Stefan Oetzel, Tübingen
Schmerztherapie muss sich an den Bedürfnissen des Patienten orientieren. In Deutschland ist die Versorgungsrealität bei chronischen Schmerzpatienten diesbezüglich häufig jedoch nicht optimal. Das ergab eine Untersuchung der Deutschen Schmerzliga, bei der im Jahr 2010 über 2500 Schmerzpatienten zu ihrer Situation befragt wurden [2]. Danach bestanden die Schmerzen bei fast 90% der Befragten schon seit mehr als drei Jahren. Im Durchschnitt hatten die Patienten etwa zehn Ärzte und andere Therapeuten aufgesucht. Bei fast der Hälfte der befragten Schmerzpatienten betrug die Differenz zwischen Behandlungsziel und tatsächlicher Schmerzstärke mehr als drei Punkte auf der numerischen Ratingskala. Gleichzeitig mussten 56% der Patienten mindestens einmal ein gut wirksames Schmerzmittel wegen Nebenwirkungen absetzen. Es gilt daher, das Verhältnis zwischen Wirkung und Nebenwirkung in der medikamentösen Analgesie zu optimieren, um so dem Patienten die für seine Bedürfnisse jeweils bestmögliche Behandlung anbieten zu können. Hierbei muss die Lebensqualität der Patienten als höchstes Ziel der Schmerztherapie im Vordergrund stehen.
Schmerzmechanismen berücksichtigen
Eine Schmerzbehandlung allein anhand des WHO-Stufenschemas erfolgt unabhängig von den jeweiligen pathophysiologischen Hintergründen des Schmerzes. Allerdings gehen Schmerzexperten heute davon aus, dass für eine individuelle, optimierte Schmerztherapie die zugrunde liegenden Schmerzmechanismen berücksichtigt werden sollten. Entsprechend sollte vor Therapiebeginn geklärt werden, ob es sich um einen nozizeptiven oder um einen neuropathischen Schmerz handelt. Bei vielen Krankheitsbildern sind beide Komponenten vorhanden im Sinne eines gemischten Schmerzsyndroms („Mixed-Pain-Syndrom“). Ein Beispiel hierfür ist der chronische Rückenschmerz: Zu den von Schmerzrezeptoren weitergeleiteten Schmerzempfindungen (nozizeptiver Schmerz) kommt in vielen Fällen eine Nervenschädigung, beispielsweise infolge eines Bandscheibenvorfalls, und damit eine neuropathische Komponente hinzu.
Um die Diagnostik und damit letztlich auch die Therapie zu vereinfachen und zu optimieren, werden Tools wie der „Pain-Router“ [3] angeboten, mit deren Hilfe sich anhand von Schmerzcharakter und Symptomen mögliche Ursachen diagnostizieren und zugrunde liegende Schmerzmechanismen identifizieren lassen.
Tapentadol − Schmerzmittel mit dualem Wirkungsmechanismus
Mit Tapentadol in Retardform (Palexia® retard) steht der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse − der MOR-NRI − zur Verfügung. Das Schmerzmittel weist einen dualen Wirkungsmechanismus auf: Zum einen wirkt es als µ-Opioid-Rezeptoragonist (MOR), hemmt dadurch die Übertragung der Schmerzsignale innerhalb des ZNS und beeinflusst so die Schmerzwahrnehmung. Zum anderen wirkt es als Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NRI), erhöht dadurch die Noradrenalin-Konzentration im ZNS und aktiviert so körpereigene schmerzhemmende Vorgänge. Aus diesem Grund ist Tapentadol sowohl zur Behandlung neuropathischer als auch nozizeptiver Schmerzen sowie zur Therapie von Mischformen geeignet. Bei neuropathischen Schmerzen, bei denen afferente Nervenfasern und damit zahlreiche präsynaptische µ-Rezeptoren degeneriert sind, steht der noradrenerge Mechanismus im Vordergrund, bei nozizeptiven Schmerzen die Wirkung als µ-Opioid-Rezeptoragonist. Zudem ist aufgrund des Synergismus dieser beiden Mechanismen weniger Aktivität am µ-Rezeptor für eine wirksame Analgesie notwendig. Daher ist auch mit weniger Opioid-typischen Nebenwirkungen wie gastrointestinalen Störungen zu rechnen.
