Pazopanib beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom


Neuer oraler Angiogenese-Hemmstoff mit verändertem Nebenwirkungsprofil

Veröffentlicht am: 28.11.2019

Hans-Peter Lipp, Tübingen

Pazopanib ist neben Sunitinib und Sorafenib der dritte Vertreter der oral anwendbaren Inhibitoren der VEGF- und PDGF-Rezeptor-assoziierten Tyrosinkinase. Aufgrund der klinischen Studienergebnisse ist Pazopanib sowohl in der Erstlinientherapie als auch bei Zytokin-vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom einsetzbar. Mit der empfohlenen Dosis von einmal täglich 800 mg wurde eine vergleichbare Wirksamkeit wie mit Sunitinib in der Erstlinientherapie erreicht, allerdings treten dermatologische Toxizitäten, Mukositis/Stomatitis, Fatigue und Neutropenien unter Pazopanib deutlich seltener auf. Zu beachten ist die sehr häufig vorkommende Wirkstoffklassen-assoziierte Veränderung der Leberwerte, die regelmäßige Kontrollen unter Pazopanib und Sunitinib erfordert.
Arzneimitteltherapie 2010;28:383–91.

Jährlich erkranken in Deutschland etwa 16000 Patienten an einem Nierenzellkarzinom (RCC), wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen. Neben allgemeinen Risikofaktoren wie Adipositas, Rauchen und Exposition mit Halogenkohlenwasserstoffen oder Cadmium kommt sehr wahrscheinlich dem hereditären Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) eine besondere Bedeutung in der Pathogenese zu, da genetische Veränderungen des VHL-Tumorsuppressorgens eindrucksvoll mit dem Auftreten eines Nierenzellkarzinoms korrelieren [1].

Histomorphologisch lassen sich die Nierenzellkarzinome in klarzellige (rund 75% aller neu diagnostizierten Fälle) und papilläre Karzinome (etwa 12% aller Fälle) sowie seltenere Formen (z. B. tubulomucinöses RCC, Sammelgangkarzinome, neuroendokrine Typen) unterteilen [2].

Wie bei vielen anderen soliden Tumoren steht die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit nach Diagnosestellung in engem Zusammenhang mit dem Stadium, in dem der Tumor diagnostiziert wurde. Frühe Stadien ohne Lymphknotenbeteiligung lassen je nach Ausgangsgröße des Tumors 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 82 und 96% erwarten, während in fortgeschrittenen Tumorstadien die Überlebensraten deutlich abnehmen. Derzeit wird etwa ein Drittel aller Nierenzellkarzinome erst in einem bereits disseminierten Stadium diagnostiziert [3].

Als prognostisch ungünstig erweisen sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ein konstitutiv niedriger Hämoglobin-Ausgangswert, ein erhöhter korrigierter Calcium-Wert (>10 mg/dl), erhöhte Lactatdehydrogenase-Werte (>1,5-Fache des oberen Normwerts), eine deutlich reduzierte Leistungsfähigkeit des Patienten (Karnofsky-Index <80), eine erhebliche zeitliche Latenz zwischen dem Zeitpunkt der Erstdiagnose und dem Therapiebeginn und keine ausreichende Resektionsmöglichkeit (Nephrektomie). Liegen gleichzeitig drei oder mehr dieser Risikofaktoren vor, so ist die Prognose für den Patienten vergleichsweise ungünstig [2, 3].

Während konventionelle Chemotherapien beim disseminierten Nierenzellkarzinom als unwirksam eingestuft werden müssen, waren lange Zeit Immuntherapien auf der Basis von Interferonen (z. B. IFN-α) und Interleukin-2 (IL-2) die einzigen Mittel der Wahl. Die damit erreichten Therapieergebnisse waren jedoch teilweise ernüchternd, zumal ihr Einsatz dosisabhängig mit einem vergleichsweise ungünstigen Nebenwirkungsspektrum verbunden ist [3, 4].

Seit 2006 eröffneten sich Nierenzellkarzinom-Patienten allerdings völlig neue Perspektiven durch die Einführung verschiedener zielgerichteter Tumortherapeutika („targeted therapeutics“). Dazu zählen die Tyrosinkinasehemmer Sorafenib (Nexavar®) und Sunitinib (Sutent®), der VEGF-Antikörper Bevacizumab (Avastin®) und die mTOR-Inhibitoren Temsirolimus (Torisel®) und Everolimus (Afinitor®), die in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung zum Einsatz kommen [2–4]. Die Wirkstoffe greifen in die komplexen Abläufe ein, über die Wachstumsfaktoren wie VEGF oder PDGF (siehe Glossar) die Zellproliferation und Neoangiogenese in Tumoren anregen.

