Chronische Hepatitis-C-Infektion

Die Therapie wird immer erfolgreicher, aber auch komplizierter


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Andreas Häckel, Frankfurt am Main

Neue Tripeltherapien mit Proteasehemmern wie Boceprevir (Victrelis®), das seit dem 18. Juli 2011 EU-weit in Kombination mit Peginterferon alfa und Ribavirin zugelassenen ist, bessern die Heilungsraten der chronischen Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus vom Genotyp 1 deutlich. Zugleich lässt sich durch eine am Ausmaß des frühen Therapieansprechens orientierte Strategie bei vielen Patienten die Behandlungsdauer praktisch halbieren. Voraussetzung für hohe Heilungsraten ist allerdings neben einer guten Therapieadhärenz und einer intensiven ärztlichen Betreuung der Patienten auch die Beachtung von „Stoppregeln“ zur Verhinderung der Resistenzentwicklung. Dies wurde beim „Victrelis®-Launch-Symposium“ des Unternehmens MSD am 23.09.2011 in Berlin berichtet.

Die Einbindung von Proteasehemmern in die Therapie der Hepatitis-C-Infektion erhöht die Heilungsraten im Vergleich mit einer herkömmlichen Behandlung von etwa 40% auf annähernd 70%. Durch eine Dreifachtherapie mit Boceprevir (Victrelis®) (3-mal täglich 800 mg) nach einer vierwöchigen Lead-in-Phase mit Peginterferon alfa-2b (1,5 µg/kg KG) plus Ribavirin (600 bis 1400 mg; auf zwei tägliche Dosen verteilt) sowie eine individuelle, an die Viruslast in den Wochen 8 bis 24 angepasste Therapie lassen sich die Ansprechraten weiter steigern. Das ergaben die beiden Zulassungsstudien für Boceprevir SPRINT-2 und RESPOND-2.

SPRINT-2

Die SPRINT(Serine protease inhibitor therapy)-2-Studie war eine Studie mit nichtvorbehandelten Patienten mit einer chronischen Hepatitis-C-Infektion vom Genotyp 1. Das Studiendesign ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1. Studiendesign der SPRINT(Serine protease inhibitor therapy)-2-Studie (nach [2])

Von den Patienten, die mindestens eine Dosis der jeweiligen Studienmedikation erhalten hatten (n=1097), erreichten in den beiden Boceprevir-Gruppen 63 (Gruppe 2) bzw. 66% (Gruppe 3) ein anhaltendes virologisches Ansprechen (SVR, sustained virological response: keine HCV-RNS am Ende der Nachbeobachtungszeit nachweisbar) im Vergleich mit 38% in der Kontrollgruppe (jeweils p<0,001 vs. Kontrolle).

Bei den Patienten, bei denen von Woche 8 bis 24 keine HCV-RNS mehr nachweisbar war, wurde in beiden Boceprevir-Gruppen eine Heilungsrate (SVR) von 96% erreicht; in der Kontrollgruppe erreichten 93% der Patienten ein anhaltendes virologisches Ansprechen (p=0,40 Boceprevir vs. Kontrolle) [2].

RESPOND-2

In der RESPOND(Retreatment with HCV serine protease inhibitor boceprevir and PegIntron/Rebetol)-2-Studie erhielten bereits vorbehandelte Patienten (n=403) mit chronischer Hepatitis C (Genotyp 1), die einen Rückfall erlitten bzw. nicht auf die Vortherapie angesprochen hatten, nach einer vierwöchigen Lead-in-Phase mit Peginterferon/Ribavirin über 32 (Gruppe 2) bzw. 44 Wochen (Gruppe 3) zusätzlich Boceprevir. Die Patienten der Kontrollgruppe (Gruppe 1) wurden wie in der SPRINT-2-Studie behandelt (Abb. 1).

In den beiden Boceprevir-Gruppen erreichten signifikant mehr Patienten ein anhaltendes virologisches Ansprechen (SVR) als in der Kontrollgruppe (59% [Gruppe 2] bzw. 66% [Gruppe 3] vs. 21%; p<0,001). Die SVR-Raten in Abhängigkeit vom Behandlungserfolg der Vortherapie sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tab. 1. RESPOND-2-Studie: SVR-Raten (SVR: anhaltendes virologisches Ansprechen) in Abhängigkeit vom Behandlungserfolg der Vortherapie (nach [3])

Gruppe 1

(Plazebo + Peginterferon + Ribavirin; n=80)

Gruppe 2

(Boceprevir + Peginterferon + Ribavirin über 32 Wochen; n=162)

Gruppe 3

(Boceprevir + Peginterferon + Ribavirin über 44 Wochen; n=161)

Patienten mit Rückfall nach Vortherapie1 (n=259)

29%

69%

75%

Patienten mit Nichtansprechen auf die Vortherapie2 (n=144)

7%

40%

52%

1 definiert als nichtnachweisbare HCV-RNS am Ende der Vortherapie ohne Erreichen eines anhaltenden virologischen Ansprechens; 2 Abnahme der HCV-RNS-Konzentration [I. U./ml] um mindestens 2 Logstufen in Woche 12 der Vortherapie, HCV-RNS jedoch über die gesamte Dauer der Vortherapie messbar

Von den Patienten, bei denen bereits in Woche 8 keine HCV-RNS mehr nachweisbar war, erreichten 86% (64 von 74 Patienten in Gruppe 2) bzw. 88% (74 von 84 Patienten in Gruppe 3) ein anhaltendes virologisches Ansprechen (Kontrollgruppe: 100%; 7 von 7 Patienten).

