Ischämischer Schlaganfall

Lyse unter subtherapeutischem Warfarin


Dr. B. Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall, die mit Warfarin behandelt wurden (INR ≤1,7), war der Einsatz von intravenöser Alteplase nicht mit einem höheren intrakraniellen Blutungsrisiko verbunden als bei Patienten ohne Warfarin-Therapie. Das ergab die Auswertung von über 20000 Datensätzen aus einem Schlaganfallregister der American Heart Association.

Die intravenöse Gabe von Gewebeplasminogenaktivator (rt-PA, Alteplase [Actilyse®]) ist derzeit die einzige wirksame Behandlungsoption bei einem ischämischen Schlaganfall. Allerdings müssen dabei strenge Ein- und Ausschlusskriterien beachtet werden, da intravenöse Alteplase das Risiko für symptomatische intrakranielle Blutungen birgt. Bei 2,4% bis 8,8% der Patienten, die wegen eines Schlaganfalls intravenös Alteplase verabreicht bekommen, tritt diese potenziell lebensbedrohliche Komplikation auf. Ein erhöhtes Risiko wird bei Patienten vermutet, die unter einer antikoagulativen Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin stehen. Aus den großen Studien mit Alteplase wurden deshalb Patienten unter Warfarin ausgeschlossen.

Die Leitlinien der American Heart Association empfehlen die Anwendung von intravenöser Alteplase auch bei Patienten unter einer Warfarin-Therapie, allerdings nur, wenn ihr INR (International normalized ratio) bei 1,7 oder niedriger liegt. Da aber auch in diesem Patientenkollektiv bislang Sicherheitsdaten fehlten, gibt es große Unsicherheiten bezüglich des Einsatzes von Alteplase bei Patienten unter Warfarin-Therapie.

Studienziel und -design

Ziel der vorliegenden Registerstudie war es, das Risiko für symptomatische intrakranielle Blutungen bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall, die intravenös Alteplase erhielten und mit Warfarin behandelt wurden, mit dem von Patienten zu vergleichen, die kein Warfarin erhielten. Dafür wurden Daten von 23437 Patienten aus dem „Get with the Guidelines“-Schlaganfallregister ausgewertet; die Teilnahme an diesem Register, das von der American Heart Association und der American Stroke Association gefördert wird, ist für die Kliniken freiwillig.

Alle Patienten hatten einen ischämischen Schlaganfall erlitten, ihr INR lag bei 1,7 oder niedriger und sie wurden zwischen April 2009 und Juni 2011 in einem von 1203 registrierten Krankenhäusern mit intravenöser Alteplase behandelt. Bei 1802 (7,7%) Patienten bestand zum Zeitpunkt des Schlaganfalls eine Warfarin-Therapie. Diese Patienten waren älter, wiesen mehr Komorbiditäten auf und hatten häufiger schwerere Schlaganfälle erlitten als die Patienten ohne Warfarin. Ihr medianer INR-Wert belief sich auf 1,20 (interquartiler Bereich 1,07–1,40; in der Vergleichsgruppe 1,00 [1,00–1,10]).

Primärer Studienendpunkt waren symptomatische intrakranielle Blutungen. Sekundäre Studienendpunkte umfassten lebensbedrohliche schwere systemische Blutungen, Alteplase-Komplikationen sowie Kliniksterblichkeit. Als Komplikation der Alteplase-Behandlung galten symptomatische intrakranielle und lebensbedrohliche oder schwerwiegende systemische Blutungen, die innerhalb von 36 Stunden nach der Lysetherapie auftraten, sowie andere schwerwiegende Komplikationen.

Studienergebnis

Nach der Behandlung mit intravenöser Alteplase lag die nicht adjustierte Rate an symptomatischen intrakraniellen Blutungen bei den Patienten unter Warfarin-Therapie um etwa 1 Prozentpunkt höher als bei Patienten ohne Warfarin (5,7% versus 4,6%, p<0,001). Nach Angleichung der zugrunde liegenden klinischen Faktoren, von Einfluss nehmenden Krankheiten und anderen Parametern war dieser Unterschied allerdings nicht mehr statistisch signifikant (adjustiertes Odds-Ratio 1,01; 95%-Konfidenzintervall 0,82–1,25; Tab. 1).

Tab. 1. Komplikationen einer Alteplase-Lysetherapie in Abhängigkeit von einer subtherapeutischen Warfarin-Gabe (INR 1,7) vor Eintritt des Schlaganfalls [Xian et al.]

Endpunkt

Ereignisrate
mit Warfarin (n=1802)

Ereignisrate ohne Warfarin (n=21635)

Adjustiertes Odds-Ratio (95%-KI)

p-Wert

Symptomatische intrakranielle Blutung

5,7%

4,6%

1,01 (0,82–1,25)

0,94

Schwere systemische Blutung

0,9%

0,9%

0,78 (0,49–1,24)

0,29

Komplikationen der Alteplase-Therapie

10,6%

8,4%

1,09 (0,93–1,29)

0,30

Kliniksterblichkeit

11,4%
(202/1772)

7,9%
(1676/21304)

0,94 (0,79–1,13)

0,50

KI: Konfidenzintervall

Auch für die sekundären Studienendpunkte wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen gefunden. Bei den Patienten mit und ohne Warfarin-Therapie traten schwere systemische Blutungen, Komplikationen der Alteplase-Lysetherapie oder Todesfälle in der Klinik ähnlich häufig auf (Tab. 1).

Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen INR-Bereich und erhöhtem intrakraniellem Blutungsrisiko war nicht nachweisbar. Lediglich bei Patienten mit sehr niedrigem INR (0,8–0,9), die intravenös mit Alteplase behandelt wurden, schienen intrakranielle Blutungen weniger häufig aufzutreten; in dieser Subgruppe betrug die Rate an systemischen intrakraniellen Blutungen nur 1,8%.

Fazit

Die Auswertung von Daten des amerikanischen Schlaganfallregisters legt nahe, dass bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall und nur leicht verminderter Gerinnung (INR 1,7 oder niedriger) die Lyse mit Alteplase auch bei bestehender Warfarin-Therapie sicher ist. Die Vortherapie mit Warfarin war auch nicht mit lebensbedrohlichen oder schweren systemischen Blutungen, Alteplase-Komplikationen oder einer erhöhten Kliniksterblichkeit verbunden. Wenn dieses Ergebnis auch nicht alle Befürchtungen hinsichtlich der Sicherheit dieser Kombination zerstreuen kann, sollte es doch in der klinischen Praxis berücksichtigt werden. Ein Nebenbefund der vorliegenden Studie war nämlich, dass die Alteplase-Therapie nur bei etwa der Hälfte der Warfarin-behandelten Patienten, die nach den AHA-Leitlinien geeignet gewesen wären, durchgeführt wurde.

In deutschen und europäischen Leitlinien gilt eine Vorbehandlung mit oralen Antikoagulanzien wegen eines erhöhten Blutungsrisikos auch bei INR <1,7 weiterhin als Kontraindikation für eine Lyse-Therapie.

Quellen

Xian Y, et al. Risks of intracranial hemorrhage among patients with acute ischemic stroke receiving warfarin and treated with intravenous tissue plasminogen activator. JAMA 2012;307:2600–8.

Alberts MJ. Cerebral hemorrhage, warfarin, and intravenous tPA. The real risk is not treating. JAMA 2012;307:2637–9.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(11)