Glossar

  • AKT: Proteinkinase B; in den Isoformen AKT1, 2 und 3 vorkommend; PI3K/AKT-Signalweg s. Abb. 2
  • c-Kit: Stammzellfaktor-Rezeptor (eine wachstumsregulierende Rezeptor-Tyrosinkinase)
  • ERK: Extracellular-signal regulated kinase; in 8 Isoformen (ERK1–8) vorkommende MAP-Kinase; RAS/RAF/MEK/ERK-Signalweg s. Abb. 2
  • Flt-3: Fms-like tyrosine kinase-3 (eine wachstumsregulierende Tyrosinkinase)
  • HIF-1α: Hypoxia-inducible factor-1α; Protein (Transkriptionsfaktor), das unter hypoxischen Bedingungen und pVHL-Mangel intrazellulär kumuliert und die Zellproliferation und Angiogenese stimuliert
  • HRE: Hypoxia-responsive element; Genabschnitt, an den HIF-1α bindet
  • mTOR: Mammalian target of rapamycin; intrazelluläre Zielstruktur für die Inhibitoren Temsirolimus und Everolimus (Abb. 2)
  • PDGF: Platelet-derived growth factor (Plättchenwachstumsfaktor)
  • PDGFR: PDGF-Rezeptor; eine in den Isoformen PDGFR-α und PDGFR-β vorkommende Rezeptor-Tyrosinkinase; vermittelt Gefäßneubildungen
  • PI3K: Phosphatidylinositol-3-Kinase; PI3K/AKT-Signalweg s. Abb. 2
  • pVHL: Protein, das durch das VHL-Gen (s.u.) kodiert wird und wachstumsstimulierende Proteine in ihrer Aktivität hemmen kann
  • RAF: Rapidly growing fibrosarcoma; wachstumsstimulierende Tyrosinkinase, in mehreren Isoformen (z. B. B-RAF, C-RAF [=RAF-1]) vorkommend; RAS/RAF/MEK/ERK-Signalweg s. Abb. 2
  • RAS: Rat sarcoma; ein Protoonkogen; kodiert für ein monomeres G-Protein; ist wichtiger Teil zahlreicher Signalkaskaden, z. B. RAS/RAF/MEK/ERK-Signalweg s. Abb. 2
  • RET: Tyrosinkinase des GDNF(Glial cell-line derived neurotrophic factor)-Rezeptors (eine wachstumsregulierende Tyrosinkinase)
  • VEGF: Vascular endothelial growth factor
  • VEGFR1–3: VEGF-Rezeptor Typ 1, 2, 3; vermittelt Gefäßneubildungen
  • VHL-Gen: Von-Hippel-Lindau-Gen; ein Tumorsuppressorgen; Mutationen des Gens werden als wichtige Risikofaktoren für die Entstehung von Tumoren eingestuft

Mit Pazopanib (Votrient®; Abb. 1) steht seit Juni 2010 ein weiterer Wirkstoff zur oralen zielgerichteten Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zur Verfügung, dessen Wirkung vornehmlich auf einer effektiven Angiogenesehemmung beruht [5]. Hinsichtlich der Pharmakodynamik, der Pharmakokinetik und der Verträglichkeit bestehen gewisse Unterschiede zwischen den verfügbaren Angiogenesehemmstoffen Pazopanib, Sorafenib und Sunitinib, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.

Abb. 1. Pazopanib

Pharmakodynamik

Pazopanib zählt zu den potentesten Inhibitoren der VEGFR-1-, VEGFR-2-, VEGFR-3-, PDGFR-α-, PDGFR-β- und c-KIT-assoziierten Tyrosinkinase (Tab. 1 und Glossar; Abkürzungen siehe Glossar). Im Gegensatz zu Sunitinib wird die Aktivität der Tyrosinkinasen Flt-3 und RET unter therapeutisch erreichbaren Konzentrationen nicht beeinflusst.

Tab. 1. Inhibitorisches Wirkspektrum (Ki-Werte [nmol/l]) der Tyrosinkinase-Inhibitoren Pazopanib, Sunitinib und Sorafenib, basierend auf präklinischen Untersuchungen an aufgereinigten Enzymen [mod. nach 6]

Enzym

Pazopanib

Sunitinib

Sorafenib

VEGFR-1

15

229

10

VEGFR-2

8

51

4

VEGFR-3

10

30

6

PDGFR-α

30

28

2

PDGFR-β

14

7

5

c-Kit

2,4

0,45

15

Flt-3

230

0,6

22

Die besondere Wirksamkeit von Pazopanib beim Nierenzellkarzinom steht mit der häufig nachgewiesenen Überexpression der proangiogenetisch und antiapoptotisch wirksamen Schlüsselproteine VEGF, PDGF und mTOR in Zusammenhang, die wiederum Ausdruck eines funktionsuntüchtigen VHL-Tumorsuppressorgens sein kann. Das vom VHL-Tumorsuppressorgen kodierte pVHL (siehe Glossar) hat die Aufgabe, das Protein HIF-1α (HIF: Hypoxia-inducible factor) hochaffin zu binden und einer Proteasomen-vermittelten Proteindegradation zuzuführen. Kann es dieser Aufgabe beispielsweise infolge einer Mutation nicht ausreichend nachkommen, so bindet freies HIF-1α an HRE (Hypoxia-responsive elements) innerhalb der Promotorregion von Genabschnitten, die für die Transkription von VEGF und PDGF kodieren. Die verstärkte Neubildung dieser Proteine bewirkt zum einen eine Aktivierung der PI3K/AKT-Signalkaskade, die zur Aktivierung von mTOR (mammalian target of rapamycin) führt, zum anderen eine Stimulierung des RAS/RAF/MEK/ERK-Signalwegs (Abb. 2). In der Folge werden unter anderem die Angiogenese und die Zellproliferation im Tumorgewebe angeregt [5–7].

Abb. 2. Angriffspunkte zielgerichteter Tumortherapeutika Zielgerichtete Tumortherapeutika greifen in die Wechselwirkung von Wachstumsfaktoren mit ihrem Rezeptor oder in die nachgeschaltete Signaltransduktionskette ein und beeinflussen so für das Tumorwachstum relevante Prozesse wie die Angiogenese. Wird HIF-1α nicht ausreichend neutralisiert, kommt es zur verstärkten Transkription des VEGF- und PDGF-Gens und infolge der erhöhten VEGF- und PDGF-Konzentration zu einer starken Aktivierung des RAS/RAF/MEK/ERK- und des PI3K/AKT-Signalwegs. (Abkürzungen siehe Glossar)

Pazopanib ist in der Lage, die Überaktivität der VEGFR- und PDGFR-assoziierten Tyrosinkinase zu hemmen und damit die überstimulierten Signaltransduktionswege herunterzuregulieren [7].

