Anaphylaktischer Schock

Die sofortige Therapieeinleitung ist essenziell


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Bei einem anaphylaktischen Schock handelt es sich um eine schwere systemische Überempfindlichkeitsreaktion, die meist immunologisch vermittelt wird. Entscheidend für die Prognose ist eine sofortige Therapieeinleitung mit Volumensubstitution, Catecholamin-, Antihistaminika- und Glucocorticoid-Gabe. Die Behandlung des anaphylaktischen Schocks war Thema eines Seminars im Rahmen des Kongresses Interdisziplinäre Intensivmedizin, der vom 6. bis 10. März 2011 in Garmisch-Partenkirchen stattfand.

Der anaphylaktische Schock ist eine schwere systemische, immer lebensbedrohliche Überempfindlichkeitsreaktion. Meist handelt es sich um eine IgE-vermittelte Typ-I-Reaktion. Es kann jedoch auch eine anaphylaktoide Überempfindlichkeitsreaktion vorliegen, die durch physikalische, chemische oder osmotische Einflüsse provoziert wird, also IgE-unabhängig ist. Welcher Pathomechanismus zugrunde liegt, lässt sich anhand des klinischen Bilds des anaphylaktischen Schocks jedoch nicht differenzieren und ist deshalb für das therapeutische Management auch nicht relevant.

Nahrungsmittel, Medikamente, Latex und Insektenstiche sind die häufigsten Auslöser einer anaphylaktischen Reaktion. Pathophysiologisch steht eine Mediatorenfreisetzung aus Mastzellen und basophilen Granulozyten im Mittelpunkt. Dabei werden neben Histamin und Heparin auch Proteasen, Zytokine und Chemokine durch Degranulation freigesetzt. Dadurch kommt es zu einer Erhöhung der Gefäßpermeabilität, einer ausgeprägten Vasodilatation und Bronchospasmus. Folge ist eine Verteilungsstörung des Blutvolumens im Sinne eines distributiven Schocks.

Kardinalsymptome der anaphylaktischen Reaktion sind:

  • Hautsymptome (Pruritus, Flush, Erythem, Urtikaria, Angioödem)
  • Blutdruckabfall und Tachykardie
  • Atemwegsobstruktion mit Stridor, Bronchialobstruktion
  • Gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, kolikartige Bauchschmerzen, Harn- und Stuhldrang bzw. -abgang)

Entsprechend der Symptomatik der anaphylaktischen Sofortreaktion werden folgende Stadien unterschieden:

  • 0: Lokal begrenzte kutane Reaktion
  • I: Leichte Allgemeinreaktion mit disseminierter kutaner Reaktion; Schleimhautreaktionen
  • II: Ausgeprägte Allgemeinreaktionen mit Kreislaufdysregulation (Blutdruckabfall, Tachykardie); beginnender Bronchospasmus mit leichter Dyspnoe
  • III: Bedrohliche Allgemeinreaktion bis hin zum Schock; ausgeprägter Bronchospasmus mit starker Dyspnoe; Bewusstseinstrübung
  • IV: Atem- und Kreislaufstillstand

Insgesamt variiert das klinische Bild in Abhängigkeit von der Eintrittspforte des Antigens, der Absorptionsrate und dem Grad der Sensibilisierung. So können in schweren Fällen bei intravenöser Antigenzufuhr Hauterscheinungen und Atembeschwerden sogar fehlen und unmittelbar ein Schock oder Kreislaufstillstand eintreten. Auch kann das beschwerdefreie Intervall Minuten bis mehrere Stunden betragen.

Multimodales Vorgehen

Bei der Therapie des anaphylaktischen Schocks müssen möglichst parallel mehrere Maßnahmen eingeleitet werden:

  • Beendigung der Zufuhr des auslösenden Agens
  • Offenhalten der Atemwege und Sauerstoffzufuhr
  • Volumensubstitution
  • Catecholamin-Gabe
  • Antihistaminika-Gabe
  • Glucocorticoid-Gabe

Primär sollte jeder Patient einen weitlumigen venösen Zugang erhalten und es sollte Sauerstoff entweder über eine Maske oder eine Nasensonde in einer Dosierung von 5 Litern pro Minute zugeführt werden. Bei schwerer Schocksymptomatik, bei Hypoxie mit Zyanose sowie starker Dyspnoe mit zunehmender Obstruktion der Atemwege oder des Bronchialsystems sind Intubation und Beatmung unumgänglich. Allerdings kann die Intubation aufgrund eines Ödems der oberen Atemwege erschwert oder sogar unmöglich sein, so dass als Ultima Ratio eine Koniotomie erforderlich werden kann.

