Schlaganfall

Epoetin beim akuten ischämischen Insult ohne neuroprotektive Wirkung


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

In einer Plazebo-kontrollierten, randomisierten multizentrischen Studie war Epoetin (EPO) bei der Behandlung des akuten ischämischen Insults nicht wirksam. In der Untergruppe der Patienten, die lysiert wurden, zeigte sich eine erhöhte Mortalität. In der Gruppe ohne Thrombolyse zeigte sich ein Trend zugunsten von Epoetin.

Für die Akutbehandlung des ischämischen Insults steht als spezifische Therapie derzeit nur die systemische Thrombolyse im Zeitfenster bis zu 4,5 Stunden zur Verfügung. Erythropoetin (Epoetin, EPO) hatte in einer Vielzahl von Tiermodellen neuroprotektive Eigenschaften beim akuten Schlaganfall. In einer kleinen monozentrischen Phase-II-Studie hatte sich eine Wirksamkeit von Epoetin beim akuten Schlaganfall bei einem guten Sicherheitsprofil gezeigt [1]. In der vorliegenden Studie sollte jetzt in einem größeren Kollektiv untersucht werden, ob Epoetin beim akuten Schlaganfall wirksam ist. Es handelt sich um eine multizentrische, prospektive, randomisierte, Plazebo-kontrollierte Studie, in die 522 Patienten mit Mediainfarkten aufgenommen wurden. Für die Per-Protokoll-Analyse standen 460 Patienten zur Verfügung. In der aktiven Behandlungsgruppe wurden innerhalb von 6 Stunden sowie nach 24 und 48 Stunden je 40000 I.E. Epoetin alfa (Erypo®; in 50 ml 0,9% NaCl-Lösung) intravenös gegeben. Eine systemische Thrombolyse war erlaubt.

Das mittlere Alter der Patienten betrug 68 Jahre. Die Hälfte aller Schlaganfälle hatte eine kardioembolische Ursache. Die Schwere des Schlaganfalls auf der NIH-Schlaganfall-Skala betrug im Mittel 13 Punkte. Ein offenbar unerwartet hoher Anteil von 63,4% der Patienten erhielt eine systemische Thrombolyse mit Alteplase (Actilyse®).

Der primäre Endpunkt war der Barthel-Index am Tag 90. Hier ergaben sich keine Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen. Dasselbe galt für den mofizierten Rankin-Score. In der Epoetin-Gruppe war die Letalität mit 16,4% signifikant höher als in der Plazebo-Gruppe mit 9% (Odds-Ratio 1,98; 95%-Konfidenzintervall 1,16–3,38).

In einer Post-hoc-Analyse wurden die Patienten analysiert, die keine Thrombolyse erhielten. In dieser Subgruppe war Epoetin signifikant wirksamer als Plazebo.

Humanes Epoetin ist daher in der Behandlung des akuten ischämischen Insults, zusätzlich zur üblichen Behandlung eingesetzt, nicht wirksam. In der Verum-Gruppe ergab sich eine erhöhte Letalität insbesondere bei den Patienten, die eine Thrombolyse erhielten. In der Subgruppe der Patienten, die nicht lysiert wurden, zeigte sich eine Wirksamkeit von Epoetin.

Kommentar

Wie eine Vielzahl von prospektiven Studien erbrachte auch die vorliegende Studie keinen Beweis dafür, dass eine neuroprotektive Therapie beim menschlichen Schlaganfall funktioniert. Die Tatsache, dass bei den Patienten, die lysiert wurden, die Mortalität bei zusätzlicher Epoetin-Behandlung höher war als in der Plazebo-Gruppe, zeigt, dass auch bei vermeintlich ganz unterschiedlichen Wirkungsmechanismen potenzielle Interaktionen von Therapeutika zunächst in Tierexperimenten untersucht werden sollten. Dies war im vorliegenden Fall nicht geschehen, da zu Beginn der Studie nicht antizipiert werden konnte, dass ein so hoher Prozentsatz der Patienten lysiert werden würde. Das Ergebnis reiht sich aber in eine ganze Serie von anderen Studien ein, insbesondere aus der Onkologie, in denen sich wider Erwarten bei Behandlung mit Epoetin erhöhte Sterberaten fanden.

Interessant ist die Beobachtung in einer Post-hoc-Analyse, dass es bei Patienten, die nicht lysiert wurden, zu einem besseren Outcome unter Epoetin kam. Angesichts der erhöhten Gesamtmortalität ist es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass es nochmals eine Schlaganfallstudie mit Epoetin geben wird.

Quellen

1. Ehrenreich H, et al. Erythropoietin therapy for acute stroke is both safe and beneficial. Mol Med 2002;8:495–505.

2. Ehrenreich H, et al.; for the EPO Stroke Trial Group. Recombinant human erythropoietin in the treatment of acute ischemic stroke. Stroke 2009;40:e647–56.

Arzneimitteltherapie 2010; 28(07)