Hepatozelluläres Karzinom

Tyrosinkinase- und Angiogenese-Hemmer zur Therapie


Dr. Andreas Häckel, Frankfurt/Main

Zu einer vielversprechenden Strategie beim fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinom (HCC) zählt die Angiogenesehemmung. Als neue Substanzen in der Erstlinienbehandlung werden derzeit in Phase-III-Studien die Tyrosinkinase-Hemmer Linifanib und Brivanib sowie die Kombination von Sorafenib mit Erlotinib oder Doxorubicin untersucht. Zur Second-Line-Therapie sind in Phase III der mTOR-Inhibitor Everolimus, der VEGF-Rezeptor-Antikörper Ramucirumab, Brivanib und in Phase II der cMET-Inhibitor Tivantinib.

Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist mit weltweit über 500000 Todesfällen pro Jahr und einer meist schlechten Prognose eine der bedeutsamsten Tumorerkrankungen. In Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern nimmt seine Häufigkeit derzeit noch zu, dieser Trend dürfte sich aber dank wirksamer Therapien gegen die Virushepatitiden B und C als Hauptrisikofaktoren langfristig umkehren.

Die chirurgische Behandlung des HCC erfordert eine individuelle Therapieplanung unter Zuhilfenahme eines geeigneten Staging-Systems. Die heute verwendete Stadieneinteilung nach der Barcelona-Clinic-Liver-Cancer(BCLC)-Klassifikation erlaubt eine Einschätzung der Prognose anhand von Größe und Differenzierungsgrad des Tumors. Neben Child-Stadium und Bilirubin-Wert liefert bei Zirrhose-Patienten auch der LiMax-Atemtest zusätzliche Informationen zur Leberfunktion und zur Machbarkeit einer Operation. Die Menge des ausgeatmeten Kohlenstoffisotops 13C erlaubt nach Normalisierung auf das Körpergewicht eine interindividuell vergleichbare Aussage über die Metabolisierungskapazität des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP2A1 und damit über die Leberfunktionsreserve, also die postoperativ zu erwartende Komplikationsrate. Kritisch wird es, wenn weniger als ein Drittel des Lebergewebes nach einer Resektion übrig bleibt.

Bei größeren Tumoren (>3 cm) hat die Resektion – eventuell mit vorhergehender Embolisation – vermutlich Überlebensvorteile gegenüber den ablativen Verfahren, bei kleineren Befunden (<2 cm) scheint die Radiofrequenzablation (RFA) ebenbürtig zu sein.

Kriterien für eine Transplantation

Bei der Entscheidung für eine Lebertransplantation ist zu berücksichtigen, dass sich die Prognose der Patienten mit zunehmender Tumorgröße verschlechtert. Etwa ab einer Tumorgröße von 7 cm liegt das Fünf-Jahres-Überleben nur noch bei 35 bis 50%, dagegen bei Tumoren unter 5 cm zwischen 75 und 80%. Daher sind die Mailand-Kriterien (1 Knoten<5 cm, maximal 3 Knoten<3 cm) zur Selektion mit einem Fünf-Jahres-Überleben von fast 75% und einem Rezidivrisiko von 10% nach wie vor Voraussetzung für die Organzuteilung anhand der Warteliste.

Interventionelle Techniken

Als interventionelle Strategie vor allem in frühen Tumorstadien (Tumoren<3 cm) dominierte bislang die transarterielle Chemoembolisation (TACE). Als konkurrierendes, weil weniger belastendes Verfahren etabliert sich derzeit die Yttrium-90-Radioembolisation (SIRT). Geeignet scheint sie bei Pfortaderthrombosen sowie großen oder diffusen Tumoren.

Systemische Therapien

Kombinationen ablativer Verfahren wie Radiofrequenzablation, transarterieller Chemoembolisation und Yttrium-90-Radioembolisation mit systemischer Gabe des Tyrosinkinase-Hemmers Sorafenib (Nexavar®) werden derzeit in mehreren Studien untersucht, wobei Daten zum Überleben noch nicht vorliegen. Eine simultane Therapie mit Sorafenib während der transarteriellen Chemoembolisation ist wegen kombinierter Toxizität und der Downregulation der Tumorperfusion durch den Tyrosinkinase-Hemmer allerdings kontraproduktiv.

Als medikamentöse Option ist Sorafenib Standard bei fortgeschrittenen Tumorstadien mit einem Überlebensvorteil von etwa drei Monaten. Verdoppeln lässt sich die Überlebenszeit bei ausgewählten Patienten durch Kombination mit Doxorubicin, allerdings um den Preis einer deutlich erhöhten hämatologischen Toxizität. Patienten mit HCV-Infektion profitieren ebenfalls von Sorafenib. Der Tyrosinkinase-Hemmer ist immer dann indiziert, wenn die Patienten keinen Nutzen von einer operativen, ablativen oder transarteriellen Therapie haben und die Leberfunktion noch erhalten ist (Child-Pugh A). Im Vergleich mit Sunitinib (Sutent®), das schlechter abschnitt, wurden diese Daten für Patienten mit fortgeschrittenem HCC bestätigt. Durchfall, Müdigkeit und Hand-Fuß-Reaktionen sind die wesentlichen, in den Studien bestätigten Nebenwirkungen.

Zu den vielversprechendsten Strategien beim fortgeschrittenen HCC zählt die Angiogenesehemmung. Als neue Substanzen werden Linifanib (Abbott) und Brivanib (BMS) sowie die Kombination von Sorafenib mit Erlotinib oder Doxorubicin untersucht. Zur Second-Line-Therapie sind in der Phase III der mTOR-Inhibitor Everolimus, der VEGF-Rezeptor-Antikörper Ramucirumab (Imclone) sowie Brivanib und in Phase II der cMET-Inhibitor Tivantinib (Arqule, Daiichi Sankyo).

Neue S3-Leitlinie erwartet

Zur Diagnostik und Therapie des hepatozellulären Karzinoms (HCC) wird im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) in Kürze eine neue S3-Leitlinie erscheinen. Sie beinhaltet Fragen wie Art und Frequenz der Vorsorgeuntersuchungen, den Stellenwert der chirurgischen Verfahren (Resektion) im Vergleich zu lokalablativen Techniken wie der Radiofrequenzablation oder der transarteriellen Chemoembolisation. Ebenso diskutiert werden Entscheidungskriterien für eine Lebertransplantation sowie Möglichkeiten der systemischen medikamentösen Therapie.

Quellen

Priv.-Doz. Dr. Daniel Seehofer, Berlin; Prof. Jens Ricke, Magdeburg; Prof. Dr. Jörg Trojan, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Nisar Peter Malek, Tübingen; 8. Expert Summit on Viral Hepatitis „Aktuelle Hepatologie und neue HCV-Therapien in der Praxis“, Berlin, 17. bis 18. Februar 2012, veranstaltet von MSD Sharp & Dohme GmbH.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(11)