Thromboseprophylaxe

Niedermolekulares oder unfraktioniertes Heparin?


Dr. Dr. Tanja Neuvians, Ladenburg

In der multizentrischen PROTECT-Studie (Prophylaxis for thromboembolism in critical care trial) wurde die Wirksamkeit einer Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (Dalteparin) mit der von unfraktioniertem Heparin bei kritisch kranken Patienten verglichen. Tiefe Beinvenenthrombosen und schwere unerwünschte Ereignisse wie schwere Blutungen oder Tod traten in beiden Gruppen gleich häufig auf. Unter Behandlung mit niedermolekularem Heparin fanden sich weniger Lungenembolien und Heparin-induzierte Thrombozytopenien, die als sekundäre Endpunkte allerdings nur begrenzt aussagekräftig sind.

Venöse Thrombosen sind häufige und gefährliche Komplikationen bei kritisch kranken Patienten, da sie potenziell lebensbedrohliche Lungenembolien verursachen können. Auf eine Ablösung thrombotischen Materials aus den tiefen Bein- oder Beckenvenen können bis zu 80% der Lungenembolien zurückgeführt werden. Bei kritisch kranken Patienten liegen meist komplexe akute und oft auch chronische Erkrankungen vor, die an sich schon mit einem erhöhten Thromboserisiko assoziiert sind; zusätzlich wird dieses Risiko durch zahlreiche intensivmedizinische Maßnahmen (z.B. zentrale Venenkatheter, künstliches Koma) erhöht.

Ob niedermolekulare Heparine in der medikamentösen Thromboseprophylaxe besser wirksam sind als unfraktioniertes Heparin, war bisher offen. Gegenüber Plazebo zeigen beide Wirkstoffklassen deutliche Vorteile. Studien, in denen niedermolekulare und unfraktionierte Heparine direkt miteinander verglichen wurden, lassen bislang keine abschließende Beurteilung zu.

Studiendesign

Die PROTECT-Studie (Prophylaxis for thromboembolism in critical care trial) wurde von 2006 an vier Jahre lang auf 67 Intensivstationen in sechs Ländern durchgeführt. Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, wenn sie voraussichtlich mindestens drei Tage auf der Intensivstation blieben, mindestens 18 Jahre alt waren und mindestens 45 kg wogen. Ausgeschlossen waren Patienten unter anderem dann, wenn sie eine neurochirurgische oder orthopädische Operation hatten, schwer verletzt waren oder eine therapeutische Antikoagulation benötigten.

Die Probanden erhielten doppelblind entweder

  • zweimal täglich 5000 I.E. unfraktioniertes Heparin subkutan oder
  • einmal täglich 5000 I.E. Dalteparin-Natrium (Fragmin® P Forte) subkutan plus einmal täglich Plazebo subkutan.

Innerhalb von zwei Tagen nach Aufnahme untersuchten Studienärzte die Patienten mittels Ultraschall auf Beinvenenthrombosen; dies wiederholten sie von da an zweimal wöchentlich. Die Patienten wurden über maximal 100 Tage, bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus oder bis zu ihrem Tod beobachtet.

Primärer Endpunkt war das Auftreten einer proximalen tiefen Beinvenenthrombose. Als sekundäre Endpunkte wurden Lungenembolien, andere venöse Thromboembolien, schwere Blutungen, Heparin-induzierte Thrombozytopenien und Tod untersucht.

Studienergebnisse

Ausgewertet wurden die Daten von 3746 Patienten, davon erhielten 1873 Patienten Dalteparin und 1873 Patienten unfraktioniertes Heparin. Die Gruppen unterschieden sich nicht bezüglich der untersuchten Basismerkmale und zusätzlicher Maßnahmen, die die Blutgerinnung beeinflussen könnten. Die meisten Patienten waren aufgrund internistischer Erkrankungen intensivpflichtig geworden. Die Patienten wurden im Median 7 Tage lang heparinisiert.

In der Dalteparin-Gruppe entwickelten 5,1% der Patienten eine proximale tiefe Beinvenenthrombose, in der Gruppe mit unfraktioniertem Heparin war dies bei 5,8% der Patienten der Fall; dieser Unterschied war nicht signifikant (Abb. 1).

