Epileptische Anfälle auf der Intensivstation

Die Therapie orientiert sich am Anfallstyp


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Voraussetzung für eine adäquate Therapie epileptischer Anfälle bei Intensivpatienten ist die rasche zuverlässige Diagnosestellung, was bei nichtkonvulsiven Anfällen nicht immer einfach ist. Im Mittelpunkt der Therapie steht, soweit möglich, die Behandlung der Grunderkrankung. Dazu kommt – neben der Vermeidung oder Behandlung von Komplikationen – eine spezifische antikonvulsive Therapie, die bei einem epileptischen Status frühzeitig und in ausreichend hoher Dosierung durchgeführt werden sollte. Die Therapie epileptischer Anfälle bei Patienten auf der Intensivstation war Thema eines Seminars im Rahmen des Kongresses Interdisziplinäre Intensivmedizin, der vom 6. bis 10. März 2011 in Garmisch-Partenkirchen stattfand.

Patienten mit Krampfanfall/Status epilepticus sind keine seltene Herausforderung im Bereich der Intensivmedizin. In etwa 25% der Fälle handelt es sich um nichtkonvulsive Anfälle (Absencen oder komplex-fokale Anfälle). Gerade die Diagnostik solcher nichtkonvulsiver Anfälle bereitet bei Patienten mit vorbestehender Bewusstseinstrübung oftmals diagnostische Probleme, die nur mit Hilfe einer besseren Verfügbarkeit von EEG und EEG-Monitoring auf Intensivstationen behoben werden können. Grundsätzlich sollte bei jedem Verdacht auf einen Krampfanfall oder bei unklarer Bewusstlosigkeit ein EEG angefertigt werden. Bei komatösen Patienten, beispielsweise infolge eines hypoxischen Hirnschadens, können leichte Myoklonien im Bereich der periokulären Muskulatur, der Hände oder Füße ein klinischer Hinweis auf einen epileptischen Anfall sein.

Vielfältige Ursachen

Tritt bei Patienten auf der Intensivstation ein Krampfanfall/Status epilepticus auf, müssen vielfältige Ursachen diskutiert werden. Dazu gehören neben chronischen und akuten Hirnläsionen wie Enzephalitis, Insult, Trauma, Hypoxie oder Neoplasien auch Elektrolytentgleisungen, Überinfusionen, metabolische Störungen, Intoxikationen und Entzugssyndrome. Neben einer symptomatischen Therapie ist die Abklärung der Ätiologie mittels Bildgebung (vorzugsweise MRT) auch im Hinblick auf die prognostische Beurteilung unverzichtbar. Zur Diagnostik gehören zudem eine umfassende Labordiagnostik einschließlich Toxikologie und eine Liquorpunktion mit Bestimmung von Autoantikörpern.

Differenzialtherapie mit Antikonvulsiva

Die antikonvulsive Therapie sollte sich am Anfalls- bzw. Statustyp orientieren. Absencen sind – auch im Status – in der Regel mit geringen Dosen eines Benzodiazepins gut behandelbar. Ein Status einfacher fokaler Anfälle kann dagegen oftmals nur schwer medikamentös durchbrochen werden, verläuft bei akuten Hirnschäden wie auch bei einer Hirnblutung jedoch häufig selbstlimitierend, so dass im Einzelfall Risiken und Nutzen einer Therapie abgewogen werden müssen [1].

Bei den übrigen Anfallstypen sollte nach einem einmaligen Ereignis in Abhängigkeit vom klinischen Befund bis zu 3-mal 1 mg Lorazepam (Tavor®) appliziert werden. Anschließend empfiehlt sich unter diesem „Benzodiazepin-Schutz“ die rasche Aufsättigung mit einem Antiepileptikum in den therapeutischen Bereich. Zu den i. v. applizierbaren Substanzen gehören Valproinsäure (z. B. Ergenyl®), Levetiracetam (Keppra®), Phenytoin (Phenhydan®) und Lacosamid (Vimpat®), wobei die entsprechenden Kontraindikationen beachtet werden müssen.

Bei beatmeten Patienten sollten auch Midazolam (z. B. Dormicum®) oder Propofol (z. B. Disoprivan®) als Dauerinfusionen erwogen werden. Bei Phenytoin ist eine Dosierung von 18 mg/kg Körpergewicht über 30 Minuten notwendig. Da Phenytoin gewebetoxisch ist, sollte die Applikation keinesfalls über kleine peripher liegende Zugänge erfolgen.

Notfall: Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle

Bei einem Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle sollte initial Lorazepam in einer Dosierung bis 0,1 mg/kg Körpergewicht oder Diazepam (z. B. Diazepam-®Lipuro) in einer Dosierung von 0,5 mg/kg Körpergewicht i. v. gegeben werden. Lorazepam war Diazepam in vergleichenden Studien tendenziell überlegen, eine statistische Signifikanz wurde jedoch nur in Metaanalysen erreicht [2].

