48 h; aufgrund der gleichzeitig vorliegenden Niereninsuffizienz wurde das Dosisintervall entsprechend angepasst [5].

Sicher in hoher Dosierung?

Mitarbeiter der Firma Cubist Pharmaceuticals werteten retrospektiv Daten von 94 Patienten unter anderem zur Sicherheit von Daptomycin in hohen Dosen (≥8 mg/kg KG) aus; 18 der 94 Patienten erhielten Dosierungen von ≥10 mg/kg. Bei sechs der 94 Patienten traten eine oder mehrere unerwünschte Wirkungen auf, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit Daptomycin standen. Bis auf eine unerwünschte Arzneimittelwirkung, eine dauerhafte Clostridium-difficile-Kolitis, wurde keine als ernstzunehmend eingestuft. Drei der acht aufgetretenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen betrafen eine Erhöhung der Creatinkinase.

Die Autoren bewerten Daptomycin auch in hohen Dosen als gut verträglich, wenn sie auch weitere Studien zu Daptomycin in Dosen von >6 mg/kg für nötig halten [7].

Fazit

Wird Daptomycin bei übergewichtigen Patienten nach dem Gesamtkörpergewicht dosiert, so sind diese Patienten einer höheren systemischen Menge an Daptomycin ausgesetzt als entsprechend dosierte normalgewichtige Patienten (Patienten mit einem BMI=25–40 kg/m² um etwa 30%, mit einem BMI >40 kg/m² um etwa 40% bzw. 60%, je nach Quelle).

Nach den bisher vorliegenden – begrenzten – Daten scheint Daptomycin auch in höherer Dosierung relativ gut verträglich zu sein, und eine Dosisanpassung allein aufgrund von Übergewicht wird nicht für nötig gehalten. Bei Patienten mit einem BMI >40 kg/m² ist aufgrund fehlender Informationen Vorsicht geboten.

(Stand der Information 05/2010)

Quellen

1. Fachinformation Cubicin® Stand Juli 2009.

2. Obesity and overweight. Fact sheet N°311. World Health Organization [online] 2006; www.who.int/mediacentre/factsheets/fs311/en/http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs311/en/ (Zugriff am 17.03.2010).

3. Jeu LA, et al. Clin Ther 2004;11:1728–57.

4. Dvorchik BH, et al. J Clin Pharmacol 2005;45: 48–56.

5. Pai MP, et al. Ann Pharmacother 2006;40:553–8.

6. Pai MP, et al. Antimicrob Agents Chemother 2007;51:2741–7.

7. Moise P, et al. Ann Pharmacother 2009;43: 1211–9.

8. Mensik GB, et al. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2005; 48:1348–56.

9. Dvorchik BH, et al. Antimicrob Agents Chemother 2004;48:2799–807.

10. Dvorchik BH, et al. Antimicrob Agents Chemother 2003; 47:1318–25.

11. Tedesco KL, et al. Pharmacotherapy 2004:24:41–57.

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Sollte bei übergewichtigen Patienten eine Dosisanpassung von Daptomycin vorgenommen werden?

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Nach den bisher vorliegenden – begrenzten – Daten scheint Daptomycin auch in höherer Dosierung relativ gut verträglich zu sein, und eine Dosisanpassung allein aufgrund von Übergewicht wird nicht für nötig gehalten. Bei Patienten mit einem BMI > 40 kg/m² ist aufgrund fehlender Informationen Vorsicht geboten.

Christiane Querbach, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität – Krankenhausapotheke, Ismaninger Str. 22, 81675 München, E-Mail: Christiane.Querbach@lrz.tu-muenchen.de Dorit Engelke, Klinikum der Universität München, Klinikapotheke Großhadern, Marchioninistr. 15, 81377 München

Arzneimitteltherapie 2010; 28(07)