Dr. Petra Jungmayr, Esslingen
Die Myelofibrose ist eine klonale Stammzellerkrankung, die den chronisch myeloproliferativen Erkrankungen zugeordnet wird. Sie kann als eigenständige Krankheit auftreten (primäre Myelofibrose) oder als sekundäre Myelofibrose beispielsweise aus einer Polycythaemia vera oder einer essentiellen Thrombozytopenie hervorgehen. Die Erkrankung manifestiert sich vorwiegend im höheren Lebensalter (median 60 bis 65 Jahre) und ist mit jährlich rund 500 bis 1000 Neuerkrankungen (Zahlen für Deutschland) sehr selten.
Die klinischen Symptome sind unspezifisch und sehr vielfältig. Im Anfangsstadium verläuft die Erkrankung häufig asymptomatisch. Erste Hinweise wie eine Leuko- oder Thrombozytose (→ hyperproliferative Frühphase) zeigen sich häufig bei routinemäßigen Blutuntersuchungen. Im weiteren Verlauf der Erkrankung treten Zeichen einer ineffektiven Hämatopoese wie Anämie, Thrombozytopenie und Leukozytopenie auf. Hinzu kommen eine Verschlechterung des Allgemeinzustands, eine verminderte Lebensqualität, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Fieber und Nachtschweiß. Die Patienten entwickeln eine Splenomegalie und eine hochgradige Fibrose des Knochenmarks. Als Zeichen der extramedullären Blutbildung finden sich rote und weiße Vorstufen im Blut. Das mediane Überleben nach Diagnosestellung liegt zwischen zwei und elf Jahren. Die einzige kurative Therapie ist die allogene Stammzelltransplantation, die allerdings mit einer Mortalität von bis zu 20% einhergeht.
Therapie mit JAK-Inhibitoren
Bei der Myelofibrose liegt eine Dysregulation des JAK-STAT-Signalwegs (Abb. 1) vor, die in vielen Fällen mit einer Mutation der Januskinase 2, der JAK2-V617F-Mutation im Exon 14, assoziiert ist. Diese Mutation bedingt eine konstitutive Aktivierung der Januskinase 2 und infolgedessen eine vermehrte Zellproliferation und -differenzierung. Da aber auch bei fehlender Mutation Störungen des JAK-STAT-Signalwegs vorliegen können, wird davon ausgegangen, dass bei einer Myelofibrose der JAK-STAT-Signalweg generell überaktiviert ist. Zur Therapie werden daher JAK1/2-Inhibitoren eingesetzt, die regulierend auf den JAK-STAT-Signalweg wirken und die unkontrollierte Zellproliferation unterdrücken sollen. Ein solcher JAK1/2-Inhibitor ist INC424 (Ruxolitinib), das in den USA seit November 2011 zur Behandlung von Patienten mit Myelofibrose zugelassen ist.

Abb. 1. JAK-STAT-Signalweg und Wirkungsmechanismus von INC424 bei Myelofibrose
a) Der JAK-STAT-Signalweg spielt eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung. Am Beginn der Signalkaskade stehen Zytokine oder Wachstumsfaktoren, die an spezifischen Rezeptoren auf der Oberfläche von Knochenmarkstammzellen binden. In der Folge werden eine oder mehrere Januskinasen (JAK) aktiviert, die spezifische Tyrosinreste des Rezeptors phosphorylieren, die dadurch zur Bindungsplattform für STATs (Signaltransduktoren und Aktivatoren der Transkription) werden. Die Aktivierung der STATs erfolgt ebenfalls über eine Phosphorylierung. Die aktivierten STATs dissoziieren vom Rezeptor, dimerisieren und wandern in den Zellkern. Dort regulieren sie die Transkription spezifischer Zellgene und stimulieren so Zellwachstum und Zelldifferenzierung. b) Die bei der Myelofibrose vorliegende Dysregulation des JAK-STAT-Signalwegs ist in vielen Fällen mit einer mutationsbedingten konstitutiven Aktivierung der JAK2 assoziiert und führt zu einer vermehrten Zellproliferation und Zelldifferenzierung. c) Durch Hemmung der JAK2 greift INC424 regulierend in die gestörte Signalttransduktion ein.