Bisher vorliegende Ergebnisse klinischer Studien lassen den Schluss zu, dass bei einer Pazopanib-Plasmakonzentration von 15 µg/ml mit einem signifikant höheren Ansprechen beim Nierenzellkarzinom zu rechnen ist als bei deutlich niedrigeren Konzentrationen. Dieser Wert stimmt relativ gut mit tierexperimentellen Erfahrungen und bisherigen Beobachtungen in vitro überein, wonach Werte von 17,5 µg/ml (rund 40 nmol/l) mit einer deutlich höheren Wirksamkeit in Verbindung gebracht werden konnten. Darüber hinaus ging eine Plasmakonzentration von ≥15 µg/ml auch mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten einer Pazopanib-assoziierten Hypertonie einher [6, 8].

Pharmakokinetik

Auf der Basis präklinischer Untersuchungen ist davon auszugehen, dass bei einer oralen Gabe von 10 mg/kg eine absolute Bioverfügbarkeit von etwa 72% erreicht wird. Mit höheren Absolutdosen lässt sich sehr wahrscheinlich keine weitere Steigerung der absoluten Bioverfügbarkeit erzielen. Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (Cmax) wird initial zu Therapiebeginn bei Gabe einer Einzeldosis von 800 mg Pazopanib mit etwa 3,5 Stunden und im Verlauf der Therapie (z. B. Tag 22) mit 2 Stunden angegeben.

Wird Pazopanib gemeinsam mit fetthaltiger Nahrung eingenommen, so können sich die Plasma-Spitzenkonzentration und die Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve (AUC, Area under the curve) bis auf das Doppelte gegenüber einer Nüchterneinnahme erhöhen, allerdings ist von erheblichen intra- und interindividuellen Schwankungsbreiten der Plasmaspiegel auszugehen, wenn der Fettgehalt der Nahrung nicht genauer definiert ist. Aus diesem Grund wird empfohlen, Pazopanib entweder mindestens eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit einzunehmen.

Werden die verfügbaren Tabletten (Votrient®) vor der Anwendung zermörsert, so wird die AUC um etwa 46% und die Cmax um etwa 100% erhöht, so dass von einer entsprechenden Zerkleinerung der festen oralen Darreichungsform vor Anwendung abzuraten ist.

Im Plasma sind etwa 99,9% der Dosis an Eiweiß gebunden. Pazopanib wird ausgeprägt in verschiedene Gewebe verteilt. Gegenüber einem monoklonalen Antikörper (z. B. Bevacizumab) ist bei intakter Blut-Hirn-Schranke auch eine deutlich messbare Verteilung des niedermolekularen Antiangiogenese-Wirkstoffs in das zentrale Nervensystem zu erwarten, was mit dem Vorteil eines lang anhaltenden Ansprechens selbst bei zerebralen Tumorbeteiligungen verbunden sein könnte.

Nach täglicher Gabe von 800 mg Pazopanib p. o. über 22 Tage lagen die Cmin-Werte („Tal-Spiegel“) im Mittel bei 24 µg/ml (Tab. 2). Mehr als 90% der behandelten Patienten wiesen in diesem Zusammenhang einen Cmin-Wert von ≥15 µg/ml auf.

Tab. 2. Klinisch-pharmakokinetische Erfahrungen mit Pazopanib nach einmaliger (Tag 1) oder durchgehend täglicher Gabe über 22 Tage [mod. nach 9]

Parameter

400 mg

p. o.

800 mg

p. o.

1000 mg

p. o.

Cmax (µg/ml)

1
22

10,3

21,8

19,4

45,1

36,1

53,2

AUC (µg×h/ml)

1
22

142,8

447,1

275,1

743,3

400,0

796,1

Cmin (µg/ml)

1
22

3,9

10,4

9,4

24,0

12,2

28,8

t1/2 (h)

33,9

31,1

28,6

Cmax: maximale Plasmakonzentration; AUC: Area under the curve = Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve; Cmin: Tal-Plasmakonzentration 24 h nach Einnahme (auch C24); t1/2: Eliminationshalbwertszeit

Die Metabolisierung von Pazopanib wird im Wesentlichen über das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 katalysiert, während CYP1A2 und CYP2C8 von untergeordneter Bedeutung sind. Die vier Hauptmetaboliten tragen nur zu 6% der Exposition im Plasma bei, drei der Metaboliten waren in vitro wesentlich weniger wirksam als die Muttersubstanz. Die antineoplastische Wirksamkeit ist also primär auf die Ausgangssubstanz zurückzuführen.

Die Ausscheidung von unverändertem Pazopanib und seinen Metaboliten erfolgt vorwiegend hepato-biliär, die renale Elimination spielt kaum eine Rolle. Aufgrund der hohen Plasmaeiweißbindung ist sehr wahrscheinlich mit keiner nennenswerten beschleunigten Clearance im Rahmen einer gleichzeitig durchgeführten Hämodialyse zu rechnen. Allerdings stehen hierzu noch klinisch-pharmakokinetische Erfahrungen aus. Die mittlere Eliminationshalbwertszeit von unverändertem Pazopanib liegt bei etwa 30 Stunden (Tab. 2) [9].

Dosierungsempfehlungen

Pazopanib ist in Form seines Hydrochlorids (Pazopanib-HCl) als kapselförmige Filmtablette in den Stärken 200 mg und 400 mg als lactose- und glutenfreies Fertigarzneimittel unter dem Handelsnamen Votrient® verfügbar.

