Dr. Yvette C. Zwick, München
Zur Vorbereitung der Studie wurde zunächst eine umfangreiche Literaturrecherche von Studien anberaumt, die zwischen 1997 und 2010 publiziert wurden und in denen psychosoziale Aspekte von Menschen mit Hämophilie untersucht wurden. Diese deckte die Lücken bei der Evidenz der Behandlungen und Beurteilung psychosozialer Probleme auf. Qualitativ befragt wurden dann 150 Patienten mit Hämophilie, Betreuer und medizinisches Fachpersonal aus sieben Ländern, darunter auch Deutschland. Schließlich erfolgte mithilfe schriftlicher bzw. internetbasierter Fragebögen eine quantitative Befragung von mehr als 1200 Menschen mit Hämophile A oder B, mit oder ohne Hemmkörperentwicklung, sowie deren Eltern oder Betreuern aus zehn Ländern (Argentinien, Algerien, Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Italien, Kanada, Spanien, Großbritannien, USA). Neben der Erhebung demographischer und medizinischer Daten wurden die Teilnehmer über ihre Ausbildung, Jobs, körperliche Aktivitäten, familiäre Beziehungen, Kinder, Sexualität, Einstellung gegenüber Unterstützung, Lebensqualität, Schmerzmanagement, Zugang zur Behandlung und Kenntnisse über Hämophilie befragt. So wurden bisher nicht erforschte psychosoziale Bedürfnisse von Hämophilie-Patienten und deren Angehörigen dokumentiert.
Probleme in Schule und Beruf
Damit liefert die HERO-Studie wertvolle Einblicke in die Erkrankung mit all ihren Facetten sowie Erkenntnisse zur Optimierung der Hämophilieversorgung. Dadurch könnte auf Hämophilie-spezifische Probleme, über die in der täglichen Praxis kaum gesprochen wird, aufmerksam gemacht werden. Dies gilt beispielsweise auch für weiterführende Schulen: Die Bereitschaft, Hämophile aufzunehmen, ist in den letzten Jahren eklatant gesunken, da überforderte Lehrer und Rektoren die Verantwortung nicht übernehmen wollen. So müssen Eltern häufig und immer wieder einen Kampf führen, um ihre Kinder zu integrieren. Die Ergebnisse zeigten aber auch, dass 85% der Hämophilie-Patienten eine abgeschlossene Schulausbildung haben und 60% berufstätig sind. Dennoch hat die Krankheit bei 80% der Betroffenen ungünstige Auswirkungen auf das Berufsleben. Insgesamt gaben 22% der Patienten an, dass sie vermutlich wegen ihrer Erkrankung eine Anstellung verloren hätten oder deshalb nicht eingestellt wurden. Eltern Hämophilie-kranker Kindern vermerkten zu 63%, dass die Betreuung ihres betroffenen Kindes sich nachteilig auf ihre Berufstätigkeit ausgewirkt hätte.
Zu den psychosozialen Problemen gehören neben der Angst der Hämophilie-Patienten, wegen ihrer Erkrankung keinen Lebenspartner zu finden und ihre Arbeitsstelle zu verlieren, auch Schuldgefühle der Mütter als mutmaßliche Konduktorinnen. Hier könnte die Information helfen, dass Hämophilie zu 40% auf Spontanmutationen zurückzuführen ist und diese Mutationen in 99% der Fälle bereits bei den Vätern der Konduktorinnen aufgetreten sind.
Daten zum Sexualleben
Von insgesamt 675 befragten Patienten waren 383 verheiratet, darunter 324 Patienten, die Fragen zu ihrem Sexualleben beantworteten. Aus der Auswertung ging hervor, dass 78% in den letzten Monaten mit ihrem Sexualleben zufrieden waren. Dennoch beeinflusst die Erkrankung bei 53% die Qualität ihres Sexuallebens, sei es aufgrund von Bewegungseinschränkungen, HIV- oder Hepatitis-C-Virus-Infektionen. Angst vor Blutungen wurde von 19% genannt.
Quelle
Birgitte Toftemose, Kopenhagen, Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt, Dr. Werner Kalnins, Nettersheim. Presseveranstaltung „HERO Study Talk“, veranstaltet von NovoNordisk im Rahmen des WFH-Kongresses (World Federation of Hemophilia Congress), Paris, 10. Juli 2012.
Arzneimitteltherapie 2012; 30(11)