Therapiedauer

Definitiv gestoppt werden sollte eine Boceprevir-Tripeltherapie laut aktuellem Behandlungsschema bei einer HCV-RNS-Last von über 100 I. E./ml in Woche 12 sowie bei nachweisbarer HCV-RNS in Woche 24. Dagegen könnte bei nichtnachweisbarer HCV-RNS nach der vierwöchigen Lead-in-Phase sogar die herkömmliche Behandlung über einen Zeitraum von 24 bis 30 Wochen ausreichend sein.

Bedeutung der Therapieadhärenz

Unter der neuen Tripeltherapie hat die Bedeutung einer ausreichenden Therapieadhärenz zugenommen. Die maximal erreichbaren Heilungsraten von bis zu 90% setzen nämlich voraus, dass mindestens 80% der Proteasehemmer-Dosis über mindestens 80% der geplanten Therapiedauer eingenommen werden. Selbst in den beiden Zulassungsstudien für Boceprevir erreichten nur 57% (SPRINT-2) bzw. 61% der Patienten (RESPOND-2) dieses Ziel, obwohl die ausgegebenen Dosen protokolliert wurden. Wurden beide Adhärenzvorgaben verfehlt, sank die Heilungsrate in dieser Analyse drastisch auf 12 bis 36%. Von den vorbehandelten Patienten wurde unter diesen Bedingungen keiner geheilt. Ebenfalls bedeutsam, wenngleich von geringerem Einfluss, ist ein korrektes Dosierungsintervall von 7 bis 9 Stunden bei der dreimal täglichen Gabe des Proteasehemmers Boceprevir, der zusammen mit der Nahrung eingenommen werden soll.

Unerwünschte Wirkungen

Zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen der Tripeltherapie mit Proteasehemmern zählen mit etwa 50% Anämien mit einem Abfall der Hämoglobinkonzentration auf unter 10 g/dl sowie reversible Geschmacksstörungen. Das Ausmaß der Anämien ist jedoch ein positiver Prädiktor für ein gutes Therapieansprechen. Sie verliefen zudem nur zu etwa 2% gravierend mit einem Abfall unter 8 g/dl. Sollte bei Risikopatienten ein Interventionsbedarf bestehen, sollte vorzugsweise die Ribavirin-Dosis – schrittweise um 200 mg/Tag – reduziert werden.

Die Analyse von Komorbiditäten und weiteren eingenommenen Medikamenten vor Therapiebeginn ist wichtig. HCV-Proteasehemmer werden über das hepatische Cytochrom-P450-System metabolisiert und hemmen das Isoenzym CYP3A4. Dabei kann es zu relevanten Interaktionen mit anderen Arzneistoffen kommen. Unter Telaprevir sind Anstiege der Plasmakonzentrationen von Amlodipin auf 270%, von Atorvastatin auf 788%, von Tacrolimus sogar auf 7000% und von Ciclosporin auf 460% gemessen worden. Boceprevir wird hauptsächlich durch die Aldo-Keto-Reductase metabolisiert, ist aber ein Inhibitor von CYP3A4. Boceprevir in Kombination mit Peginterferon alfa und Ribavirin ist daher kontraindiziert bei gleichzeitiger Anwendung von Arzneimitteln, deren Clearance in hohem Maße von CYP-3A4/5 abhängt und bei denen erhöhte Plasmakonzentrationen mit schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Ereignissen assoziiert sind, beispielsweise bei oraler Anwendung von Midazolam und Triazolam, Tyrosinkinase-Inhibitoren und Ergotderivaten.

Auch Grapefruitsaft und Johanniskraut sollten wegen ihrer Metabolisierung über Cytochrom P450 von Patienten unter einer HCV-Tripeltherapie unbedingt gemieden werden.

Quellen

1. Prof. Dr. med. Christoph Sarrazin, Frankfurt am Main, Prof. Dr. med. Michael Kraus, Altötting, Prof. Dr. med. Hartwig Klinker, Würzburg; „VICTRELIS® Launch Symposium“, veranstaltet von MSD Sharp & Dohme GmbH, Berlin, 23. September 2011.

2. Poordad F. Boceprevir for untreated Chronic HCV genotype 1 infection. N Eng J Med 2011;364:1195–206.

3. Bacon BR, et al. Boceprevir for previously treated chronic HCV genotype 1 infection. N Eng J Med 2011;364:1207–17.

Arzneimitteltherapie 2011; 29(12)