Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern

Rivaroxaban – eine neue Alternative zu Warfarin


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Der direkte Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban ist in der Prävention von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern eine wirksame Alternative zu Warfarin. Das ergab die ROCKET-AF-Studie, die jetzt veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse einer präspezifizierten Subgruppenanalyse der ROCKET-AF-Studie zur Wirksamkeit in der Sekundärprävention wurden bei einem Pressegespräch der Bayer Vital GmbH am 23. Mai 2011 in Hamburg vorgestellt.

Vorhofflimmern ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für ischämisch bedingte Schlaganfälle. Die mit einem Vorhofflimmern assoziierten Schlaganfälle verlaufen häufig schwerer als Schlaganfälle anderer Genese und gehen daher auch häufiger mit schweren bleibenden Behinderungen einher.

Ein gut für die Abschätzung des Schlaganfallrisikos geeignetes Instrument ist der CHADS2-Score: Bei diesem Punktesystem werden die Risikofaktoren klinisch manifeste Herzinsuffizienz, Hypertonie, Alter über 75 Jahre, Diabetes mellitus und Schlaganfall oder transitorisch ischämische Attacke in der Anamnese berücksichtigt. Um noch differenzierter vorhersagen zu können, welche Patienten einen Nutzen von einer Antikoagulation zur Schlaganfallprävention haben, werden derzeit differenziertere Scores diskutiert, bei denen weitere prädiktive Faktoren wie vorbestehende Gefäßerkrankungen und weibliches Geschlecht einfließen.

Bei Patienten mit Vorhofflimmern und weiteren Risikofaktoren für einen Schlaganfall gelten Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin (Coumadin®) oder Phenprocoumon (z.B. Marcumar®) als Standardtherapeutika. Obwohl sie sich als wirksam erwiesen haben, werden sie in der Praxis trotz entsprechender Indikation häufig nicht eingesetzt. Grund hierfür ist vor allem die schmale therapeutische Breite: Bei relativer Überdosierung besteht ein hohes Blutungsrisiko [1].

Neues Antikoagulans Rivaroxaban

Ein möglicher neuer Kandidat für die orale Antikoagulation ist der direkte Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto®). Es ist bisher zugelassen zur Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen. Derzeit wird die Substanz bei weiteren akuten und chronischen thromboembolischen Erkrankungen untersucht, so auch zur Prävention von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern. Im Unterschied zu Vitamin-K-Antagonisten muss die gerinnungshemmende Wirkung von Rivaroxaban nicht durch Laborkontrollen überwacht werden.

Da Rivaroxaban unter anderem über das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 (CYP3A4) metabolisiert wird, sind Interaktionen mit anderen Arzneimitteln nicht auszuschließen. Rivaroxaban sollte daher bei einer bestehenden Medikation mit starken CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital und Johanniskraut nur mit Vorsicht eingesetzt werden, da die Wirksamkeit von Rivaroxaban bei einer solchen Kombination verringert sein könnte. Bei gleichzeitiger Anwendung von Rivaroxaban und starken CYP3A4-Inhibitoren wie einigen Azol-Antimykotika oder HIV-Proteasehemmern kann das Blutungsrisiko erhöht sein. Häufige unerwünschte Wirkungen sind Blutungen, Übelkeit, periphere Ödeme und erhöhte Leberwerte. Ein spezifisches Antidot steht nicht zur Verfügung [1, 2].

Die ROCKET-AF-Studie

Wirksamkeit und Verträglichkeit von Rivaroxaban in der Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern wurden in der multizentrischen, randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie ROCKET AF (The rivaroxaban once daily oral direct factor Xa inhibition compared with vitamin K antagonism for prevention of stroke and embolism trial in atrial fibrillation) im Vergleich mit Warfarin untersucht. Eingeschlossen waren 14264 Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern und mäßigem bis hohem Schlaganfallrisiko. Sie erhielten randomisiert entweder einmal täglich 20 mg Rivaroxaban (bzw. 15 mg bei moderat eingeschränkter Nierenfunktion) oder dosisangepasstes Warfarin (Ziel-INR: 2,0–3,0). Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Kombination aus Schlaganfall (ischämisch oder hämorrhagisch) und systemischer Embolie. Die Studie war auf Nichtunterlegenheit angelegt.

Wirksamkeit

In der Intention-to-treat-Population erlitten 269 Patienten unter Rivaroxaban und 306 Patienten unter Warfarin einen Schlaganfall oder eine systemische Embolie, entsprechend einer Häufigkeit von 2,1 bzw. 2,4% pro Jahr (Hazard-Ratio [HR] 0,88; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,75–1,03; p<0,001 für Nichtunterlegenheit; p=0,12 für Überlegenheit, Abb. 1). Rivaroxaban war also mindestens genauso wirksam wie Warfarin.

