Diabetes mellitus Typ 2

Sitagliptin in allen Stadien einer Niereninsuffizienz anwendbar


Bettina Christine Martini, Legau

Der DPP-(Dipeptidylpeptidase-)IV-Hemmer Sitagliptin hat Ende Dezember 2011 seitens der europäischen Arzneimittelbehörde die Empfehlung zur Zulassung für den Einsatz bei Typ-2-Diabetikern mit mäßiger bis schwerer (einschließlich terminaler) Niereninsuffizienz erhalten. Im Rahmen einer im Februar von der Firma Berlin Chemie in München veranstalteten Pressekonferenz wurde die Therapie mit Sitagliptin den anderen therapeutischen Möglichkeiten bei Typ-2-Diabetikern mit Niereninsuffizienz gegenübergestellt.

Exakte Zahlen darüber, wie viele Typ-2-Diabetiker in Deutschland eine chronische Nierenerkrankung haben, existieren nicht; eine aktuelle amerikanische Erhebung beziffert den Anteil auf knapp 40%. Die oralen therapeutischen Möglichkeiten für diese Patienten sind begrenzt, eine Insulin-Therapie ist aufgrund unerwünschter Wirkungen wie Gewichtszunahme, Gefahr der Hypoglykämie und nicht zuletzt wegen der häufigen Injektionen in vielen Fällen nicht erwünscht.

Orale Therapiemöglichkeiten bei Typ-2-Diabetikern mit chronischer Niereninsuffizienz

Metformin (z.B. Glucophage®) ist bei Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate von weniger als 60 ml/min aufgrund der erhöhten Gefahr einer Lactatazidose kontraindiziert. Glitazone (Pioglitazon, z.B. Actos®) werden seit Ende 2011 aufgrund von Sicherheitsbedenken grundsätzlich nur noch in Ausnahmefällen empfohlen. Von den Gliniden ist nur Repaglinid (z.B. NovoNorm®) ohne den Kombinationspartner Metformin zugelassen. Bei den Sulfonylharnstoffen sind Glimepirid (z.B. Amaryl®) und Glibenclamid (z.B. Euglucon®) nicht bei schwerer Niereninsuffizienz zugelassen; Gliquidon (Glurenorm®) ist zudem für gesetzlich krankenversicherte Patienten mit einem hohen Eigenanteil belastet, da der Preis den geltenden Festbetrag deutlich überschreitet. Außerdem besteht bei allen Sulfonylharnstoffen ein hohes Hypoglykämierisiko. Dieses ist bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion in besonderem Maße erhöht. Hintergrund ist neben der verminderten renalen Ausscheidung blutzuckersenkender Wirkstoffe auch eine verminderte Gluconeogenese, die bei Nierengesunden zu etwa einem Drittel in der Niere abläuft. Diese körpereigene Gegenregulation im Falle einer drohenden Unterzuckerung ist bei Niereninsuffizienz gestört, was zu häufigeren und schwerer ausgeprägten Hypoglykämien führt.

Eine orale Therapieoption für Typ-2-Diabetiker mit Niereninsuffizienz sind die DPP-IV-Hemmer Saxagliptin (Onglyza®), Sitagliptin (Xelevia®, Januvia®) und Vildagliptin (Galvus®, Jalra®). Sitagliptin verfügt über den breitesten Anwendungsbereich: Es ist zur Monotherapie (bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation von Metformin), zur oralen Zweifachtherapie in Kombination mit Metformin, einem Sulfonylharnstoff oder einem Thiazolidindion, zur oralen Dreifachtherapie in Kombination mit einem Sulfonylharnstoff und Metformin bzw. einem Thiazolidindion und Metformin sowie zur zusätzlichen Gabe zu Insulin zugelassen. Saxagliptin ist bislang nicht als Monotherapie zugelassen, Vildagliptin nicht in Kombination mit Insulin.