Kann der Status dadurch nicht durchbrochen werden, besteht die Indikation für Phenytoin in einer Dosierung von 20 mg/kg Körpergewicht bei einer Infusionsgeschwindigkeit von maximal 50 mg/min, nach Möglichkeit über einen zentralen Zugang. Eine Alternative ist Fosphenytoin (in Deutschland nicht im Handel; Dosierung: 15–20 mg/kg; Infusionsgeschwindigkeit: max. 150 mg/min). Der Vorteil liegt in der besseren perivenösen Verträglichkeit und den geringeren kardiovaskulären Nebenwirkungen.

Als Therapie der dritten Wahl bei Patienten mit einem Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle gilt heute Valproinsäure, die auch als Medikament der ersten Wahl bei einem Absencen-Status zugelassen ist [3–6].

Kann ein Status durch Benzodiazepine und Phenytoin nicht durchbrochen werden, sind Intubation und Beatmung erforderlich.

Als weitere medikamentöse Therapieoptionen stehen für solche Patienten Phenobarbital (Cave: Blutdruckabfälle), Thiopental (Cave: gewebetoxisch → Applikation nicht über kleinen peripheren Zugang), Midazolam und Propofol zur Verfügung (Dosierungsempfehlungen siehe Tabelle 1). Letzteres ist bei Kindern wegen der Gefahr eines Propofol-Infusionssyndroms mit dem Risiko einer tödlichen Lactatazidose kontraindiziert.

Tab. 1. Medikamentöse Therapie generalisierter tonisch-klonischer Anfälle im Status [1]

Arzneistoff/Handelsname (Beispiel)

Dosierung

Initialtherapie:

Lorazepam (Tavor®)

Bis 0,1 mg/kg KG i. v.

Diazepam (z. B. Diazepam-®Lipuro)

0,5 mg/kg KG i. v.

Bei Fortbestehen des Status:

Phenytoin* (Phenhydan®)

20 mg/kg KG i. v. (max. 50 mg/min)

Valproinsäure (z. B. Ergenyl®)

Initial 10–20 mg/kg KG Natriumvalproinsäure als Bolus i. v. innerhalb von 5–10 min, dann kontinuierlich maximal 6 mg/kg KG/h; die Infusionsdauer sollte mindestens 24 h betragen

Phenobarbital (Luminal®)

20 mg/kg KG i. v. (max. 100 mg/min)

Thiopental (Trapanal®)

100–250 mg über 20 Sekunden i. v., gefolgt von weiteren Boli à 50 mg alle 2–3 Minuten

Midazolam (z. B. Dormicum®)

Initial 0,15–0,2 mg/kg KG i. v. (Bolus), dann 0,1–0,4 mg/kg KG/h

Propofol (z. B. Disoprivan®)

Initial 2 mg/kg KG i. v. (Bolus), dann 6–12 mg/kg KG/h

KG: Körpergewicht; *Mittel der ersten Wahl

Fazit

Die Behandlung von Patienten mit einem Krampfanfall oder einem Status epilepticus ist eine besondere Herausforderung in der Intensivmedizin. Vorrangig ist die frühzeitige Diagnosestellung mittels EEG. Bei der Therapie mit Antikonvulsiva sollte der Anfallstyp berücksichtigt werden. Ein Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle ist immer ein intensivmedizinischer Notfall, der eine ausreichend hoch dosierte Therapie mit Antikonvulsiva i. v. erfordert. Bei Therapierefraktärität besteht die Indikation für Intubation und Beatmung.

Quellen

1. Prof. Felix Rosenow, Gießen/Marburg, Seminar „Neurologische Intensivmedizin“, „Seminarkongress „Interdisziplinäre Intensivmedizin“, Garmisch-Partenkirchen, 10. März 2011.

2. Knake S, et al. Status epilepticus: a critical review. Epilepsy Behav 2009;15:10–4.

3. Treiman DM, et al. A comparison of four treatments for generalized convulsive status epilepticus. Veterans Affairs Status Epilepticus Cooperative Study Group. N Engl J Med 1998;339:792–8.

4. Alldredge BK, et al. A comparison of lorazepam, diazepam and placebo for the treatment of out-of-hospital status epilepticus. N Engl J Med 2001;345:631–7.

5. Treatment of convulsive status epilepticus. Recommendations of the Epilepsy Foundation of America’s Working Group on Status Epilepticus. JAMA 1993;270:854–9.

6. Kellinghaus C, et al. Intravenous lacosamide for treatment of status epilepticus. Acta Neurol Scand 2011;123:137–41.

7. Knake S, et al. Intravenous levetiracetam in the treatment of benzodiazepine refractory status epilepticus. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2008;79:588–9.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(06)