Akute Koronarsyndrome

Beeinflussen genetische Polymorphismen das Behandlungsergebnis?


Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Der orale, reversible Plättcheninhibitor Ticagrelor (BriliqueTM) ist bei akuten Koronarsyndromen wirksamer als Clopidogrel und zwar unabhängig von CYP2C19- und ABCB1-Polymorphismen. Bei Anwendung von Ticagrelor erübrigen sich daher die derzeit empfohlenen genetischen Tests vor Beginn einer dualen Antiplättchen-Therapie.

Die duale Antiplättchentherapie, bestehend aus Acetylsalicylsäure und einem Thienopyridinderivat, wird zur Behandlung bei akutem Koronarsyndrom empfohlen, um das Auftreten von erneuten ischämischen Ereignissen und Stent-Thrombosen zu verhindern.

Die Thienopyridine Clopidogrel (Plavix®) und Prasugrel (Efient®) sind orale Prodrugs, die zunächst in aktive Metaboliten umgewandelt werden müssen, bevor sie irreversibel an den P2Y12-Rezeptor binden. Ungefähr 85% von Clopidogrel werden zu einem inaktiven Metaboliten hydrolisiert, der Rest wird über zwei sequenzielle Cytochrom-P450-abhängige Schritte umgewandelt. Daran beteiligt sind verschiedene Isoenzyme, darunter insbesondere CYP2C19. Der CYP2C19-Genotyp beeinflusst beide metabolischen Schritte und ist die wichtigste Determinante der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Antwort auf Clopidogrel, obwohl er nur 12% der bekannten Variabilität erklärt. Bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom, einer Stent-Implantation oder beidem ist das Vorliegen von CYP2C19-Allelen, die zu einer verminderten Enzymaktivität führen, mit einem erhöhten Risiko für ischämische Ereignisse und Stent-Thrombosen verbunden. CYP2C19-Allele, die zu einer gesteigerten Enzymaktivität führen, gehen mit einem erhöhten Blutungsrisiko einher. Polymorphismen in den Genen, die Absorption und Efflux von Clopidogrel regulieren, beispielsweise in dem Gen, das für den Effluxtransporter ABCB1 (siehe Kasten) kodiert, könnten die Häufigkeit klinischer Ereignisse während der Behandlung ebenfalls beeinflussen.

ABCB1

ABCB1 (P-Glykoprotein, Pgp; Genprodukt von MDR1) ist ein Effluxtransporter aus der Familie der ABC-Transporter (ATP-binding cassette superfamily). Unter Verbrauch von ATP werden über diesen Transporter viele strukturell unterschiedliche Substrate (verschiedene Arzneistoffe, z. B. Digoxin, Verapamil, Ciclosporin, Paclitaxel, aber auch Nahrungsbestandteile) transportiert. Eine Überexpression des ABCB1-Transporters steht bei Tumorzellen in Zusammenhang mit Resistenzen gegenüber zahlreichen Zytostatika.

Ticagrelor ist der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse, der sogenannten Cyclopentyltriazolopyrimidine, der direkt an den P2Y12-Rezeptor bindet und für seine pharmakodynamische Aktivität metabolisch nicht aktiviert werden muss. Im Vergleich zu Clopidogrel inhibiert Ticagrelor die Blutplättchen stärker, die Wirkung tritt schneller ein und lässt auch schneller wieder nach. Derzeit sind keine genetischen Determinanten bekannt, die die Wirkung von Tigacrelor beeinflussen, es wird allerdings vermutet, dass ABCB1-Polymorphismen Einfluss auf die Ticagrelor-Absorption haben könnten.

In der randomisierten, doppelblinden PLATO(Platelet inhibition and patient outcomes)-Studie wurde Ticagrelor mit Clopidogrel bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom verglichen (Studiendesign und -ergebnisse siehe S. 62). In einer Substudie der PLATO-Studie wurde nun untersucht, inwieweit CYP2C19- und ABCB1-Polymorphismen die Therapiewirksamkeit und -sicherheit von Ticagrelor und Clopidogrel beeinflussen.

Studienziel und -design

Insgesamt 10285 Patienten aus der PLATO-Studie (5137 aus dem Ticagrelor- und 5148 aus dem Clopidogrel-Arm) willigten ein, Proben für die genetischen Analysen zur Verfügung zu stellen. Die Patientencharakteristika waren zwischen den Studienarmen gut ausbalanciert und stimmten – abgesehen von einem etwas größeren Anteil an Patienten mit weißer Hautfarbe (98% vs. 92%) – mit denen der gesamten PLATO-Studienpopulation überein.