Zulassungsrelevante Phase-III-Studien
INC424 wurde in zwei zulassungsrelevanten Phase-III-Studien, der COMFORT-I- und der COMFORT-II-Studie (COMFORT: Controlled myelofibrosis study with oral JAK inhibitor Ruxolitinib), untersucht:
In der in Nordamerika und Australien durchgeführten COMFORT-I-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von INC424 mit Plazebo bei 309 Patienten mit primärer oder sekundärer Myelofibrose verglichen
In der europäischen COMFORT-II-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von INC424 mit der besten verfügbaren Therapie (Best available therapy, BAT) bei 219 Patienten mit primärer oder sekundärer Myelofibrose verglichen
Primärer Studienendpunkt beider Studien war die Ansprechrate, das heißt der Anteil der Patienten mit einer mindestens 35%igen Größenreduktion des Milzvolumens von Studienbeginn bis Woche 24 (COMFORT-I) bzw. Woche 48 (COMFORT-II), gemessen durch Magnetresonanz- (MRT) oder Computertomographie (CT). Sekundäre Studienendpunkte befassten sich unter anderem mit der Dauer des Therapieansprechens, der Zeit bis zum ersten Ansprechen, der Lebensqualität sowie dem Gesamtüberleben.
Ergebnisse der COMFORT-I-Studie
In der in Nordamerika und Australien durchgeführten COMFORT-I-Studie (NCT00952289) erreichten 41,9% der mit INC424 behandelten Patienten den primären Studienendpunkt, unter Plazebo waren es 0,7% (p<0,0001). Das Ansprechen auf die Therapie war unabhängig vom JAK2-V617-Mutationsstatus.
Nach 24 Wochen zeigte sich bei 45,9% der mit INC424 behandelten Patienten eine deutliche Verbesserung Myelofibrose-assoziierter Symptome im Vergleich zu 5,3% im Plazebo-Arm (p<0,0001). Der Symptom-Gesamtscore hatte sich nach 24 Wochen unter der Therapie mit INC424 im Mittel um 46,1% gegenüber dem Ausgangswert verbessert, in der Plazebo-Gruppe trat eine Verschlechterung um 41,8% ein (p<0,0001).
In beiden Gruppen beendeten 11% der Probanden die Studie aufgrund von unerwünschten Wirkungen vorzeitig. Die häufigsten hämatologischen Nebenwirkungen von Grad 3 und 4 waren Anämie (45,2% vs. 19,2%) und Thrombozytopenie (12,9% vs. 1,3%). Häufigste nichthämatologische Nebenwirkungen von Grad 3 oder 4 waren Fatigue (5% vs. 7%), Abdominalschmerzen (3% vs. 11%), Diarrhö (2% vs. 0%) und Arthralgien (2% vs. 1%).
Ergebnisse der COMFORT-II-Studie
In der europäischen COMFORT-II-Studie (NCT00934544) kam es innerhalb von 48 Wochen bei 28,5% der Patienten unter INC424 zu einer mindestens 35%igen Reduktion des Milzvolumens im Vergleich zu 0% unter BAT (p<0,0001). Die mediane Zeit bis zum Ansprechen betrug 12,3 Wochen. Die Verbesserungen der Lebensqualität und der Fähigkeit, am Alltag teilzunehmen, waren in der INC424-Gruppe stärker ausgeprägt als in der BAT-Gruppe.
Die Therapie mit INC424 war insgesamt gut verträglich. 8,2% der Patienten der INC424-Gruppe und 5,5% der BAT-Patienten brachen die Therapie aufgrund von unerwünschten Wirkungen ab. Die häufigsten hämatologischen Nebenwirkungen von Grad 3 und 4 waren Anämie (42% vs. 31%) und Thrombozytopenie (8% vs. 7%), die jedoch gut therapierbar waren. Häufigste nichthämatologische Nebenwirkungen von Grad 3 oder 4 waren Abdominalschmerzen (3% in beiden Gruppen), Rückenschmerzen (2% vs. 0%) sowie Fieber (2% vs. 0%).
Quellen
Prof. Konstanze Döhner, Ulm; Pressekonferenz „Hämatologie-Updates vom EHA-Kongress 2011“, Frankfurt, 14. Juli 2011, veranstaltet von Novartis Oncology.
www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/primaere-myelofibrose-pmf/@@guideline/html/index.html (Zugriff am 16.08.2011).
www.clinicaltrials.gov (Zugriff am 16.08.2011).
Arzneimitteltherapie 2012; 30(02)