Die allgemein empfohlene Dosierung beträgt einmal täglich 2 Tabletten 400 mg (Absolutdosis: 800 mg), wobei die Zieldosis zur Vermeidung von Nebenwirkungen stufenweise in 200-mg-Schritten auf Basis der individuellen Verträglichkeit angestrebt werden kann. Die Tabletten sollten entweder eine Stunde vor oder zwei Stunden nach dem Essen eingenommen werden. Eine Dosismodifikation ist bis zu einer Creatinin-Clearance von >30 ml/min nicht vorzusehen; klinische Erfahrungen zur Dosierung bei stärker eingeschränkter Nierenfunktion liegen bisher nicht vor. Während bei Patienten mit leichten Leberfunktionsstörungen sehr wahrscheinlich keine Dosisanpassung erforderlich ist, sollten bei mäßig eingeschränkter Leberfunktion (Erhöhung der Bilirubin-Konzentration auf das 1,5- bis 3-Fache des oberen Normwerts [ULN]) nur 200 mg (absolut) als Tagesdosis vorgesehen werden. Bei schwereren Leberfunktionseinschränkungen ist die Gabe von Pazopanib kontraindiziert [10]. Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen, die bei der Anwendung von Pazopanib im Falle einer hepatischen Dysfunktion zu berücksichtigen sind, sind in Abbildung 3 zusammengefasst.

Abb. 3. Algorithmus zur Therapie mit Pazopanib bei Patienten mit Leberwerterhöhungen [Fachinformation Votrient®, Stand Juni 2010]. 1nach Ausschluss eines M. Meulengracht; ALT: Alanin-Aminotransferase; AST: Aspartat-Aminotransferase, ULN: obere Grenze des Normbereichs

Wechselwirkungen

Da das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 im Rahmen der metabolischen Biotransformation von Pazopanib eine Rolle spielt, ist davon auszugehen, dass potente CYP3A4-Induktoren (z. B. Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin, Johanniskraut) sehr wahrscheinlich zu einer signifikanten Abnahme der Pazopanib-Plasmakonzentration – möglicherweise mit der Folge subtherapeutischer Wirkstoffspiegel – führen können. Aus diesem Grund sollte eine gleichzeitige Anwendung von entsprechenden Induktoren während einer Therapie mit Pazopanib, wenn immer möglich, vermieden bzw. auf therapeutische Alternativen ohne entsprechendes Induktionspotenzial umgestellt werden (z. B. Levetiracetam anstelle von Phenytoin).

Hingegen können gleichzeitig angewendete, sehr potente CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Voriconazol, Clarithromycin, Ritonavir) zu einem Anstieg der Pazopanib-Plasmakonzentration führen. Wenn keine therapeutischen Alternativen zur Verfügung stehen, ist – in Abhängigkeit von der gewählten Dosis des Inhibitors und der damit verbundenen Plasmakonzentration – eine Modifikation der initialen Pazopanib-Dosis auf 400 mg indiziert [9, 10]. Selbst von der gleichzeitigen Anwendung von Pazopanib und Grapefruitsaft wird bis auf Weiteres abgeraten.

Da Pazopanib ein Substrat für P-gp (P-Glykoprotein) und BCRP (Brustkrebsresistenz-Protein) ist, sollte eine Kombination mit starken P-gp- und BCRP-Induktoren sowie -Inhibitoren vermieden werden. Bei der gleichzeitigen Anwendung von Lapatinib (→ Substrat und schwacher Inhibitor von CYP3A4 und P-gp und starker Inhibitor von BCRP) und Pazopanib war beispielsweise eine verlangsamte metabolische Clearance des Angiogenese-Hemmstoffs die Folge, so dass modifizierte Dosen im Rahmen einer Kombinationstherapie unter Studienbedingungen berücksichtigt wurden [11].

Von Pazopanib selbst gehen wahrscheinlich moderate CYP3A4-inhibierende Eigenschaften aus, so dass es bei entsprechenden Substraten (z. B. Midazolam) zu einer AUC-Erhöhung um etwa 30% kommen kann. Inwieweit von Pazopanib und seinen Metaboliten klinisch relevante Wechselwirkungen durch eine potenzielle Inhibition bestimmter transmembranär lokalisierter Transport-Polypeptide (z. B. P-gp, organischer Aniontransporter OATP1B1) ausgehen können, bedarf weitergehender Untersuchungen.

Klinisches Studienprogramm

Bereits im Rahmen eines Phase-II-Studienprogramms mit 225 Patienten wurde deutlich, dass Pazopanib zu einem lang anhaltenden Ansprechen bei lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom führen kann, unabhängig davon, ob die Patienten bereits mit Zytokinen vorbehandelt waren oder nicht. Die Patienten erhielten einmal täglich 800 mg Pazopanib p. o. Die Gesamtansprechrate lag bei 34,7% (komplette Remission [CR]: 1,3%, partielle Remission [PR]: 33,3%). 44,9% der Patienten erreichten „Stable Disease“. Das mediane progressionsfreie Überleben lag bei 52 Wochen. Bei 15% der Patienten musste nebenwirkungsbedingt – vor allem auf der Basis veränderter Leberwerte – die Therapie mit Pazopanib vorzeitig abgebrochen werden [12].

Richtungsweisend für die Zulassung waren die Ergebnisse einer groß angelegten randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studie, in die 435 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom eingeschlossen wurden. Weitergehende Informationen zu den Patientencharakteristika und Krankheitsstadien sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Die Patienten erhielten im Rahmen dieser Studie entweder einmal täglich 800 mg Pazopanib p. o. oder Plazebo, so lange, bis es entweder zur Tumorprogression kam, ein Nebenwirkungs-bedingter Therapieabbruch erforderlich wurde oder der Tod eines Patienten eintrat. Primärer Studienendpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS). Sekundäre Endpunkte umfassten das Gesamtüberleben, Ansprechraten und die Schwere der Nebenwirkungen. Von den ausgewerteten Patienten hatten 54% noch keine Vortherapie erhalten, die restlichen 46% waren bereits mit Zytokinen vorbehandelt worden. Der Randomisierungsplan sah vor, dass 66% der Studienteilnehmer mit Pazopanib und 33% mit Plazebo behandelt werden sollten [13].

