Martin Stangel, Hannover
Die Behandlung der multiplen Sklerose (MS) hat sich in den letzten 15 Jahren mit der Zulassung einer Reihe immunmodulatorischer und immunsuppressiver Substanzen dramatisch verändert. Heutzutage stellt die Therapie mit einem der Interferon-beta-(IFN-β-)Präparate oder mit Glatirameracetat (GA) die Hauptsäule der Basistherapie bei schubförmiger MS dar. Bei sehr schweren Verläufen und bei Versagen dieser Basistherapie werden der monoklonale Antikörper Natalizumab und das seit März 2011 in Deutschland zugelassene Fingolimod eingesetzt. Eine weitere Option besteht in der Anwendung von Mitoxantron, das auch bei sekundär chronisch progredienter MS eingesetzt wird (Tab. 1). Azathioprin ist zwar auch für die Behandlung der multiplen Sklerose zugelassen, jedoch liegen hier keine nach modernen Qualitätsstandards durchgeführten Studien vor, so dass sein Einsatz in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielt, beispielsweise bei Vorliegen einer weiteren Autoimmunerkrankung.
Tab. 1. Zugelassene Medikamente zur Behandlung der multiplen Sklerose (MS)
Verlaufsform der MS: |
Zugelassene Arzneistoffe: |
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Klinisch isoliertes Syndrom (CIS) |
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Schubförmig remittierende |
1. Wahl: |
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2. Wahl: |
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3. Wahl: |
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Sekundär chronisch progrediente multiple Sklerose (SPMS) |
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¹Zugelassen für CIS sind die Interferon-beta-(IFN-β-)Präparate Avonex®, Betaferon®, Extavia®; ²Für RRMS sind alle IFN-β-Präparate zugelassen (Avonex®, Betaferon®, Extavia®, Rebif®); ³Handelsname: Copaxone®; 4Natalizumab (Tysabri®) und Fingolimod (Gilenya®) sind als primäre Therapie bei zuvor unbehandelten Patienten nur bei hoher Schubaktivität (mindestens 2 Schübe im letzten Jahr mit Krankheitsprogression) zugelassen, die wesentliche Indikation ist die Eskalationstherapie; 5Azathioprin (z. B. Imurek®) ist zugelassen für die Therapie der MS, wenn eine Behandlung mit anderen Basistherapeutika nicht möglich ist oder wenn unter Azathioprin-Behandlung ein stabiler Verlauf erreicht wurde; 6Handelsname: Ralenova®, zugelassen für sekundär chronisch progrediente oder progressiv schubförmige MS mit EDSS-Score 3–6 mit und ohne überlagerte Schübe; 7Nur bei aufgesetzten Schüben, zugelassen sind die Präparate Betaferon®, Extavia®, Rebif®
In der Vergangenheit wurden immer wieder auch intravenöse Immunglobuline (IVIg) zur Therapie der multiplen Sklerose eingesetzt. Die Rationale dahinter besteht in der im Jahr 1981 erstmals beschriebenen immunmodulatorischen Wirkung intravenöser Immunglobuline bei Kindern mit idiopathischer thrombozytopenischer Purpura (ITP) [12]. Bereits ein Jahr später wurde die erste Arbeit zum Einsatz intravenöser Immunglobuline bei multipler Sklerose publiziert [19]. Seither wurden eine Reihe von Studien zu intravenösen Immunglobulinen in den verschiedenen Krankheitsphasen der multiplen Sklerose (Tab. 2) durchgeführt. Diese werden hier zusammengefasst und in den Kontext der vorhandenen Therapiemöglichkeiten der multiplen Sklerose gestellt.
Tab. 2. Verlaufsformen der multiplen Sklerose
Verlaufsform: |
Klinische Symptomatik: |
Klinisch isoliertes |
Erstmalige klinische Manifestation, noch keine zeitliche Dissemination nachgewiesen |
Schub |
Auftreten neuer oder auch reaktivierter Symptome, die für mehr als 24 Stunden anhalten |
Schubförmig |
Episoden mit klinischer Verschlechterung mit anschließender vollständiger oder teilweiser Besserung mit oder ohne residuelles klinisches Defizit; zwischen den Schüben keine Progression |
Sekundär chronisch progredient (SPMS) |
Initial schubförmiger Verlauf mit anschließender langsamer Progression und schleichender Zunahme des klinischen Defizits mit und ohne gelegentliche überlagerte Schübe |
Primär chronisch |
Von Beginn an kontinuierliche langsame Krankheitsprogression mit kleineren Fluktuationen wie Plateaus; keine Schübe |
Intravenöse Immunglobuline bei klinisch isoliertem Syndrom (CIS)
Die klinische Erstmanifestation einer multiplen Sklerose, wenn also noch kein zweiter klinischer Schub aufgetreten bzw. kernspintomographisch noch keine zeitliche Dissemination nachzuweisen ist, wird klinisch isoliertes Syndrom (CIS) genannt. Insbesondere bei Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer definitiven multiplen Sklerose wird die Frühtherapie mit Interferon beta oder Glatirameracetat empfohlen [13]. Beide Therapieoptionen sind für diese Indikation zugelassen (Tab. 1).
