Dr. Claudia Heß, Mainz
Die ersten oralen Kontrazeptiva kamen in den 1960er Jahren auf den Markt. Bereits in den frühen 60er Jahren wiesen erste Berichte auf einen möglichen Zusammenhang zwischen deren Einnahme und dem Auftreten von venösen Thrombosen und Lungenembolien hin. Da nachfolgende Studien auf einen Zusammenhang zwischen der Estrogen-Dosis und einem Thromboserisiko hindeuteten, wurde eine neue Generation oraler Kontrazeptiva mit niedrigerem Estrogen-Gehalt entwickelt (Kontrazeptiva der 2. Generation). Mit ihnen sollte der Einfluss auf die hämostatischen Faktoren, die Thrombogenität, so gering wie möglich gehalten werden. Während frühere Kontrazeptiva Ethinyl-estradiol in einer Dosis von 50 µg und mehr enthielten, kommen die derzeitig verfügbaren Präparate mit einer niedrigeren Dosis von 20 bis 30 µg Ethinylestradiol aus.
Das Thromboembolierisiko ist deshalb bei Einnahme moderner kombinierter oraler Kontrazeptiva insgesamt gering. Es beträgt absolut weniger als eine Thromboembolie pro 1000 Frauenjahre. Da aber allein in Deutschland rund sieben Millionen Frauen diese Präparate anwenden, können schon kleine Unterschiede im Thromboserisiko klinisch relevant sein.
Aus Studien der 90er Jahre ging hervor, dass nicht nur die Höhe der Estrogen-Dosis, sondern auch die Art des Gestagens das Thromboserisiko oraler Kontrazeptiva beeinflusst. Aus großen klinischen Studien ist bekannt, dass orale Kontrazeptiva der 3. Generation, also später auf den Markt gekommene kombinierte orale Kontrazeptiva mit neueren Gestagenen, das Thromboserisiko im Vergleich zu Präparaten der 2. Generation erhöhen. Bei Präparaten der 2. Generation mit dem Gestagen Levonorgestrel liegt der Wert bei 20 Fällen pro 100000 Frauenjahre. Bei kombinierten oralen Kontrazeptiva der 3. Generation mit den Gestagenen Desogestrel oder Gestoden wurde ein höheres Risiko von etwa 40 Fällen pro 100000 Frauenjahre festgestellt. Auch für das jüngste Gestagen Drospirenon wurde inzwischen gezeigt, dass es das Thromboserisiko stärker erhöht als kombinierte orale Kontrazeptiva mit Levonorgestrel. Bei Frauen, die keine Kontrazeptiva einnehmen, beträgt das Risiko für Thromboembolien circa 5–10 Fälle pro 100000 Frauenjahre. Nach einer Empfängnis ist es allerdings deutlich höher, dann liegt es bei rund 60 Fällen pro 100000 Schwangerschaften.
Einfluss der Gestagene auf das Thromboserisiko
In einer dänischen Kohortenstudie [Lidegaard et al.] wurde das Risiko für venöse Thromboembolien bei Anwendung verschiedener hormoneller Kontrazeptiva untersucht, und zwar in Abhängigkeit von Einnahmedauer, Regime (Kombinationspräparate vs. reine Gestagenpräparate), Estrogen-Dosis, Art des Gestagens und Applikationsart.
Hierfür wurden die Daten mehrerer nationaler dänischer Register ausgewertet. Ermittelt wurden alle Frauen, die im Zeitraum von 1995 bis 2005 im Alter von 15 bis 49 Jahren waren, nicht schwanger waren und keine malignen Erkrankungen oder kardiovaskulären Ereignisse in der Vorgeschichte hatten. Diese Population entsprach insgesamt 10,4 Millionen Frauenjahren, davon 3,3 Millionen Frauenjahren mit laufender Anwendung oraler Kontrazeptiva. Endpunkte waren das erstmalige Auftreten tiefer sowie nicht näher definierter Venenthrombosen, Thrombosen der Pfortader, der Hohlvene, der Nierenvene und Lungenembolien.
Registriert wurden 4213 Fälle erstmaliger thrombotischer Ereignisse. 2045 Fälle traten in der Gruppe der derzeitigen Anwenderinnen von hormonellen Kontrazeptiva auf. Das absolute Risiko für eine Thrombose lag bei Frauen, die derzeit keine hormonellen Kontrazeptiva anwendeten, bei 3,01 Fällen/10000 Frauenjahre und war bei Frauen, die orale Kontrazeptiva einnahmen, mit 6,29 Fällen/10000 Frauenjahre rund doppelt so hoch.
Das Risiko war am höchsten im ersten Jahr der Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva und sank bei längerer Anwendungsdauer. Das Risiko war geringer bei Präparaten mit niedrigerer Estrogen-Dosis (bei gleicher Art des Gestagens und adjustierter Anwendungsdauer). Beim Vergleich von oralen Kontrazeptiva mit unterschiedlichen Gestagenen (bei gleicher Estrogen-Dosis und adjustierter Anwendungsdauer) war das Risiko für Präparate mit Levonorgestrel und Norethisteron nahezu gleich, es war leicht erhöht bei Präparaten mit Norgestimat und deutlich höher bei Präparaten mit Desogestrel, Gestoden, Drospirenon und Cyproteronacetat (Abb. 1). Die Einnahme reiner Gestagenpräparate und die Anwendung hormonfreisetzender intrauteriner Systeme erwiesen sich als günstig.