Abb. 1. Eintreten einer proximalen tiefen Venenthrombose (TVT) unter Dalteparin oder unfraktioniertem Heparin (UFH) in der PROTECT-Studie (Intention-to-treat-Population)

Lungenembolien traten dagegen unter Dalteparin signifikant seltener auf als unter unfraktioniertem Heparin (Tab. 1). Keine signifikanten Unterschiede fanden sich bei anderen tiefen Venenthrombosen, allen venösen Thromboembolien, schweren Blutungen sowie anderen schweren unerwünschten Ereignissen. Beim kombinierten sekundären Endpunkt aus allen venösen Thromboembolien oder Tod war ein Trend zugunsten von Dalteparin erkennbar. In der Per-Protocol-Analyse traten in der Dalteparin-Gruppe signifikant weniger Heparin-induzierte Thrombozytopenien auf als in der Gruppe mit unfraktioniertem Heparin (Hazard-Ratio 0,27; 95%-Konfidenzintervall 0,08–0,98; p=0,046).

Tab. 1. Ergebnisse der PROTECT-Studie (Intention-to-treat-Population)

Endpunkt

Dalteparin
(N=1873) [n (%)]

Unfraktioniertes Heparin (N=1873) [n (%)]

Hazard-Ratio

(95%-Konfidenzintervall)

p-Wert

Proximale tiefe Beinvenenthrombose (primärer Endpunkt)

96 (5,1)

109 (5,8)

0,92 (0,68–1,23)

0,57

Alle tiefen Venenthrombosen

138 (7,4)

161 (8,6)

0,93 (0,72–1,19)

0,54

Lungenembolie

24 (1,3)

43 (2,3)

0,51 (0,30–0,88)

0,01

Alle venösen Thromboembolien

154 (8,2)

186 (9,9)

0,87 (0,69–1,10)

0,24

Venöse Thromboembolie oder Tod

530 (28,3)

589 (31,4)

0,89 (0,79–1,01)

0,07

Diskussion

Im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin verminderte Dalteparin die Inzidenz tiefer Beinvenenthrombosen bei kritisch kranken Patienten nicht. Die Autoren der Studie räumen jedoch ein, dass in einer Studie mit mehr Teilnehmern ein Unterschied festgestellt werden könnte. Weiterhin weisen sie darauf hin, dass Rückschlüsse, die aus signifikanten Ergebnissen sekundärer Endpunkte gezogen werden (hier: Lungenembolien, Heparin-induzierte Thrombozytopenie), grundsätzlich unter Vorbehalt zu interpretieren sind. Trotzdem stellen sie eine Berechnung vor, wonach 100 Patienten mit Dalteparin behandelt werden müssten, um eine Lungenembolie zu verhindern.

Betrachtet man alle venösen thromboembolischen Endpunkte zusammen, spricht dies zwar für einen tendenziell positiven Effekt von Dalteparin. Die signifikante Abnahme der Lungenembolien unter Dalteparin kann aber nicht auf eine Abnahme tiefer Beinvenenthrombosen zurückgeführt werden. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: die Embolien könnten anderen Ursprungs sein, Dalteparin könnte einen Effekt auf die Embolieneigung von Beinvenenthrombosen haben, Thromben könnten sich direkt in Pulmonalarterien bilden oder die Ultraschalldiagnose der tiefen Beinvenenthrombose war nicht genügend empfindlich und spezifisch.

Fraglich ist, ob die Ergebnisse auf andere niedermolekulare Heparine übertragen werden können, oder ob die beobachteten Wirkungen auf besondere Eigenschaften von Dalteparin zurückzuführen sind.

Fazit

Die multizentrische, randomisierte und doppelblinde PROTECT-Studie mit 3746 kritisch kranken Patienten ergab, dass eine Behandlung mit Dalteparin gegenüber unfraktioniertem Heparin keine Vorteile in der Prophylaxe tiefer Beinvenenthrombosen bringt. Da aber ein Trend zugunsten von Dalteparin (weniger tiefe Beinvenenthrombosen) erkennbar war, schlagen die Autoren eine Studie mit größerer Teilnehmerzahl vor, um Gewissheit darüber zu bekommen, ob es einen signifikanten und klinisch relevanten Unterschied gibt oder nicht.

Nach Analyse der sekundären Endpunkte traten unter Dalteparin weniger Lungenembolien und weniger Heparin-induzierte Thrombozytopenien auf. Bei den schweren unerwünschten Ereignissen (z.B. schwere Blutungen) fanden sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen.

Quelle

PROTECT Investigators for the Canadian Critical Care Trials Group and the Australian and New Zealand Intensive Care Society Clinical Trials Group. Dalteparin versus unfractionated heparin in critically ill patients. N Engl J Med 2011;364:1305–14.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(06)