Schneidet das AMNOG Deutschland von innovativen Medikamenten ab?


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

GlaxoSmithKline (GSK) führte vor einem Jahr das neue Antiepileptikum Retigabin unter dem Markennamen Trobalt ein. Das Medikament wurde bei Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie entwickelt. In dieser Patientengruppe konnte in der Add-on-Therapie eine Wirksamkeit gegenüber Plazebo nachgewiesen werden. Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kam nach Vorarbeit durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) jedoch zu der Einschätzung, dass durch Retigabin kein Zusatznutzen gegenüber den Vergleichssubstanzen Lamotrigin und Topiramat besteht. In der Praxis bedeutet dies, dass das neue Medikament zum niedrigen Preis der generischen Vergleichssubstanzen Lamotrigin und Topiramat angeboten werden muss. Die Firma GSK hat daraus den Schluss gezogen, das Medikament zunächst in Deutschland vom Markt zu nehmen.

Grundsätzlich ist die Einrichtung einer staatlichen Institution, die den Nutzen oder Zusatznutzen neuer Medikamente beurteilt, zu begrüßen und sinnvoll. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat allerdings einen wesentlichen Konstruktionsfehler: Es fordert die Nutzenbewertung eines Medikaments nur gegenüber einer Vergleichssubstanz, nicht aber auf gesundheitsökonomischer und gesamtwirtschaftlicher Ebene. Dies ist in Großbritannien beim NICE (National Institute for Health and Clinical Excellence) anders. Dort wird grundsätzlich auf Basis der medizinischen Versorgungsrealität berechnet, ob ein neues Medikament für das englische Gesundheitssystem einen Nutzen erbringt.

Besonders kritisch war bei den bisher durchgeführten Verfahren des IQWiG die Wahl der Vergleichssubstanz. Die Beurteilung von Retigabin ist ein typisches Beispiel dafür: Als Vergleichssubstanzen wurden vom G-BA Lamotrigin und Topiramat festgelegt, die in der Regel zur Primärtherapie bei erstdiagnostizierten Epilepsien eingesetzt werden, aber keine Reservemedikamente bei therapierefraktären Epilepsien sind. Zulassungsstudien zu neuen Antiepileptika erfordern hingegen schon a priori nicht den Einsatz der neuen Medikamente zur Ersteinstellung einer Epilepsie, sondern zunächst den Nachweis einer Wirksamkeit im Vergleich mit Plazebo bei therapierefraktären Epilepsien. Daher liegen für Retigabin auch keine direkten Vergleichsstudien zu Lamotrigin und Topiramat vor. Die Aussagekraft des Vergleichs von Retigabin mit diesen Wirkstoffen ist also aus verschiedenen Gründen zweifelhaft.

Der Entschluss der Firma GSK ist unter anderem vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass Deutschland bezüglich der Preisfindung von neuen Arzneimitteln das Referenzland für mehr als 20 andere Länder ist. Es bleibt sehr zu hoffen, dass die Verfahrensweise des IQWiG und des G-BA in Zukunft so gestaltet wird, dass Patienten mit seltenen und therapierefraktären Krankheiten Zugang zu innovativen Medikamenten behalten. Auf der anderen Seite ist zu wünschen, dass durch den G-BA auch konsequent Me-too-Präparate und neue Medikamente ohne echte Innovation als solche identifiziert und von einem hohen Preis ausgeschlossen werden.

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