Die DNS-Proben wurden auf den Genotyp der CYP2C19-Allele (Allele mit Funktionsverlust, sog. Loss-of-function-Allele: *2,*3,*4,*5,*6,*7 und *8; hyperaktive Genvariante: *17) sowie das Vorliegen des ABCB1-Einzelnukleotid-Polymorphismus 3435C→T untersucht. Anschließend wurden die Patienten anhand des CYP2C19-Genotyps nach Vorliegen oder Fehlen von Allelen mit Funktionsverlust und anhand des ABCB1-Genotyps nach dem voraussichtlich zu erwartenden Genexpressionsniveau (hoch, mittel, niedrig) stratifiziert.

Primärer Studienendpunkt war die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall nach einer bis zu 12-monatigen Behandlung mit Ticagrelor oder Clopidogrel.

Studienergebnis

Unabhängig vom CYP2C19-Genotyp trat der primäre Endpunkt bei den mit Ticagrelor behandelten Patienten seltener auf als unter Clopidogrel: Bei Patienten mit Loss-of-function-Allelen bei 8,6% vs. 11,2% (Hazard-Ratio [HR] 0,77; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,60–0,99; p=0,0380), bei den Patienten ohne Loss-of-function-Allele bei 8,8% vs. 10,0% (HR 0,86; 95%-KI 0,74–1,01; p=0,0608). Der Effekt der Genotyp-Gruppen (Vorliegen/Fehlen von Loss-of-function-Allelen) auf den Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen war nicht statistisch signifikant (Interaktion p=0,46).

Innerhalb der Clopidogrel-Gruppe war die Ereignisrate für den primären Endpunkt nach 30 Tagen bei Patienten mit CYP2C19-Allelen mit Funktionsverlust höher als bei Patienten ohne Loss-of-function-Allele (5,7% gegenüber 3,8%; p=0,028). Daraus ergab sich zu diesem frühen Zeitpunkt nur in der Behandlung der Patienten mit Enzymverlust ein relativ deutlicher Unterschied in den Ereignisraten zwischen den beiden Behandlungsgruppen (4,1% unter Ticagrelor vs. 5,7% unter Clopidogrel; p=0,078). Eine Analyse des Zeitraums von Tag 31 bis zum Ende des Follow-ups ergab bei den Patienten mit Loss-of-function-Allelen in beiden Behandlungsgruppen vergleichbare Ereignisraten; bei Patienten ohne Enzymfunktionsverlust war die Ereignisrate in diesem Zeitraum unter Ticagrelor geringer (p=0,017).

Die Ereignisraten für den primären Endpunkt waren im Ticagrelor-Arm auch für alle Genotyp-Gruppen des ABCB1-Genotyps niedriger als unter Clopidogrel; statistisch signifikant war der Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen allerdings nur in der Gruppe mit dem höchsten zu erwartenden Expressionsniveau (8,8% vs. 11,9%; HR 0,71; 95%-KI 0,55–0,92; p=0,0104). Insgesamt konnte auch für die ABCB1-Genotyp-Gruppen kein signifikanter Einfluss auf die Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen nachgewiesen werden (Interaktion p=0,39).

Bei Patienten im Clopidogrel-Arm mit einem CYP2C19-Genotyp, der zu einer vermehrten Bildung des aktiven Metaboliten führt, traten häufiger größere Blutungen auf (11,9%) als bei Patienten ohne hyperaktive Genvariante oder mit Allelen mit Funktionsverlust (9,5%; p=0,022). Allerdings war die Interaktion zwischen den Behandlungs- und Genotyp-Gruppen für keine Art von größeren Blutungen signifikant.

Fazit

Die vorliegende Substudie der PLATO-Studie liefert die bislang umfangreichste Datensammlung zu den Auswirkungen des genetischen Profils auf die Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom mit oralen Thrombozytenfunktionshemmern.

Ticagrelor erwies sich bei der Vermeidung des primären kombinierten Endpunkts (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall) unabhängig von der genetischen Variabilität in Bezug auf CYP2C19 und ABCB1 als wirksamer als Clopidogrel. Bei Anwendung von Ticagrelor kann auf diesbezügliche genetische Tests vor Behandlungsbeginn verzichtet werden. Ob Polymorphismen in anderen Genen (z.B. für CYP3A4 oder CYP3A5) Einfluss auf die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Ticagrelor oder auch Prasugrel nehmen können, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sind weitere prospektive Studien erforderlich, in denen verschiedene Antiplättchentherapien in Abhängigkeit von individuellen Patientencharakteristika (genetisches Profil, Plättchenaktivität, Arzneistoffinteraktionen und verschiedene Risikofaktoren) untersucht werden. Nur so können Therapiestrategien identifiziert werden, die dem einzelnen Patienten in einer klinischen Hochrisikogruppe den besten Nutzen bringen.

Quellen

Giusti B, Abbate R. Response to antiplatelet treatment: from genes to outcome. Lancet 2010;376:1278–81.

Wallentin L, etal. Effect of CYP2C19 and ABCB1 single nucleotide polymorphisms on outcomes of treatment with ticagrelor versus clopidogrel for acute coronary syndromes: a genetic substudy of the PLATO trial. Lancet 2010;376:1320–8.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(02)