Bettina Christine Martini, Legau
Bei vielen Patienten steigt der Blutdruck unmittelbar nach einem Schlaganfall deutlich, wobei verschiedene Ursachen in Frage kommen, unter anderem Stress, Beschädigung bestimmter autonomer Hirnareale sowie ein erhöhter intrakranieller Druck. Möglich ist natürlich auch, dass die Hypertonie schon vor dem Schlaganfall bestand, aber nicht ausreichend diagnostiziert und therapiert war.
Es besteht nach wie vor Unsicherheit darüber, wie mit der Blutdruckerhöhung in der akuten Phase nach einem Schlaganfall optimal umgegangen werden soll. Einerseits besteht die Gefahr, dass der erhöhte Blutdruck zur Ausdehnung des Infarkts führt, andererseits könnte der hohe systolische Druck aber auch die schlechte Durchblutung in der Umgebung des Infarkts verbessern. Die SCAST-Studie (Scandinavian candesartan acute stroke trial) sollte zur Klärung dieser Frage beitragen.
Studiendesign
An der multizentrischen Studie waren 146 Zentren in neun Ländern der Nordhälfte Europas (auch in Deutschland) beteiligt. 2029 Patienten mit ischämischem oder hämorrhagischem Schlaganfall, bei denen der systolische Blutdruck auf wenigstens 140 mmHg gestiegen war, bekamen in den ersten sieben Tagen nach Beginn der Symptome randomisiert Candesartan in steigender Dosierung (4 mg am ersten Tag bis 16 mg an den Tagen 3 bis 7) oder Plazebo. Die sonstige Behandlung wurde nach lokalen Gepflogenheiten durchgeführt. Bei Bedarf waren auch Antihypertensiva (außer Angiotensinrezeptorblockern) erlaubt.
Die Studie war auf zwei primäre Zielkriterien ausgerichtet: die Häufigkeit kardiovaskulärer Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle während der ersten 6 Monate sowie neurologische Defizite gemäß der modifizierten Rankin-Skala nach 6 Monaten.
Ergebnisse
Während der 7-tägigen Behandlungsphase wurde der Blutdruck bei den Candesartan-Patienten zwar signifikant gegenüber den Patienten in der Plazebo-Gruppe gesenkt (147/82 mmHg vs. 153/84 mmHg; p<0,001), dies führte allerdings nicht zu einer Verbesserung bei den primären Zielkriterien. Im Gegenteil: Kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte oder erneute Schlaganfälle waren im Candesartan-Arm tendenziell häufiger: 120 vs. 111 Ereignisse (Hazard-Ratio: 1,09; 95%-Konfidenzintervall: 0,84–1,41; p=0,52). Und auch die neurologischen Ausfälle waren nach sechs Monaten im Candesartan-Arm tendenziell stärker ausgeprägt als in der Kontrollgruppe (Tab. 1).
Tab. 1. Ausmaß der neurologischen Defizite bei Patienten ein halbes Jahr nach Schlaganfall in der SCAST-Studie erfasst mit einer modifizierten Rankin-Skala (mRS)
mRS-Score |
Patienten [%] |
|
Candesartan |
Plazebo |
|
0 = Kein neurologisches Defizit |
17,5 |
19,1 |
1 = Funktionell irrelevantes neurologisches Defizit |
29,0 |
31,6 |
2 = Funktionell geringgradiges neurologisches Defizit und/oder leichte Aphasie |
18,7 |
16,3 |
3 = deutliches Defizit mit erhaltener Gehfähigkeit und/oder mittelschwerer Aphasie |
11,3 |
11,4 |
4 = Gehen nur mit Hilfe möglich und/oder komplette Aphasie |
12,8 |
11,5 |
5 = Patient ist bettlägerig bzw. rollstuhlpflichtig |
2,3 |
2,4 |
6 = Apoplex mit tödlichem Ausgang |
8,4 |
7,8 |
In keiner der geplanten Subgruppenanalysen fand sich ein abweichendes Ergebnis, ebensowenig bei einer differenzierten Betrachtung der zusammengesetzten Zielkriterien (Tab. 2).
Tab. 2. Kardiovaskuläre Ereignisse in den ersten sechs Monaten nach Schlaganfall mit Candesartan vs. Plazebo in der SCAST-Studie
Candesartan (n=1017) |
Plazebo (n=1012) |
|
Nichttödlicher Schlaganfall |
49 (5%) |
45 (4%) |
Nichttödlicher Herzinfarkt |
8 (1%) |
6 (1%) |
Kardiovaskuläre Todesfälle |
63 (6%) |
60 (6%) |
|
32 |
36 |
|
10 |
5 |
|
4 |
6 |
|
8 |
5 |
|
9 |
8 |
Fazit und Ausblick
Durch die routinemäßige Blutdrucksenkung in der Akutphase nach einem Schlaganfall wurden in der SCAST-Studie mit Candesartan keine Vorteile erzielt. Zwei weitere laufende Studien befassen sich mit der Thematik: In der INTERACT2-Studie werden derzeit speziell Patienten mit hämorrhagischem Schlaganfall untersucht – diese Patientengruppe war in der SCAST-Studie mit 274 Patienten möglicherweise zu klein, um einen Effekt zu zeigen. In der ENOS-Studie wird eine transdermale Applikation von Glyceroltrinitrat untersucht.
Bevor diese Studien nicht das Gegenteil beweisen, gibt es bisher keine Evidenz für einen routinemäßigen Einsatz von Candesartan oder anderen blutdrucksenkenden Maßnahmen in der akuten Phase nach einem Schlaganfall.
Quelle
Sandset EC, et al. The angiotensin-receptor blocker candesartan for treatment of acute stroke (SCAST): a randomised, placebo-controlled, double-blind trial. Lancet 2011;377:741–50.
Arzneimitteltherapie 2012; 30(01)