Multiple Sklerose

Alemtuzumab, eine neue Therapieoption in der klinischen Prüfung


Dr. rer. nat. Matthias Herrmann, Berlin

Die verfügbaren Optionen zur Behandlung von Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose (MS) werden in naher Zukunft sehr wahrscheinlich durch weitere, noch in der klinischen Entwicklung befindliche Medikamente erweitert. Vielversprechende Studienergebnisse zur MS-Therapie mit Alemtuzumab wurden bei einer von Bayer HealthCare veranstalteten Pressekonferenz in Berlin präsentiert [1].

Alemtuzumab (Campath-1H, Kasten) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der gegen das Oberflächenantigen CD52 gerichtet ist. Dieses wird auf zahlreichen Zellen des Immunsystems exprimiert, unter anderem auf B- und T-Lymphozyten. Der Antikörper bewirkt eine Komplement-vermittelte Depletion CD52-positiver Immunzellen, was unter anderem dazu führt, dass CD4-positive T-Zellen sehr lange unterdrückt werden. Man geht heute davon aus, dass diese T-Zellen bei der multiplen Sklerose als Initiatoren der Entzündung jenseits der Blut-Hirn-Schranke eine wichtige Rolle spielen.

Erste Hinweise auf eine ausgeprägte Wirksamkeit des CD52-Antikörpers bei multipler Sklerose lieferte eine 48-wöchige „Proof-of-Concept“-Studie (58 Patienten), in der Alemtuzumab die jährliche Schubrate bei Patienten mit schubförmiger MS gegenüber dem Ausgangswert um etwa 90% verringerte; bei Patienten mit sekundär progredienter MS ging sie von 0,7 auf 0,001 zurück (jeweils p<0,001) [2].

5-Jahres-Ergebnisse aus Phase II

In die daraufhin initiierte dreiarmige Phase-II-Studie CAMMS223 (Campath-1H in multiple sclerosis 223) wurden 334 nicht vorbehandelte Patienten mit früher schubförmiger MS eingeschlossen [3]. Geprüft wurden zwei Dosierungen des Antikörpers sowie eine aktive Therapie mit dreimal wöchentich 44 µg Interferon beta-1a subkutan (Rebif®). Alemtuzumab wurde als Zyklustherapie gegeben: Initial erhielten die Patienten an fünf aufeinander folgenden Tagen jeweils eine Infusion. Nach zwölf Monaten folgte ein zweiter Zyklus, bestehend aus jeweils einer Infusion an drei aufeinander folgenden Tagen. Ein Teil der Patienten erhielt zu Beginn des dritten Jahres einen weiteren Zyklus mit drei Infusionen.

Über einen Zeitraum von drei Jahren reduzierte Alemtuzumab die jährliche Schubrate gegenüber dem Interferon um etwa 75% (p<0,001; beide Dosierungen gepoolt). Obwohl ein Großteil der mit Alemtuzumab behandelten Patienten aus Sicherheitsgründen nach dem zweiten Zyklus keine weiteren Infusionen erhalten hatte, hielt die Wirkung des Antikörpers bis zum Ende des dreijährigen Studienzeitraums an.

Daten aus der Nachbeobachtungsphase zeigen, dass der Anteil der Patienten mit bestätigter Behinderungsprogression unter Alemtuzumab nach insgesamt fünf Jahren mit 13% noch immer signifikant geringer war als unter der Interferon-Therapie mit 38% (p<0,0001) [4]. Im Mittel war der Behinderungsgrad bei den mit Alemtuzumab behandelten Patienten nach fünf Jahren sogar leicht rückläufig – ein in der MS-Therapie bislang einmaliges Ergebnis.

Fast 30% der mit Alemtuzumab behandelten Patienten entwickelten eine Schilddrüsenfehlfunktion, die mit einer oralen Standardtherapie in der Regel gut beherrschbar war. Bei sechs Patienten trat eine idiopathische thrombozytopenische Purpura auf. Sie endete in einem Fall tödlich, vier Patienten konnten erfolgreich behandelt werden und ein weiterer benötigte keine Therapie.

Phase III

In der 24-monatigen Phase-III-Studie CARE-MS I (Comparison of alemtuzumab and Rebif® efficacy in multiple sclerosis I, CAMMS323) verringerte Alemtuzumab die jährliche Schubrate im Vergleich zu subkutanem Interferon beta-1a um 55% (p<0,0001) [5]. Hinsichtlich des Gesundheitszustands ergab sich für Alemtuzumab im MSFC(Multiple sclerosis functional composite)-Score ebenfalls ein signifikanter Vorteil (p=0,012).

Eine weitere Phase-III-Studie (CARE-MS II, CAMMS324) ist inzwischen ebenfalls abgeschlossen. Erste Ergebnisse wurden im April 2012 auf dem Jahreskongress der American Academy of Neurology (AAN) vorgestellt [6].

Eine ausführliche Veröffentlichung beider Phase-III-Studien steht noch aus.

Quellen

1. Prof. Dr. med. Volker Limmroth, Köln, Dr. med. Sven Schippling, Zürich. Pressekonferenz „Innovationen, Kooperationen und Visionen in der Neurologie“, Berlin, 2. März 2012, veranstaltet von Bayer HealthCare.

2. Coles AJ, et al. The window of therapeutic opportunity in multiple sclerosis. Evidence from monoclonal antibody therapy. J Neurol 2006;253:98–108.

3. The CAMMS223 Trials Investigators. Alemtuzumab vs. interferon beta-1a in early multiple sclerosis. N Engl J Med 2008;359:1786–801.

4. Coles AJ, et al. Alemtuzumab long-term safety and efficacy: five years of the CAMMS223 trial. ECTRIMS 2010, Poster 410.

5. Coles AJ, et al. Efficacy and safety results from CARE MS-1: a phase 3 study comparing alemtuzumab and interferon beta-1a. ECTRIMS 2011, Poster 151.

6. Genzyme, a Sanofi Company. Pressemitteilung vom 24.4.2012.

Alemtuzumab wurde in Europa 2001 unter dem Handelsnamen MabCampath® zur Behandlung von Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie vom B-Zell-Typ (B-CLL) zugelassen. Im August 2012 nahm der Hersteller Genzyme (Sanofi-Aventis-Gruppe) das Medikament allerdings freiwillig vom Markt zurück. Als Begründung gab der Hersteller an, er wolle sicherstellen, dass Alemtuzumab bei Patienten mit multipler Sklerose nur im Rahmen von klinischen Prüfungen angewendet wird. Nach Ansicht der AkDÄ hat die Marktrücknahme rein kommerzielle Gründe (siehe Notizen AMT 10/2012). 

Red.

Es stand in der AMT

Multiple Sklerose. Alemtuzumab versus Interferon beta-1a in frühen Stadien der multiplen Sklerose. AMT 2009;27:286–7.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(11)