Tab. 3. Patientencharakteristika und Krankheitsstadien, die in der Phase-III-Studie mit Pazopanib beim Nierenzellkarzinom zu berücksichtigen waren [mod. nach 13]

Pazopanib
(n=290)

Plazebo
(n=145)

Alter [Jahre] (median)
Streubereich

59
28–85

60
25–81

Geschlecht

68% männlich

75% männlich

Ethnischer Ursprung

Weiß (87%)
Asiaten (12%)

Weiß (84%)
Asiaten (16%)

Histologie
- klarzellig
- vorwiegende klarzellig


91%
9%


89%
11%

Zeit Diagnosestellung bis Therapiebeginn [Monate] (median) und Streubereich


15,7
(0–184)


13,8
(1–152)

Metastasen
- Lunge
- Lymphknoten
- Knochen
- Leber
- Nieren


74%
54%
28%
26%
23%


73%
59%
26%
22%
25%

Involvierte Organe
1
2
≥3


18%
27%
55%


14%
34%
52%

ECOG-performance-status
0
1


42%
58%


41%
59%

MSKCC-Risiko (Prognose)
- günstig
- intermediär
- niedrig
- unklar


39%
55%
3%
3%


39%
53%
3%
4%

Vorherige Nephrektomie

89%

88%

Keine Vorbehandlung
Zytokin-Vorbehandlung

53%
47%

54%
46%

ECOG: Eastern Cooperative Oncology Group; MSKCC: Memorial Sloan-Kettering Cancer Center

Pazopanib führte im Gesamtkollektiv gegenüber Plazebo zu einer signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (median 9,2 Monate versus 4,2 Monate), wobei sowohl Zytokin-vorbehandelte (7,4 Monate versus 4,2 Monate) als auch nicht vorbehandelte Patienten (11,1 Monate versus 2,8 Monate) von dem oralen Angiogenese-Hemmstoff profitierten (Abb. 4). Darüber hinaus waren auch die Gesamtansprechraten unter Pazopanib signifikant höher (Gesamtkollektiv: 30% versus 3%) (Tab. 4) [13].

Abb. 4. Progressionsfreies Überleben (PFS) bei nicht vorbehandelten Patienten mit Nierenzellkarzinom [mod. nach 13]. KI: Konfidenzintervall

Tab. 4. Wirksamkeit von Pazopanib im Vergleich zu Plazebo [mod. nach 13]

Patientenkollektiv/

Parameter

Pazopanib

Plazebo

Hazard-Ratio [HR]

(95%-Konfidenzintervall)

p-Wert

Gesamtkollektiv (n=435)

(n=290)

(n=145)

– PFS (median) [Monate]

9,2

4,2

0,46 (0,34–0,62)

<0,0001

– Gesamtansprechrate [%]

30

3

<0,001

Therapienaive Patienten (n=233)

(n=155)

(n=78)

– PFS (median) [Monate]

11,1

2,8

0,40 (0,27–0,60)

<0,0001

– Gesamtansprechrate [%]

32

4

<0,0001

Zytokin-vorbehandelte Patienten (n=202)

(n=135)

(n=67)

– PFS (median) [Monate]

7,4

4,2

0,54 (0,35–0,84)

<0,001

–Gesamtansprechrate [%]

29

3

PFS: progressionsfreies Überleben

Die Rekrutierungsphase der COMPARZ-Studie (Study VEG108844, a study of pazopanib versus sunitinib in the treatment of subjects with locally advanced and/or metastatic renal cell carcinoma) ist inzwischen abgeschlossen. Hierbei handelt es sich um eine direkte Vergleichsstudie, in der voraussichtlich insgesamt 876 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom berücksichtigt werden. Die Patienten des einen Studienarms erhalten täglich 800 mg Pazopanib (durchgehend), die des anderen Studienarms täglich 50 mg Sunitinib (4-Wochen-Therapie, gefolgt von jeweils 2 Wochen Therapiepause). Primärer Studienendpunkt ist das progressionsfreie Überleben. Darüber hinaus wird die Verträglichkeit der Therapieoptionen auf dem Prüfstand stehen [14]. Erste Ergebnisse werden für Ende 2011 erwartet.

Nebenwirkungen unter Pazopanib

Die am häufigsten beschriebenen unerwünschten Begleiterscheinungen unter Pazopanib umfassen ≥erstgradige Diarrhöen, Nausea und Emesis, Fatigue, Veränderungen der Haarfarbe und behandlungsbedürftige Hypertonien. Hinsichtlich signifikant gegenüber Plazebo veränderter Laborparameter fielen unter Pazopanib vorwiegend Erhöhungen der Transaminasen (ALT, AST) und des Serumbilirubins auf (Tab. 5).

Tab. 5. Häufigste Nebenwirkungen unter Pazopanib 800 mg p. o. einmal täglich bei Patienten mit Nierenzellkarzinom im Vergleich zu Plazebo [mod. nach 13]

Pazopanib (n=290) [%]

Plazebo (n=145) [%]

Begleiteffekt

Alle Schweregrade

Grad 3

Grad 4

Alle Schweregrade

Grad 3

Grad 4

Diarrhö

52

3

<1

9

<1

0

Hypertonie

40

4

0

10

<1

0

Haarveränderungen

38

<1

0

3

0

0

Nausea

26

<1

0

9

0

0

Emesis

21

2

<1

8

2

0

Fatigue

19

2

0

8

1

1

Neutropenie

34

1

<1

6

0

0

ALT-Erhöhung

53

10

2

22

1

0

AST-Erhöhung

53

7

<1

19

<1

0

Hyperbilirubinämie

36

3

<1

10

1

<1

Hypophosphatämie

34

4

0

11

0

0

Anmerkung: Expositionsdauer mit Pazopanib 7,4 Monate (median), mit Plazebo: 3,8 Monate (median); ALT: Alanin-Aminotransferase; AST: Aspartat-Aminotransferase