Abb. 1. Relatives Risiko für venöse Thromboembolien unter der Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva in Abhängigkeit von der Estrogen-Dosis und der Art des Gestagens, verglichen mit einer Kombination von Levonorgestrel mit 30–40 µg Estrogen, adjustiert nach Alter und Einnahmedauer [nach 3]
In einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie [van Hylckama Vlieg et al.] wurden die Daten von Frauen ausgewertet, die zwischen März 1999 und September 2004 aufgrund einer erstmaligen Venenthrombose oder Lungenembolie in einer von sechs teilnehmenden dänischen Kliniken für Gerinnungsstörungen behandelt wurden. Eingeschlossen waren aus dieser Kohorte 1524 Frauen zwischen 18 und 50 Jahren, die orale hormonelle Kontrazeptiva einnahmen, nicht schwanger oder postmenopausal waren und nicht innerhalb der vorangegangenen 4 Wochen entbunden hatten. Diesen Frauen wurden 1760 weibliche Kontrollpersonen gegenübergestellt, die zuvor noch keine Thrombose hatten. Alle Teilnehmer füllten einen Fragebogen aus, in dem nach dem Gebrauch von oralen Kontrazeptiva und nach verschiedenen Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse gefragt wurde.
Das Risiko für eine venöse Thromboembolie im Vergleich zur Nichtanwendung war unter oralen Kontrazeptiva mit Levonorgestrel um das Vierfache erhöht, bei anderen Gestagenen war es sechs- bis siebenfach erhöht (Abb. 2). Auch in dieser Studie konnte gezeigt werden, dass das Risiko mit der Estrogen-Dosis steigt, und dass es während der ersten Monate der Einnahme am höchsten ist.

Abb. 2. Risiko für venöse Thrombosen unter der Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva in Abhängigkeit von der Art des Gestagens, adjustiert nach Alter und Einnahmedauer [nach 4]
Aus diesen Gründen empfiehlt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), bei der Verordnung und Anwendung kombinierter oraler Kontrazeptiva die Kontraindikationen und Risikofaktoren für venöse thromboembolische Ereignisse zu berücksichtigen (Tab. 1).
Tab. 1. Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse
Genetisch bedingte Faktoren |
Thrombophilie |
Erworbene Faktoren |
Immobilisation Operative Eingriffe Schwangerschaft und Wochenbett Rauchen Adipositas Fettstoffwechselstörungen Hypertonie Diabetes mellitus Weitere internistische Erkrankungen Höheres Lebensalter |
Fazit
Ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Wahl eines kombinierten oralen Kontrazeptivums ist die Beurteilung des individuellen Thromboserisikos. Für normalgewichtige Frauen ohne genetische Disposition scheint vor dem Hintergrund der beiden aktuellen Studien ein niedrig dosiertes Kombinationspräparat die erste Wahl zu sein. Neben der Estrogen-Dosis spielt auch die Art des enthaltenen Gestagens eine Rolle. Besteht ein bekanntes Thromboserisiko, beispielsweise eine genetisch bedingte Thrombophilie, sollten reine Gestagen-Präparate angewendet werden, da estrogenfreie orale Kontrazeptiva und hormonfreisetzende intrauterine Systeme das Thromboserisiko nicht erhöhen.
Für alle kombinierten oralen Kontrazeptiva ist das Risiko für eine venöse Thromboembolie im ersten Jahr der Anwendung am höchsten.
Quellen
Prof. Dr. Herbert Kuhl, Frankfurt/M., Dr. Robert Klamroth, Berlin, „Orale Kontrazeption und Thromboserisiko – das gibt es Neues!“, Düsseldorf, 5. März 2010, veranstaltet von Wyeth Pharma GmbH.
Drife J. Oral contraception and the risk of thromboembolism: What does it mean to clinicians and their patients? Drug Safe 2002;25:893–902.
Lidegaard Ø, et al. Hormonal contraception and risk of venous thromboembolism: national follow-up study. BMJ 2009;339:b2890(doi:10.1136/bmj.b2890).
Van Hylckama Vlieg A, et al. The venous thrombotic risk of oral contraceptives, effects of oestrogen dose and progestogen type: results of the MEGA case-control study. BMJ 2009;339:b2921(doi:10.1136/bmj.b2921).
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Risikoinformationen: Hormonale Kontrazeptiva und venöse Thrombosen (27.08.2009) und Yasmin® und venöse Thrombosen: Aktualisierung der Produktinformationen (29.03.2010).
European Medicines Agency, Pharmacovigilance working party: Monthly Report. EMA/173011/2010 (25.03.2010).
Arzneimitteltherapie 2010; 28(09)