In einer randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten, monozentrischen Studie, an der 91 Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom teilnahmen, war die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres einen weiteren Schub zu bekommen, unter intravenösen Immunglobulinen (initial 2 g/kg Körpergewicht [KG], dann alle 6 Wochen für 1 Jahr 0,4 g/kg KG) signifikant reduziert [2]. Zudem waren bei Gabe intravenöser Immunglobuline Anzahl und Größe von T2-Läsionen sowie das Volumen von Gadolinium-anreichernden Läsionen im Vergleich zu Plazebo vermindert. Da jedoch für Interferon-beta-Präparate und für Glatirameracetat Studien der höchsten Evidenzklasse vorliegen, kann keine Empfehlung für eine Therapie des klinisch isolierten Syndroms mit intravenösen Immunglobulinen gegeben werden.
Intravenöse Immunglobuline bei schubförmiger MS
In einer ersten größeren randomisierten Studie wurde die Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline in einer Dosis von 0,15 bis 0,2 g/kg KG monatlich über zwei Jahre bei 148 Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose untersucht [5]. Die Therapie führte im Vergleich zu Plazebo zu einem signifikant günstigeren Verlauf bezüglich der Behinderung (gemessen am EDSS-Score; siehe Kasten) und zu einer Reduktion der Schubrate. Leider schloss die Studie keinen MRT-Befund als Verlaufsparameter mit ein. Die Ergebnisse einer Metaanalyse sowie von drei weiteren kleineren Studien zu intravenösen Immunglobulinen bei multipler Sklerose sprachen ebenfalls für deren Wirksamkeit bei der Reduktion der Schubrate [20], ebenso wie retrospektive Untersuchungen in der Anwendung im klinischen Alltag [10]. Dies führte zu der Empfehlung, intravenöse Immunglobuline als Ausweichpräparat bei schubförmiger MS einzusetzen, wenn die Basistherapeutika nicht wirksam sind oder nicht vertragen werden [13].
Expanded Disability Status Scale (EDSS) nach Kurtzke:
Skala von 0–10 zur Feststellung des Grads der Behinderung bei MS-Patienten. Zur Bestimmung werden verschiedene neurologische Funktionssysteme (u. a. Pyramidenbahn, Kleinhirn, Hirnstamm, Blase und Darm, Sehvermögen) bewertet und einem EDSS-Score zugeordnet. 0 entspricht einem unauffälligen neurologischen Befund, 10 Tod infolge MS.
- Ein EDSS-Score von 4 steht beispielsweise für: Patient ist voll gehfähig ohne Hilfe und Rast über mindestens 500 m, selbstversorgend, aktiv während etwa 12 Stunden/Tag trotz relativ schwerer Behinderung
- Ein EDSS-Score von 6 bedeutet: Patient benötigt intermittierend oder auf einer Seite konstant Unterstützung (Krücke, Stock, Schiene), um etwa 100 m ohne Rast zu gehen
- Ein EDSS-Score von 7 steht für: Patient ist unfähig, selbst mit Hilfe mehr als 5 m zu gehen, weitgehend an den Rollstuhl gebunden, bewegt den Rollstuhl selbst und transferiert ohne Hilfe, im Rollstuhl aktiv etwa 12 Stunden/Tag
In der gut konzipierten PRIVIG(Prevention of relapse with intravenous immunoglobulin)-Studie konnten die Ergebnisse jedoch nicht bestätigt werden [6]. In dieser Studie wurden 127 MS-Patienten randomisiert alle vier Wochen für 48 Wochen mit intravenösen Immunglobulinen (0,2 oder 0,4 g/kg KG) oder mit Plazebo behandelt. Nach einem Jahr zeigte sich weder in den klinischen Parametern (primärer Endpunkt: Anteil der schubfreien Patienten) noch in den kernspintomographischen Endpunkten (wichtigster sekundärer Endpunkt: kumulative Anzahl neuer aktiver Läsionen im MRT) ein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Da die Studie letztlich zu klein war und aufgrund der niedrigen Schubrate der rekrutierten Patienten die statistische Power nicht ausreichte, kann eine definitive Antwort zur Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline bei schubförmiger MS nicht gegeben werden. Allerdings stehen mittlerweile eine Reihe von wirksamen Therapien zur Behandlung der schubförmigen MS zur Verfügung, so dass die Bedeutung intravenöser Immunglobuline nur noch gering ist und auf Ausnahmefälle beschränkt bleibt. Die empfohlene Dosis beträgt dann 0,2 g/kg KG monatlich [24].