Eine weitergehende Auswertung bei insgesamt 977 mit Pazopanib behandelten Patienten ergab, dass etwa 4% bzw. 14% der Patienten AST-Erhöhungen über das Achtfache bzw. ALT-Erhöhungen über das Dreifache des oberen Normwerts aufwiesen. Aufgrund der potenziellen Hepatotoxizität von Pazopanib sind die Empfehlungen in Abbildung 3 stringent einzuhalten. Weitere Nebenwirkungen des Schweregrads ≥3 umfassten Diarrhöen (Inzidenz: rund 3%) und Hypertonien (Inzidenz: rund 4%). Eine Pazopanib-assoziierte Blutdruckerhöhung entwickelte sich üblicherweise etwa innerhalb von 7,5 Tagen nach Therapiebeginn. Im Falle einer notwendigen antihypertensiven Therapie werden ACE-Hemmer als Mittel der Wahl empfohlen, gefolgt von Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten [13]. Schwere Formen von Fatigue und ausgeprägte Hautreaktionen, wie sie vergleichsweise häufig bei den oralen Anti-VEGF-Therapeutika Sorafenib und Sunitinib beobachtet werden, scheinen unter Pazopanib deutlich seltener aufzutreten. Weitere Nebenwirkungen – allerdings von deutlich geringerem Schweregrad – waren Änderungen der Haarfarbe, Proteinurien (9%), Hautausschläge (8%), Hand-Fuß-Syndrome (6%), Brustschmerzen (5%) und Verlängerungen des QT-Intervalls ≥500 msec (81%) [5, 10, 13].

Erfahrungen zur Verträglichkeit im Vergleich zu anderen oralen VEGFR-TKI

Bisher liegen noch keine Ergebnisse einer direkten Vergleichsstudie zu möglichen Verträglichkeitsunterschieden zwischen den Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) Pazopanib, Sorafenib und Sunitinib vor. Dennoch zeichnen sich erste Erfahrungswerte zu Gemeinsamkeiten und möglichen Unterschieden ab (Tab. 6).

Tab. 6. Nebenwirkungshäufigkeiten (Angabe aller Schweregrade [%]) unter Berücksichtigung der Angaben in den jeweiligen Zulassungsstudien beim Nierenzellkarzinom [mod. nach 5, 13]

Nebenwirkung

Sunitinib

Sorafenib

Pazopanib

Hand-Fuß-Syndrom

20

30

6

Hautausschläge

19

40

8

Anorexie

38

16

22

Diarrhö

53

43

52

Übelkeit

44

23

26

Mukositis/Stomatitis

43

25

4

Hypertonie

24

17

40

Fatigue

51

37

19

Neutropenie

72

Häufig

34

Thrombopenie

65

Häufig

32

Hautausschläge und Hand-Fuß-Syndrom sind sowohl unter Sorafenib als auch unter Sunitinib sehr häufig zu beobachten, während diese Nebenwirkungen bei Pazopanib eine deutlich geringere Rolle spielen (Tab. 6). Ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieser dermatologischen Toxizität und einer möglichen Wirkstoffausscheidung über den Schweiß kann ausgeschlossen werden. Wahrscheinlich sind Wirkstoff-assoziierte Inhibitionen bestimmter Zielstrukturen in der Haut von größerer pathobiochemischer Bedeutung. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang vor allem die Hemmung von Flt-3 und RET (siehe Glossar) durch Sorafenib- und Sunitinib, die beide von Pazopanib nicht nennenswert beeinflusst werden. Somit kann beim Hand-Fuß-Syndrom nicht von einem Substanzklasseneffekt der oralen Anti-VEGF-Therapeutika ausgegangen werden. Allerdings könnten auch zusätzliche genetische Polymorphismen, die die individuelle Empfindlichkeit erhöhen können, eine Rolle spielen [13, 18].

Während eine Hypertonie ≥Grad 3 inzwischen als Substanzklasseneffekt unter den Anti-VEGF-Therapeutika zu sehen ist und möglicherweise sogar mit der Wahrscheinlichkeit eines Tumoransprechens korreliert werden kann, sind Häufigkeit und Schweregrad Wirkstoff-assoziierter Veränderungen der Herzmuskelkraft bis hin zum Herzversagen wahrscheinlich von Wirkstoff zu Wirkstoff unterschiedlich. Teilweise kann es mehrere Wochen dauern, bis ein kardiovaskuläres Ereignis erstmals eintritt. Da PDGF-Rezeptoren auf gesunden Kardiomyozyten konstitutiv exprimiert werden, kann eine Wirkstoff-bedingte Inhibition der PDGFR-assoziierten Tyrosinkinase eine Apoptose von Kardiomyozyten einleiten. Auch die Inhibition von RAF-1 wurde mit einer Apoptose von Kardiomyozyten in Verbindung gebracht. Allerdings ergaben sich Hinweise darauf, dass nach Eintreten eines Herzversagens unter Sunitinib eine weitere Behandlung mit Sorafenib möglich sein kann [19].

Potenzielle Verlängerungen der QT-Zeit unter den oralen VEGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren werden bisher als klinisch kaum relevant eingestuft. Allerdings sind bekannte Risikofaktoren für QT-Zeit-Verlängerungen in der Anamnese, beispielsweise der gleichzeitige Einsatz bestimmter Antiarrhythmika oder klinisch relevante Elektrolytveränderungen, auszuschließen [10, 19].

