Atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom

Eculizumab verhindert lebensbedrohliche thrombotische Mikroangiopathien


Michael Koczorek, Bremen

Für das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS) gibt es erstmals eine zielgerichtete Therapie: Der Antikörper Eculizumab greift gezielt in die Komplementkaskade ein, deren unkontrollierte Aktivität vital bedrohliche thrombotische Mikroangiopathien (TMA) in multiplen Organen auslöst. Mit der neuen Therapie ist nun auch die differenzialdiagnostische Abgrenzung des aHUS von anderen thormbotischen Mikroangiopathien von größerer Bedeutung – weil die Behandlung sich jetzt grundsätzlich unterscheidet, wie auf einem Symposium von Alexion Pharma Germany im Juni 2012 berichtet wurde.

Das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS) ist eine seltene Erkrankung, die Erwachsene und Kinder betrifft. Klinische Zeichen sind eine Thrombozytopenie und mikroangiopathische Hämolyse, im Blutausstrich finden sich Fragmentozyten als Folge einer mechanischen Erythrozytenschädigung. Ursache des aHUS ist eine genetisch bedingte Störung der Komplementregulation, die das Komplementsystem chronisch unkontrolliert aktiviert. Das Komplementprotein C5 wird vermehrt gebildet und in die proinflammatorischen Fragmente C5a/b gespalten. C5a gilt als starker Immunmodulator, C5b-9 als Membranangriffskomplex. In der Folge kommt es zur Aktivierung von Thrombozyten, Leukozyten und Endothelzellen, die in Entzündungen, Thrombosen und thrombotischer Mikroangiopathie mit vital bedrohlichen mikrovaskulären Okklusionen resultiert.

Die Nieren sind immer betroffen

Die thrombotische Mikroangiopathie kann zu plötzlichen Todesfällen führen oder katastrophale Schäden in verschiedenen Organen induzieren. Die Nieren sind immer betroffen. Fast die Hälfte der Patienten entwickelt neurologische oder kardiovaskuläre Komplikationen, gastrointestinale Störungen mit Diarrhö als Leitsymptom sind häufig. Die Erkrankung verläuft chronisch progredient und ist mit hoher Letalität assoziiert: Über ein Drittel der Patienten stirbt oder erreicht ein terminales Nierenversagen mit der ersten klinischen Manifestation; etwa zwei Drittel sterben im ersten Jahr nach Diagnose, werden dialysepflichtig oder chronisch nierenkrank. Therapeutisch kam bislang vor allem eine unterstützende Plasmapherese zum Einsatz, die bei anderen thrombotischen Mikroangiopathien wie der lebensbedrohlichen thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) erfolgreich angewendet wird, bei aHUS jedoch wenig effektiv ist.

Komplementaktivität rasch signifikant reduziert

Mit Eculizumab (Soliris®) kann die Erkrankung nun erstmals gezielt behandeln werden. Der humanisierte monoklonale Antikörper greift direkt in die chronisch unkontrolliert aktivierte Komplementkaskade ein: Eculizumab bindet selektiv und hochaffin an C5 und blockiert die Spaltung in C5a/b und in dessen terminale proinflammatorischen Komplexe. Schon innerhalb einer Stunde reduziert der Komplementinhibitor die Komplementaktivität signifikant und verhindert rasch die thrombotische Mikroangiopathie. Eculizumab ist bereits seit 2007 zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) zugelassen, die ebenfalls auf einer komplementvermittelten Hämolyse beruht. Im November 2011 erfolgte die Zulassung für die Therapie des aHUS bei Kindern und Erwachsenen. Sie beruht auf zwei kleinen, prospektiven, kontrollierten, offenen Studien über mindestens 26 Wochen mit insgesamt 37 jugendlichen und erwachsenen Patienten mit unterschiedlicher Krankheitsdauer. Deren Zustand verbesserte sich unter Therapie sehr schnell und beeindruckend von dramatisch schlecht auf fast normal.

Nierenfunktion stabil verbessert

Bei Patienten in der Frühphase der Erkrankung mit medianer Dauer von zehn Monaten (Studie C08-002A/B) stieg die Thrombozytenzahl innerhalb von sieben Tagen signifikant, steigerte sich bis Woche 26 weiter und blieb im weiteren Verlauf stabil. Die hämatologischen Parameter normalisierten sich bei 76% der Patienten, 88% blieben ohne weitere thrombotische Mikroangiopathie. Die Nierenfunktion (eGFR) steigerte sich um 31 ml/min pro 1,73 m2 bis Woche 26 (Abb. 1). Ein Bedarf an Plasmaintervention bestand bei fast allen Patienten nicht mehr, vier von fünf Patienten konnten die Dialyse beenden. Von 20 Patienten mit medianer Krankheitsdauer von 48 Monaten (Studie C08-003A/B) blieben 80% ohne thrombotische Mikroangiopathie, die Nierenfunktion verbesserte sich, kein Patient benötigte eine weitere Plasmaintervention oder neue Dialyse. In beiden Studien wurde Eculizumab gut vertragen.

Abb. 1. Verbesserung der Nierenfunktion (eGFR [ml/min pro 1,73 m2]) unter Eculizumab – Behandlungsbeginn 10 Monate nach aHUS-Diagnose [Feldkamp]

Testung auf ADAMTS13 und Shiga-Toxin vor Therapiebeginn

Von großer Bedeutung ist mit Einführung der differenzierten Therapie die Differenzialdiagnose einer thrombotischen Mikroangiopathie. Klinisch unterscheiden sich TTP, STEC-HUS (durch Shiga-Toxin produzierende E. coli ausgelöstes HUS) oder aHUS wegen überlappender Symptomatik kaum. Die Diagnose TTP sichert der Nachweis eines schweren ADAMTS13-Mangels (Kasten), der bei aHUS nicht vorliegt, ein STEC-HUS sichert der Nachweis des Shiga-Toxins. Die Testung sollte vor Einleitung einer Plasmapherese erfolgen, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Sichert das Testergebnis ein aHUS, kann die Therapie mit Eculizumab unmittelbar beginnen.

ADAMTS13 bei TTP

ADAMTS13 (A disintegrin and metalloprotease with thrombospondin-1-like domains 13) ist eine Metalloprotease, die spezifisch den von-Willebrand-Faktor (vWF) spaltet. Bei der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) ist die Aktivität des Enzyms stark herabgesetzt (<5%), vWF wird nicht mehr gespalten und es bilden sich abnorm große vWF-Multimere aus, die die Thrombozytenaggregation fördern. In der Folge kommt es zur thrombotischen Mikroangiopathie mit der klinischen Pentade Petechien, hämolytische Anämie, neurologische Auffälligkeiten, Nierenversagen und Fieber. Der Nachweis einer schweren ADAMTS13-Defizienz ist spezifisch für die TTP.

Quellen

Priv.-Doz. Dr. Thorsten Feldkamp, Essen; Symposium „Die Behandlung thrombotischer Mikroangiopathien revolutionieren mittels zielgerichteter Therapie“ veranstaltet von Alexion Pharma Germany im Rahmen des 13. Update Hämatologie/Onkologie, Duisburg, 22. Juni 2012.

Licht C, et al. ASN Kidney Week Philadelphia/PA, November 08–13, 2011; Poster #TH-PO366.

Greenbaum L, et al. ASN Kidney Week Philadelphia/PA, November 08–13, 2011; Poster #TH-PO367.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(11)