Intravenöse Immunglobuline zur Schubbehandlung
Die Standardtherapie des MS-Schubes besteht aus hochdosierten intravenösen Glucocorticoiden (1000 mg Methylprednisolon für 3 bis 5 Tage). Bei Nichtansprechen wird in Einzelfällen eine Plasmapherese durchgeführt. In mehreren kleineren Studien wurde die Gabe von intravenösen Immunglobulinen zusätzlich zu Glucocorticoiden untersucht [18, 21, 29]. In keiner der Untersuchungen konnte ein zusätzlicher Nutzen belegt werden. Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass zum einen die Studien zu klein waren und zum anderen die Rückbildung der Schubsymptomatik unter der Gabe eines Glucocorticoids in aller Regel sehr gut ist.
In einer neueren Studie mit offenem Design wurden 23 Patienten mit Glucocorticoid-refraktärer Optikusneuritis mit intravenösen Immunglobulinen (0,4 g/kg KG an 5 konsekutiven Tagen, gefolgt von 0,4 g/kg KG monatlich) behandelt [28]. Es zeigte sich eine deutliche Besserung in den visuell evozierten Potenzialen (VEP) bei 78% der Patienten, während dies bei nur 12,5% der Patienten einer historischen, ausschließlich mit Glucocorticoiden behandelten Kontrollgruppe der Fall war. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Gabe von intravenösen Immunglobulinen eine Alternative zur Plasmapherese in der Eskalationstherapie Glucocorticoid-refraktärer Schübe darstellen könnte. Dies erfordert jedoch die Bestätigung in einer randomisierten Studie. Derzeit kann eine Therapie des MS-Schubes mit intravenösen Immunglobulinen außerhalb von klinischen Studien nicht empfohlen werden.
Intravenöse Immunglobuline zur Prävention postpartaler Schübe
Es ist gut belegt, dass es während der Schwangerschaft bei Patientinnen mit multipler Sklerose zu einer Reduktion, in den Monaten nach der Entbindung dann aber zu einer Zunahme der Schubrate kommt [4]. Eine Therapie mit den zugelassenen Arzneistoffen ist während der Schwangerschaft und Stillzeit jedoch kontraindiziert. In mehreren Fallserien und offenen Behandlungsstudien wurde beschrieben, dass intravenöse Immunglobuline das postpartale Auftreten von Schüben reduzieren können [1, 3, 8].
In einer randomisierten Studie mit 173 Patientinnen mit schubförmig remittierender MS und mindestens einem Schub in den zwei Jahren vor der Schwangerschaft wurden zwei IVIg-Dosierungen verglichen: 0,15 g/kg KG an Tag 1 vs. 0,45, 0,3 und 0,15 g/kg KG an den Tagen 1–3 nach der Entbindung, jeweils gefolgt von 0,15 g/kg KG alle 4 Wochen über 5 Monate [9]. Zwischen den Behandlungsarmen konnte kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Schubrate festgestellt werden, allerdings ergab der Vergleich mit einer unbehandelten historischen Kontroll-Gruppe [4] eine Reduktion der Schubrate unter intravenösen Immunglobulinen. Aufgrund der fehlenden Plazebo-Kontrolle konnte mit dieser Studie die Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline bei der Reduktion postpartaler Schübe leider nicht belegt werden. Da Behandlungsalternativen zur Vermeidung postpartaler Schübe jedoch fehlen, rechtfertigen die vorliegenden Daten die postpartale Gabe intravenöser Immunglobuline (Off-Label-Therapie!). Eine Dosis von 0,15 g/kg KG mit monatlichen Auffrischungen in der gleichen Dosierung für insgesamt fünf Monate scheint ausreichend zu sein.