Abb. 1. Kumulative Häufigkeit des primären Endpunkts Schlaganfall oder systemische Embolie unter Rivaroxaban (15–20 mg/Tag) und Warfarin (INR 2,0–3,0) in der ROCKET-AF-Studie (Intention-to-treat-Population) (nach [3])

Die Intention-to-treat-Population umfasste nahezu alle randomisierten Patienten, unabhängig davon, ob sie über den vorgesehenen Zeitraum mit dem jeweiligen Antikoagulans behandelt wurden oder nicht. Bei Patienten, bei denen die Studienmedikation vorzeitig abgesetzt wurde, traten allerdings nach dem Absetzen der Antikoagulanzien vermehrt Schlaganfälle und systemische Embolien auf. Daher wurde die Häufigkeit des kombinierten Endpunkts Schlaganfall und systemische Embolie auch bei denjenigen Patienten ausgewertet, die die Medikation tatsächlich wie vorgesehen bis zum Studienende eingenommen hatten (Gruppe „Safety while on treatment“). Dabei zeigte sich eine statistisch signifikante Überlegenheit von Rivaroxaban gegenüber Warfarin (HR 0,79; 95%-KI 0,66–0,96; p=0,02 für Überlegenheit).

Sicherheit

Beim kombinierten primären Sicherheitsendpunkt, der Häufigkeit von schweren und klinisch relevanten nicht schweren Blutungen, waren beide Substanzen vergleichbar (Tab. 1).

Tab. 1. Häufigkeit von Blutungskomplikationen in der ROCKET-AF-Studie (Auswahl) (nach [3])

Rivaroxaban (N=7111)

[n (%)]

Warfarin (N=7125)

[n (%)]

Hazard-Ratio
(95%-KI)

p-Wert

Schwere und klinisch relevante nicht schwere Blutungen*

1475 (20,7)

1449 (20,3)

1,03 (0,96–1,11)

0,44

Alle schweren Blutungen

395 (5,6)

386 (5,4)

1,04 (0,90–1,20)

0,58

Intrakranielle Blutungen

55 (0,8)

84 (1,2)

0,67 (0,47–0,93)

0,02

Tödliche Blutungen

27 (0,4)

55 (0,8)

0,50 (0,31–0,79)

0,003

* Primärer Sicherheitsendpunkt, KI: Konfidenzintervall

Intrakranielle Blutungen und tödliche Blutungen waren unter Rivaroxaban seltener als unter Warfarin [1, 3].

Sekundärprävention

In einer vorab geplanten Subgruppenanalyse der ROCKET-AF-Studie wurde die Wirksamkeit von Rivaroxaban und Warfarin speziell bei Patienten untersucht, die bereits vor Studienbeginn einen Schlaganfall erlitten hatten. Die Gruppe der „Sekundärpräventionspatienten“ umfasste 55% der gesamten Studienpopulation.

Das Risiko für den kombinierten Endpunkt Schlaganfall und systemische Embolie war bei diesen Patienten in der Per-Protokoll-Auswertung („Safety while on treatment“) unter Rivaroxaban um 13% niedriger als unter Warfarin (2,26 vs. 2,60 Ereignisse pro 100 Patientenjahre für Rivaroxaban vs. Warfarin; HR 0,87; 95%-KI 0,69–1,10). Der Nachweis eines signifikanten Unterschieds war in dieser Subgruppenanalyse nicht vorgesehen. Die Sicherheit war wie in der gesamten ROCKET-AF-Studie unter beiden Wirkstoffen vergleichbar.

Diese Subgruppenanalyse ist ein Hinweis darauf, dass Rivaroxaban nicht nur zur Primärprävention von Schlaganfällen, sondern auch in der Sekundärprävention eine wirksame und sichere Alternative zu Warfarin sein könnte. Behandlungsalternativen sind für diese Patienten besonderes wichtig, weil sie mit den Standardtherapien schwieriger zu behandeln sind als Patienten ohne Schlaganfall in der Anamnese [1, 4].

Fazit

Rivaroxaban hat sich in der ROCKET-AF-Studie als sichere und gut handhabbare Alternative zu Warfarin zur Schlaganfallprophylaxe bei Patienten mit persistierendem und permanentem Vorhofflimmern erwiesen. Der Antrag auf Zulassung für diese Indikation wurde eingereicht.

Ein Vorteil von Rivaroxaban gegenüber Warfarin ist, dass auf ein Gerinnungsmonitoring verzichtet werden kann. Dieser Unterschied könnte sich positiv auf die Compliance der Patienten auswirken. In der ROCKET-AF-Studie fiel dieser Aspekt wegen der in beiden Studiengruppen zwecks Verblindung verlangten Kontrolluntersuchungen nicht ins Gewicht.

Quellen

1. Prof. Dr. Christoph Bode, Freiburg, Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Hacke, Heidelberg, Meet-the-Expert-Pressegespräch „Neue Dimension der Antikoagulation: Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern”, veranstaltet von Bayer HealthCare, Hamburg, 23. Mai 2011.

2. Fachinformation Xarelto®, Stand Juli 2011.

3. Patel MR, et al. Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med, Epub ahead of print (doi: 10.1056/ NEJMoa1009638).

4. Presseinformation von Bayer HealthCare zur Subgruppenanalyse der ROCKET-AF-Studie vom 25. Mai 2011.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(10)