Studienergebnisse zu Tapentadol bei chronischen Rücken- und Arthroseschmerzen
In einer doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie wurden 981 Patienten, die unter chronischen Rückenschmerzen litten, mit Tapentadol retard (100 bis 250 mg, zweimal täglich), dem „Standard-Opioid“ Oxycodon CR (20 bis 50 mg, zweimal täglich) oder Plazebo behandelt [4]. Auf eine 3-wöchige Titrationsphase folgte eine 12-wöchige Erhaltungsphase.
Sowohl unter Tapentadol als auch unter Oxycodon war die durchschnittliche Schmerzintensität in Woche 15 im Vergleich zur Baseline sowie über die gesamte 12-wöchige Erhaltungsphase geringer als unter Plazebo (primärer Endpunkt; jeweils p<0,001) (Abb. 1). Unter Tapentadol traten jedoch weniger Opioid-typische Nebenwirkungen auf als unter Oxycodon. So entwickelten unter dem dual wirksamen Analgetikum 43,7% der Patienten gastrointestinale Nebenwirkungen wie Obstipation, Übelkeit und Erbrechen gegenüber 61,9% unter Oxycodon (Plazebo: 26,3%).

Abb. 1. Schmerzintensität bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen unter Tapentadol und Oxycodon (nach [4])
Auf eine 3-wöchige Titrationsphase folgte eine 12-wöchige Erhaltungsphase mit Tapendadol retard (100 bis 200 mg 2-mal täglich), Oxycodon CR (20–50 mg 2-mal täglich) oder Plazebo. Im primären Endpunkt (Veränderung der Schmerzintensität in Woche 15 im Vergleich zur Baseline sowie über die gesamte Erhaltungsphase) waren Tapentadol und Oxycodon Plazebo signifikant überlegen.
Auch im Hinblick auf die Lebensqualität können Schmerzpatienten von der Behandlung mit dem dual wirksamen Analgetikum profitieren, wie die Ergebnisse einer Metaanalyse zeigen [5]. Dazu wurden die Daten von insgesamt fast 3000 Patienten mit Rücken- oder Arthroseschmerzen ausgewertet. Diese hatten nach einer 3-wöchigen Titrationsphase über insgesamt 12 Wochen Tapentadol retard (100 bis 250 mg, zweimal täglich), Oxycodon (20 bis 50 mg, zweimal täglich) oder Plazebo erhalten. Wie in der Studie von Buynak et al. [4] waren Tapentadol und Oxycodon Plazebo im primären Endpunkt (Veränderung der durchschnittlichen Schmerzintensität in Woche 15 im Vergleich zur Baseline sowie über die gesamte 12-wöchige Erhaltungsphase) überlegen (jeweils p<0,001). Bei ähnlicher Wirksamkeit im Vergleich mit Oxycodon war Tapentadol auch nach den Daten der Metaanalyse mit weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen verbunden. Darüber hinaus konnte unter Tapentadol eine bessere Lebensqualität der Patienten festgestellt werden. Bei der Beurteilung der Parameter körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen, Vitalität und soziale Funktionsfähigkeit erzielte Tapentadol signifikant bessere Werte als Oxycodon.
Quellen
1. Dr. Gerhard H. H. Schwefe, Göppingen; Dr. Norbert Grießinger, Erlangen; Dr. Uwe Junker, Remscheid; Symposium „Die Rolle von Tapentadol in der modernen Schmerztherapie: mehr Verträglichkeit = mehr Lebensqualität?“, Frankfurt, 25. März 2011, veranstaltet von Grünenthal GmbH.
2. DSL. Querschnittsbefragung deutscher Schmerzpatienten zur aktuellen Versorgungssituation unter Verwendung standardisierter Dokumentationsinstrumente der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie. Erstellt am 30.06.2010.
3. www.pain-router.com/ (letzter Zugriff am 13.05.2011).
4. Buynak R, et al. Efficacy and safety of tapentadol extended release for the management of chronic low back pain: results of a prospective, randomized, double-blind, placebo- and active-controlled phase III study. Expert Opin Pharmacother 2010;11:1787–804.
5. Lange B, et al. Efficacy and safety of tapentadol prolonged release for chronic osteoarthritis pain and low back pain. Adv Ther 2010;27:381–99.
Arzneimitteltherapie 2011; 29(06)