Hämorrhagien (z. B. Hämaturie, Epistaxis, Hämoptysen, Rektalblutungen), Proteinurien, arterielle Thromboembolien (akuter Myokardinfarkt, Schlaganfall) und Wundheilungsstörungen sind sehr wahrscheinlich Ausdruck der VEGF-Inhibition und ebenfalls als Substanzklasseneffekt aufzufassen. Immer häufiger wird darüber hinaus in den letzten Jahren über Schleimhauttoxizitäten unter Anti-VEGF-Therapeutika berichtet, die teilweise sogar mit schwerwiegenden Läsionen und Nekrosen verbunden waren (z. B. Ulzerationen bis hin zu Perforationen im Bereich des Kolons, Ösophagus oder Magens). Teilweise traten diese Komplikationen erst Monate nach Therapiebeginn auf, so dass die genaue Inzidenz und Schwere noch offen bleibt [15–17].

Inwieweit auch die deutliche Abnahme der Muskelkraft bis hin zur Sarkopenie als ein allmählich auftretender Nebeneffekt zu werten ist, der von allen oralen Anti-VEGF-Therapeutika ausgehen kann, ist noch offen. Bisher wurden besonders ausgeprägte Sarkopenien vor allem mit Sorafenib, das gezielt die RAF-Kinase hemmen kann, in Verbindung gebracht [20]. Auch die Wirkstoff-assoziierte Entstehung einer reversiblen sekundären Erythrozytose, die mit Hämoglobin-Anstiegen von bis zu 4 g/dl verbunden war, bedarf noch weitergehender Untersuchungen [21]. Hingegen sind Neutropenien, die in ausgeprägter Form unter Sunitinib zu beobachten sind, wiederum vielmehr Ausdruck Wirkstoff-assoziierter Inhibition bestimmter Zielstrukturen, da Pazopanib kaum zu Neutropenien führt.

Pharmakoökonomische Überlegungen

Vergleicht man die Tagestherapiekosten (Apothekenverkaufspreise), die mit Pazopanib 800 mg (Votrient®), Sunitinib 50 mg (Sutent®) und Sorafenib 800 mg (Nexavar®) entstehen, so liegen die Kosten mit Pazopanib bei etwa 154 Euro im Vergleich zu etwa 242 Euro (Sunitinib) und 175,50 Euro (Sorafenib).

Im Rahmen einer Kostenminimierungsanalyse sind allerdings die Gesamtkosten über einen definierten Zeitraum zu betrachten, da unter Sunitinib Therapiepausen von 14 Tagen vorgesehen sind. So errechnen sich wiederum unter Pazopanib über einen Zeitraum von 84 Tagen (etwa 3 Monate) Therapiekosten von 12936 Euro, unter Sunitinib von 14036 Euro und unter Sorafenib von 14742 Euro. Anteilsmäßige Kosten einer Supportivtherapie sind dabei nicht berücksichtigt.

Diskussion

Pazopanib ist der dritte verfügbare Vertreter der oralen VEGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren. Es ist sowohl zur Behandlung therapienaiver Patienten als auch zur Therapie Zytokin-vorbehandelter Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom zugelassen. Damit deckt Pazopanib sowohl das Zulassungsspektrum von Sunitinib (Erstlinientherapie) als auch das von Sorafenib (Zweitlinientherapie nach Zytokinen) beim Nierenzellkarzinom ab.

Während einige Nebenwirkungen wie Hypertonie, Proteinurie, arterielle Thromboembolie und Wundheilungsstörungen sehr wahrscheinlich mit dem antiangiogenetischen Wirkungsprinzip verbunden und damit in gewisser Weise als Substanzklasseneffekt zu sehen sind, ergeben sich bei den Hautreaktionen (Hand-Fuß-Syndrom und Hautausschläge), Mukositis/Stomatitis und Fatigue doch sehr wahrscheinlich substanzspezifische Unterschiede, die mit dem jeweiligen Hemmmuster intrazellulärer Tyrosinkinasen in Verbindung zu bringen sind (Tab. 1). Ähnliches gilt auch für Hypothyreosen und myelosuppressive Begleiteffekte, die in ausgeprägterer Form vor allem unter Sunitinib beschrieben werden [6, 9, 13, 22].

Spannend bleibt die Frage, inwieweit ein orales Anti-VEGF-Therapeutikum (z. B. Sorafenib) dann noch wirksam ist, wenn unter einem anderen (z. B. Pazopanib) eine Tumorprogression auftritt. Unter theoretischen Gesichtspunkten wäre ein weiteres Ansprechen nur dann zu erwarten, wenn Unterschiede in den Zielstrukturen (z. B. B-RAF, siehe Glossar) tatsächlich klinisch relevant werden oder bei der vorangegangenen Therapie möglicherweise nicht die notwendigen Zielkonzentrationen im Plasma über die Zeit sichergestellt werden konnte (z. B. durch vergleichsweise hohe intraindividuelle Schwankungen der Plasmaspiegel). In diesem Zusammenhang ist bei Pazopanib unter klinisch-pharmakokinetischen Gesichtspunkten bemerkenswert, dass bei einem Großteil der Patienten unter einmal täglich 800 mg p. o. die Zielkonzentration (Cmin-Werte von ≥15 µg/ml) sicher erreicht und über die Zeit aufrechterhalten werden konnte.

Unter Pazopanib ist eine engmaschigere Überwachung der Leberfunktion (z. B. ALT, AST, Bilirubin) erforderlich, so dass sich unter differenzialtherapeutischen Gesichtspunkten Unterschiede zwischen Pazopanib und Sunitinib ergeben können, wenn entweder hepatische Dysfunktionen oder dermatologische Toxizitäten oder Neutropenien therapielimitierend werden [10]. Da einer aktuellen Erhebung zufolge für viele Patienten das Auftreten von Hautausschlägen und Hand-Fuß-Syndrom sowie Mukositis/Stomatitis und Fatigue unter Sorafenib und Sunitinib sehr belastend sein kann, ist es von Vorteil, mit Pazopanib eine mindestens genauso wirksame, aber gleichzeitig dermatologisch besser verträgliche Substanz für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zur Verfügung zu haben.