Intravenöse Immunglobuline bei primär und sekundär chronisch progredienter MS
In der ESIMS-Studie (European study on intravenous immunoglobulin in multiple sclerosis), einer großen randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studie, wurde die Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline bei sekundär chronisch progredienter MS (SPMS) untersucht [11]. 318 Patienten wurden monatlich für 27 Monate mit intravenösen Immunglobulinen (1 g/kg KG) oder Plazebo behandelt. Es zeigte sich kein Unterschied in der Zeit bis zur Behinderungsprogression (gemessen am EDSS-Score), in der jährlichen Schubrate oder in der Anzahl der Läsionen im T2-gewichteten MRT. Lediglich die zerebrale Atrophie schritt in der Gruppe der mit intravenösen Immunglobulinen behandelten Patienten langsamer fort. Auch wenn es sich hier – wie von den Autoren spekuliert wurde [7] – um eine neuroprotektive Wirkung handeln sollte, so hat sich diese in den klinischen Endpunkten nicht niedergeschlagen.
In einer weiteren Studie, in der sowohl SPMS-Patienten (n=197) als auch Patienten mit primär chronisch progredienter MS (PPMS; n=34) über zwei Jahre monatlich mit intravenösen Immunglobulinen (0,4 g/kg KG) oder Plazebo behandelt wurden, konnte bei den Patienten mit sekundär chronisch progredienter MS ebenfalls keine klinische Wirksamkeit der intravenösen Immunglobuline gezeigt werden [16, 17]. Bei den Patienten mit primär chronisch progredienter MS war der Anteil der Patienten mit anhaltender Progression unter intravenösen Immunglobulinen geringer als unter Plazebo (p=0,028), allerdings haben 18 der Patienten die Studie vorzeitig beendet, so dass die Auswertung für nur 16 Patienten erfolgte. Damit ist diese Studie zu klein, um eine Aussage über die Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline bei primär chronisch progredienter MS treffen zu können. Der Einsatz von intravenösen Immunglobulinen sowohl bei sekundär als auch bei primär chronisch progredienter MS wird deshalb derzeit nicht empfohlen [24].
Intravenöse Immunglobuline als regenerative/remyelinisierende Therapie
Aufgrund von tierexperimentellen Daten wurde den intravenösen Immunglobulinen eine remyelinisierende und damit regenerative Wirkung zugeschrieben [26]. Dies hat zur Durchführung mehrerer Plazebo-kontrollierter klinischer Studien geführt [14, 15, 23]. Leider konnte in keiner der Studien eine Verbesserung des klinischen Defizits nachgewiesen werden. Dies könnte einerseits damit zusammenhängen, dass in allen drei Studien Patienten mit einem permanenten, mindestens drei Monate bestehenden Defizit behandelt wurden. Zu diesem Zeitpunkt ist möglicherweise eine Regeneration nicht mehr möglich. Des Weiteren wurden in allen Studien Präparate eingesetzt, die fast ausschließlich IgG enthielten. Die experimentellen Daten deuten jedoch darauf hin, dass für die Remyelinisierung möglicherweise IgM bedeutsam ist [27]. Die klinischen Studien haben damit klar gezeigt, das intravenöse Immunglobuline keine Rolle als regenerative Therapie bei der multiplen Sklerose spielen, wobei dies bislang auch keine andere Therapie leisten kann [22].
Fazit
Neben der Substitutionstherapie bei angeborenen Immundefekten sind intravenöse Immunglobuline eine etablierte immunmodulatorische Therapie, die bei einer Reihe von autoimmunvermittelten Erkrankungen eingesetzt wird. Auf dem neurologischen Fachgebiet trifft dies in erster Linie auf die immunvermittelten Neuropathien zu [24, 25]. In einer ganzen Reihe von klinischen Studien wurde auch die Wirksamkeit bei multipler Sklerose untersucht. Nach anfänglich sehr vielversprechenden Ergebnissen wurden intravenöse Immunglobuline bei multipler Sklerose als Reservetherapie eingesetzt, falls andere Therapien nicht wirksam waren oder aufgrund von Nebenwirkungen nicht toleriert wurden. Neuere Studien konnten die primären positiven Ergebnisse jedoch nicht immer bestätigen, so dass die Wirksamkeit intravenöser Immunglobuline bei multipler Sklerose nicht gut belegt ist. Aufgrund der Zulassung mehrerer wirksamer neuer Immuntherapien spielen intravenöse Immunglobuline derzeit nur eine untergeordnete Rolle bei der Behandlung der multiplen Sklerose (Tab. 3). Dies entspricht der Einschätzung des Off-Label-Ausschusses des BfArm (www.bfarm.dewww.bfarm.de; Stellungnahme vom 21.06.2010).