Darüber hinaus ist immer eine Erhöhung der Vorlast durch eine forcierte Zufuhr von Vollelektrolytlösungen (z.B. Jonosteril®) und/oder Kolloidlösungen (z.B. HAES-steril®) erforderlich. Zur Deckung des Volumenbedarfs werden meist 1000 bis 2000 ml einer kolloidalen Lösung oder 4000 bis 6000 ml einer kristalloiden Lösung benötigt. Um einen raschen Volumeneffekt zu erreichen, scheint die kombinierte Gabe sinnvoll.

Weitere therapeutische Ziele sind eine Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands, die Steigerung der kardialen Inotropie und eine Broncholyse. Dies wird durch die intravenöse Zufuhr von Epinephrin (Adrenalin; z.B. Suprarenin®, als Boli von 50 bis 100 µg) erreicht. Bei einer Adrenalin-refraktären Hypotonie sollte zusätzlich Norepinephrin (Noradrenalin; Arterenol®) gegeben werden. Als Ultima Ratio gilt die intravenöse Gabe von 1-mal 40 Einheiten Vasopressin.

Aufgrund des langsamen Wirkungseinstritts spielen Glucocorticoide in der akuten Phase einer anaphylaktischen Reaktion nur eine nachgeordnete Rolle. Die Indikation für die Gabe von Glucocorticoiden (500 bis 1000 mg Prednisolon; z. B. Solu-Decortin® H) besteht bei schweren Bronchospasmen sowie verzögert-progredienter Symptomatik. Ergänzend empfiehlt sich die Gabe von Antihistaminika (2 mg Clemastin [Tavegil®] + 50 mg Ranitidin i. v.), um die Histamin-vermittelte Vasodilatation und Bronchokonstriktion zu durchbrechen. Bei schwerer Bronchospastik kann zusätzlich noch Theophyllin eingesetzt werden.

Grundsätzlich sollten alle Patienten mit einer ausgeprägten anaphylaktischen Reaktion stationär aufgenommen und überwacht werden – auch dann, wenn die Initialtherapie erfolgreich war, denn Spätreaktionen mit Arrhythmien, myokardialer Ischämie oder respiratorischer Insuffizienz können auch noch 12 Stunden nach dem Erstereignis auftreten.

Fazit

Der anaphylaktische Schock ist eine immer lebensbedrohliche systemische Überempfindlichkeitsreaktion, die eine frühzeitige Diagnostik und Therapieeinleitung erfordert. Dazu gehören – neben Sauerstoffzufuhr und eventuell Beatmung – Volumensubstitution sowie Gabe von Catecholaminen, Glucocorticoiden und Antihistaminika.

Quellen

1. Prof. H. A. Adams, Hannover, Seminar „Schock“, Seminarkongress „Interdisziplinäre Intensivmedizin“, Garmisch-Partenkirchen, 10. März 2011.

2. Soar J, et al. European Resuscitation Council. European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Section 7. Cardiac arrest in special circumstances. Resuscitation 2005;67(Suppl 1):135–70.

3. Ellis AK, et al. Diagnosis and management of anaphylaxis. CAMJ 2003;169:307–11.

4. Dewachter P, et al. Anaphylaxis and anesthesia: controversies and new insights. Anesthesiology 2009;111:1141–50.

5. El-Shanawany, et al. Clinical immunology review series; an approach to the patient with anaphylaxis. Clin Exp Immunol 2008;153:1–9.

6. Ring J, et al. Incidence and severity of anaphylactoid reactions to colloid volume substitutes. Lancet 1977;1:466–9.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(06)