Zusammenfassend lassen die Studienergebnisse mit Pazopanib derzeit folgende Schlussfolgerungen zu:

  • Mit einem progressionsfreien Überleben von 11,1 Monaten bei zuvor nicht behandelten Nierenzellkarzinom-Patienten und 7,4 Monaten bei Zytokin-vorbehandelten Patienten ist Pazopanib Sunitinib in der Erstlinientherapie und Sorafenib in der Zweitlinientherapie mindestens ebenbürtig (Tab. 7). Eine Anti-VEGF-Therapie stellt das wirksamste Behandlungsprinzip beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Nierenzellkarzinom dar, soweit keine ungünstigere prognostische Risikokonstellation vorliegt (≥3 von 6 Risikofaktoren).

  • Im Rahmen einer oralen Therapie mit Pazopanib ist die Aufrechterhaltung definierter Cmin-Werte über die Zeit bei einem Großteil der Patienten mit Nierenzellkarzinom sichergestellt. CYP3A4-Induktoren jedweder Art sind – wann immer möglich – als Komedikation zu vermeiden.

  • Während Erhöhungen des Blutdrucks, Proteinurien oder potenziell teratogene Effekte Anti-VEGF-vermittelt sind, ergeben sich substanzspezifische Unterschiede zwischen Pazopanib, Sorafenib und Sunitinib hinsichtlich Ausmaß und Schwere von dermatologischen Toxizitäten, Mukositis/Stomatitis, Fatigue, Neutropenien, behandlungsbedürftigen Hypothyreosen oder hepatischen Dysfunktionen [10].


Weitere Studienergebnisse werden zeigen, welchen Platz Pazopanib zukünftig auch bei der Behandlung des Mammakarzinoms, des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC), des rezidivierenden Glioblastoms, des Prostatakarzinoms und anderer solider Tumoren einnehmen kann und inwieweit durch ein tieferes Verständnis prädiktiver Faktoren das Ansprechen der Patienten weiter verbessert werden kann.

Tab. 7. Immunmodulierende und zielgerichtete Tumortherapeutika, die bisher im Rahmen größer angelegter Studien bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom eingesetzt wurden [mod. nach 1, 2]

Therapie/
Arzneistoff

ORR

PFS

Anmerkungen

Chemotherapie

5–6%

n. a.

Selbst Kombinationstherapien sind mit niedrigen Ansprechraten verbunden

Aldesleukin

21–23% (HD)
10% (LD)

3,1 Monate

Die Hochdosis (HD) ist mit keiner Verbesserung des PFS oder des OS gegenüber niedrigeren Dosen (LD) verbunden

Interferon-α (IFN)

10–15%

4,7 Monate

Ungünstiges Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil

Sunitinib

30–45%

11 Monate (Erstlinientherapie)

Bei unbehandelten Patienten

Sorafenib

2–10%

5,5 Monate bei Zytokin-refraktären
Patienten (Zweitlinientherapie)

PFS in der Erstlinientherapie nicht signifikant besser als mit IFN

Bevacizumab

10–13% (Mono)

26–31% (Kombi)

8,5 Monate bei unbehandelten
Patienten (Erstlinientherapie)
4,8 Monate bei Zytokin-refraktären
Patienten (Zweitlinientherapie)

Monotherapie: 10 mg/kg i. v. alle 2 Wochen

Kombinationstherapie mit IFN-α-2a

Pazopanib

32%
29%

11,1 Monate (Erstlinientherapie)
7,4 Monate (Zweitlinientherapie)

Bei unbehandelten Patienten
Bei Zytokin-vorbehandelten Patienten

Temsirolimus

7–9%

3,7 Monate (Erstlinientherapie)

Überlegenheit gegenüber IFN-α; indiziert bei Patienten mit ungünstigem Risikoprofil

Everolimus

2%

4,9 Monate (Zweitlinientherapie)

Verlängerung des PFS bei günstigem und ungünstigem Risikoprofil

ORR: Gesamtansprechrate (partielle und komplette Remission), PFS: progressionsfreies Überleben; OS: Gesamtüberleben; HD: hoch dosiert; LD: niedrig dosiert; Mono: Monotherapie; Kombi: Kombinationstherapie; n. a.: nicht angegeben

Interessenkonflikterklärung

Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

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Dr. Hans-Peter Lipp, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Tübingen, Röntgenweg 9, 72076 Tübingen, E-Mail: Hans-Peter.Lipp@med.uni-tuebingen.de

Pazopanib in advanced renal cell carcinoma

Novel oral inhibitor of angiogenesis with a different toxicity profile

Besides sunitinib and sorafenib, pazopanib represents the third congener of the orally available inhibitors of the VEGF- and PDGF-receptor-associated tyrosine kinase. Based on the phase-III-study results, pazopanib can be used in previously untreated as well as cytokine-pretreated patients with advanced renal cell carcinoma (RCC). Similar clinical efficacy was achieved with 800 mg p. o. once daily compared to sunitinib during first-line treatment of RCC. Whereas the incidence of dermatologic toxicity, mucositis/stomatitis, fatigue as well as neutropenia appears to be clearly lower with pazopanib, during treatment with pazopanib and sunitinib close monitoring of liver function is mandatory based on very frequently observed increases of liver enzymes due to class related effects.

Key words: Pazopanib, renal cell carcinoma, indications, clinical pharmacokinetics, spectrum of side effects

Arzneimitteltherapie 2010; 28(12)