Dr. med. Claudia Borchard-Tuch, Zusmarshausen
Das Risiko für tödliche und nichttödliche vaskuläre Ereignisse wird durch Acetylsalicylsäure (ASS; z.B. Aspirin®) um 15 bis 44% gesenkt. Das bedeutet andererseits, dass es es bei einer beträchtlichen Zahl von Patienten trotz ASS-Prophylaxe zu einem kardiovaskulären Ereignis kommt. Bisher wurde angenommen, dass Acetylsalicylsäure in diesen Fällen ihre plättchenfunktionshemmende Wirkung vermissen lässt.
Eine israelische Studie kommt zu einem anderen Ergebnis.
Studiendesign und -ziel
174 konsekutive Patienten, die innerhalb der zurückliegenden 12 Stunden einen akuten Myokardinfarkt erlitten hatten, wurden in die prospektive, nicht randomisierte Beobachtungsstudie aufgenommen. Bei 56 Patienten, die vor dem Myokardinfarkt länger als eine Woche ASS erhalten hatten, wurde ein klinisches Versagen der ASS-Prophylaxe diagnostiziert („ASS-Versager“). Die übrigen Patienten wurden als ASS-naiv eingestuft. Alle Patienten erhielten nach dem Infarkt eine Anfangsdosis von 300 mg ASS plus 300 mg Clopidogrel (z.B. Plavix®) und in der Folgezeit täglich 100 mg ASS (+ 75 mg Clopidogrel).
In beiden Gruppen wurden Merkmale und Vorerkrankungen erfasst, die in Zusammenhang mit kardiovaskulären Ereignissen stehen.
Um festzustellen, ob das Versagen der ASS-Prophylaxe auf einem unzureichenden Ansprechen der Thrombozyten beruht, wurde bei allen Patienten ≥72 Stunden nach Beginn der ASS-Therapie die Plättchenreaktivität auf Adenosindiphosphat und Arachidonsäure bestimmt.
Während des Krankenhausaufenthalts wurden die Häufigkeiten von Herzversagen, Reinfarkt, pektanginösen Beschwerden und Schlaganfall in beiden Gruppen erfasst. Sechs Monate später wurden die Inzidenzen von kardiovaskulären Ereignissen in beiden Gruppen anamnestisch bestimmt. Zu diesen Ereignissen zählten rezidivierende pektanginöse Beschwerden, akutes Koronarsyndrom, Herzinsuffizienz und Schlaganfall.
Studienergebnisse
Patienten mit klinischem Versagen der ASS-Therapie waren in der Regel älter und litten eher unter Bluthochdruck sowie Hyperlipidämie. Zudem war bei ihnen häufiger ein früheres kardiovaskuläres Ereignis aufgetreten (Tab. 1).
Tab. 1. Individuelle Charakteristika und Vorerkrankungen
Variable |
ASS-naiv (n=118) |
„ASS-Versager“ (n=56) |
p-Wert |
Alter [Jahre] |
58±11 |
63±11 |
0,003 |
Männliches Geschlecht |
85% |
80% |
0,5 |
Raucher |
45% |
32% |
0,1 |
Hyperlipidämie |
34% |
68% |
<0,001 |
Diabetes mellitus |
22% |
36% |
0,051 |
Hypertonie |
41% |
71% |
<0,001 |
Creatinin-Spiegel [mg/dl] |
1,02±0,18 |
1,04±0,3 |
0,62 |
Vorausgegangener Myokardinfarkt |
6% |
34% |
<0,001 |
Vorausgegangener koronarer Bypass |
1,7% |
11% |
0,007 |
Vorausgegangene perkutane Koronarintervention |
4% |
23% |
<0,001 |
Einnahme von ACE-Hemmern |
8% |
41% |
<0,001 |
Einnahme von Betablockern |
7% |
32% |
<0,001 |
Einnahme von Statinen |
9% |
63% |
<0,001 |
Die Plättchenfunktionstests ergaben bei Patienten mit ASS-Vorbehandlung zwar eine schwächere Reaktion auf Arachidonsäure; nach Berücksichtigung prädiktiver Faktoren für die ASS-Einnahme zeigten sich aber keine statistisch signifikanten Gruppenunterschiede mehr.
Die kumulative Inzidenz von schwerwiegenden Koronarereignissen (Tod, rezidivierendes akutes Koronarsyndrom, Schlaganfall) war bei Patienten mit klinischem Versagen der ASS-Therapie deutlich höher (14,3% vs. 2,5%, p<0,01) (Tab. 2).
Tab. 2. Kardiovaskuläre Ereignisse in den ersten 6 Monaten nach dem Index-Myokardinfarkt
Variable |
ASS-naiv |
„ASS-Versager“ |
p-Wert |
Rezidivierende Angina-pectoris-Anfälle |
6% |
14% |
0,06 |
Rezidivierendes akutes Koronarsyndrom |
2,5% |
9% |
0,057 |
Rezidivierender Myokardinfarkt |
0,8% |
7% |
0,019 |
Herzinsuffizienz |
2,5% |
1,8% |
0,8 |
Chirurgische Revaskularisation |
3,4% |
8,8% |
0,12 |
Schlaganfall |
0% |
0% |
0,9 |
Tod |
0% |
1,8% |
0,15 |
Schwerwiegende Koronarereignisse |
2,5% |
14,3% |
<0,01 |
Diskussion
Dass Patienten mit klinischem Versagen der ASS-Therapie ein höheres persönliches Risikoprofil für kardiovaskuläre Ereignisse haben, ist bereits aus früheren Studien bekannt. Neu hingegen ist das Ergebnis, dass ASS bei diesen Patienten seinen plättchenfunktionshemmenden Effekt normal entfaltet. Dieses Resultat sollte in weiteren Studien überprüft werden.
Fazit
Eine beträchtliche Anzahl von Patienten entwickelt trotz Behandlung mit ASS schwere Gefäßkomplikationen. Dies dürfte zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein, dass der plättchenfunktionshemmende Effekt von ASS nicht ausreicht, um thromboembolische Prozesse auf Basis einer Atherosklerose zu verhindern.
Quelle
Beigel R, et al. Relation of aspirin failure to clinical outcome and to platelet response to aspirin in patients with acute myocardial infarction. Am J Cardiol 2011;107:339–42.
Arzneimitteltherapie 2011; 29(04)