Tab. 3. Empfehlungen zum Einsatz intravenöser Immunglobuline (IVIg) während der verschiedenen Krankheitsstadien der multiplen Sklerose (MS)
Krankheitsstadium: |
Empfehlung: |
Kommentar: |
Schubförmige MS |
Einsatz nur in Ausnahmefällen, wenn alle anderen zugelassenen Therapien nicht möglich sind oder ein stabiler Verlauf unter IVIg-Gabe belegt ist |
Ältere Studienergebnisse deuteten auf eine Schubreduktion hin; dies konnte durch die Ergebnisse der neueren PRIVIG-Studie nicht bestätigt werden |
Sekundär chronisch progrediente MS (SPMS) |
Keine Indikation |
ESIMS-Studie mit 318 Patienten zeigte keine Wirksamkeit |
Primär chronisch progrediente MS (PPMS) |
Keine Indikation |
Nur eine kleine Studie mit wenigen Patienten vorliegend; die Empfehlung ist auch aus den Daten zur SPMS extrapoliert |
Schubtherapie |
Keine Indikation |
Drei Studien zeigten keinen Effekt von IVIg auf Schubdauer und Regeneration zusätzlich zu Glucocorticoiden |
Reduktion postpartaler Schübe |
Individuelle Entscheidung |
Wahrscheinlich wirksam; Studien waren im Design nicht geeignet, um eine definitive Antwort zu geben |
Klinisch isoliertes |
Keine Empfehlung |
Eine Studie, allerdings monozentrisch, zeigt vergleichbare Wirkung mit Beta-Interferonen; weitere Studien erforderlich |
Regeneration/ Remyelinisierung |
Keine Indikation |
Remyelinisierende/regenerative Wirkungen in Studien aus dem Tiermodell konnten bei MS-Patienten nicht bestätigt werden |
Bei chronisch progredienten Verlaufsformen ist der Einsatz intravenöser Immunglobuline aufgrund der vorhandenen Datenlage sicher nicht sinnvoll.
Für die Schwangerschaft und postpartal wird vom Off-Label-Ausschuss zwar keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen, aufgrund fehlender Therapiealternativen ist ein individueller Heilversuch hier jedoch denkbar.
Aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils käme der Einsatz intravenöser Immunglobuline bei kindlicher MS möglicherweise infrage, jedoch fehlen hier klinische Studien und Daten, so dass der Off-Label-Ausschuss hierzu keine Aussage macht.
Schwierig ist das Vorgehen bei Patienten, die unter einer schon länger bestehenden Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (vor Veröffentlichung der neueren Studien) einen stabilen Krankheitsverlauf haben. Das Absetzen bzw. Umsetzen der Therapie auf einen der zugelassenen Arzneistoffe könnte problematisch sein. Hier ist eine Fortsetzung der Therapie denkbar, insbesondere falls es durch Absetzen zu neuen Krankheitssymptomen kommt.
Letztlich bleibt zu beachten, dass es sich bei der IVIg-Therapie bei multipler Sklerose um einen Off-Label-Gebrauch handelt, der in jedem Einzelfall begründet sein muss.
Interessenkonflikterklärung
Der Autor hat Honorare für wissenschaftliche Vorträge oder Teilnahme an Advisory Boards erhalten von: Baxter, Bayer Healthcare, Biogen Idec, Biotest, CSL Behring, Merck-Serono, Novartis, Sanofi-Aventis, Talecris, Teva. Die Klinik für Neurologie hat Forschungsunterstützung erhalten von: Bayer Healthcare, Biogen Idec, Merck-Serono, Novartis, Sanofi-Aventis, Teva.
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Prof. Dr. med. Martin Stangel, Abt. Klinische Neuroimmunologie und Neurochemie, Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover, E-Mail: stangel.martin@mh-hannover.de
The role of high dose intravenous immunoglobulins in the treatment of multiple sclerosis
The treatment of multiple sclerosis (MS) has dramatically changed in the past 15 years. With the licensing of several immunomodulatory and immunosuppressive substances there are now various treatment alternatives available depending on the stage of the disease. Although not licensed for MS, intravenous immunoglobulins (IVIg) have been used in the past in cases where the basic treatment failed or was not tolerable due to side effects. There is a large number of clinical trials investigating IVIg in the treatment of MS. Unfortunately, early positive reports could not always be confirmed. With new treatments being available the use of IVIg in MS patients will be reduced in the future. The main results of the clinical trials of IVIg in MS are summarised here and put in relation with the available licensed treatments.
Key words: Multiple sclerosis, intravenous immunoglobulins, treatment, immunomodulation
Arzneimitteltherapie 2011; 29(10)