Wirkungsmechanismus Dipeptidylpeptidase-(DPP-)IV-Hemmer

DPP-IV-Hemmer blockieren den Abbau von Inkretinhormonen im Körper. Inkretine werden nach einer Mahlzeit freigesetzt und regen das Pankreas zur Insulinproduktion an. Durch Erhöhung des Inkretinhormonspiegels im Blut wird die Bauchspeicheldrüse stimuliert, bei hohem Blutzuckerspiegel mehr Insulin zu produzieren. Ist der Blutzuckerspiegel niedrig, erfolgt auch keine Stimulation. Außerdem wird die von der Leber gebildete Glucose-Menge reduziert, indem der Insulinspiegel erhöht und der Spiegel des Hormons Glucagon gesenkt wird. Zusammen führen diese Prozesse zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels und tragen zur Kontrolle des Typ-2-Diabetes bei.

Sitagliptin darf in allen Stadien der Niereninsuffizienz angewendet werden. Bei einer Creatinin-Clearance von ≥30 bis 50 ml/min wird eine Dosierung von 50 mg/Tag empfohlen, bei einer Clearance von weniger als 30 ml/min eine Reduktion auf 25 mg/Tag; diese Dosierung kann auch bei dialysepflichtigen Patienten angewendet werden. Saxagliptin sollte bei schwerer Niereninsuffizienz mit Vorsicht angewendet werden und wird bei terminaler Niereninsuffizienz nicht empfohlen. Bei Vildagliptin gilt bei terminaler Niereninsuffizienz der Hinweis „mit Vorsicht“.

Sitagliptin bei Patienten mit Niereninsuffizienz

Es wurden zwei Studien mit Sitagliptin speziell bei Patienten mit Niereninsuffizienz durchgeführt. In einer Studie wurden 426 Patienten mit mäßiger bis schwerer Niereninsuffizienz (GFR: 30 bis <50 ml/min/1,73 m2), in der anderen Studie 129 Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (Dialysedauer ≥6 Monate) mit Sitagliptin 50 bzw. 25 mg/Tag behandelt. In beiden Studien wurde Sitagliptin mit dem Sulfonylharnstoff Glipizid verglichen.

Der HbA1c-Wert sank nach gut einem Jahr gegenüber dem individuellen Ausgangswert in beiden Studien und jeweils beiden Gruppen vergleichbar:

  • Bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Niereninsuffizienz sank der Wert in der Sitagliptin-Gruppe um 0,75 und in der Glipizid-Gruppe um 0,64 Prozentpunkte (Ausgangswerte je 7,8%)
  • Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz reduzierte sich der HbA1c-Wert um 0,72 Prozentpunkte mit Sitagliptin und um 0,87 Prozentpunkte mit Glipizid (Ausgangswerte 7,9% bzw. 7,8%)

Hypoglykämien kamen unter Sitagliptin in der Studie mit Patienten mit mäßiger oder schwerer Niereninsuffizienz signifikant seltener vor als mit Glipizid (6,2% versus 17,0%). In der Studie mit Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz betrug die Hypoglykämierate 6,3% mit Sitagliptin im Vergleich zu 10,8% mit Glipizid; der Unterschied war nicht statistisch signifikant.

Ausblick: Senken DPP-IV-Hemmer das kardiovaskuläre Risiko?

Das Streben nach einer optimalen Blutzuckerkontrolle verdrängt in der Diskussion um die „richtige Therapie“ für Typ-2-Diabetiker zuweilen das eigentliche Hauptproblem der Erkrankung: das erhöhte kardiovaskuläre Risiko. Es ist aktuellen Daten zufolge in gleichem Maße erhöht, wie das Risiko eines Nichtdiabetikers mit vorangegangenem Herzinfarkt. Ziel einer antidiabetischen Therapie sollte daher nicht nur eine effektive Blutzuckerkontrolle, sondern auch die Reduktion des kardiovaskulären Risikos sein. Zu DPP-IV-Hemmern gibt es vielversprechende Daten, die eine Verminderung arteriosklerotischer Plaques im Tiermodell zeigen. Von großem Interesse sind laufende Studien mit kardiovaskulären Endpunkten zu DPP-IV-Hemmern, zum Beispiel die TECOS-Studie mit Sitagliptin (TECOS: trial to evaluate cardiovascular outcomes after treatment with Sitagliptin).

Quelle

Dr. Axel Versen, Friedrichshafen, Priv.-Doz. Dr. Martin Füchtenbusch, München. „Typ-2-Diabetes und Niereninsuffizienz: Zusammenhänge – Herausforderungen – Therapieoptionen.“, Pressekonferenz, veranstaltet von der Firma Berlin Chemie am 23. Februar 2012 in München.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(04)