HIV-Infektion

Erste Vierfachkombination in einer Tablette


Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Basierend auf den Ergebnissen von zwei Phase-III-Studien wurde im August 2012 in den USA die erste Vierfachkombination für die initiale Therapie bei Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus 1 (HIV1) zugelassen. Neben den beiden bekannten nukleos(t)idischen Reverse-Transcriptase-Hemmern Emtricitabin und Tenofovirdisoproxilfumarat enthält die Kombination den neuen Integrase-Hemmer Elvitegravir sowie Cobicistat, eine neue Booster-Substanz.

In den letzten Jahren wurden die Möglichkeiten der Therapie bei Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus 1 (HIV1) wesentlich verbessert. Inzwischen sind mehr als zwanzig antiretrovirale Wirkstoffe aus sechs Arzneistoffklassen auf dem Markt, sodass die Therapie in vielen Fällen an die individuellen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden kann. Bei der Auswahl einer Behandlungsmethode spielt neben der Wirksamkeit und Verträglichkeit (einschließlich der Kurz- und Langzeitnebenwirkungen) auch die Anwendungsweise eine wichtige Rolle. Ein wichtiges Ziel bei der Entwicklung neuer HIV-Therapien ist es daher, die Zahl der pro Tag einzunehmenden Tabletten zu vermindern und die Einnahmeschemata zu vereinfachen. Das kann die Compliance der Patienten erheblich verbessern.

In den aktuellen deutsch-österreichischen Leitlinien für die antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion [1] wird für nicht vorbehandelte Erwachsene mit HIV1-Infektion eine Kombinationstherapie empfohlen:

  • Zwei nukleosidische/nukleotidische Reverse-Transcriptase-Inhibitoren (NRTI), zum Beispiel Emtricitabin (Emtriva®) und Tenofovirdisoproxilfumarat (Viread®) plus
  • ein weiterer Wirkstoff aus einer anderen Wirkstoffklasse:
  • ein nichtnukleos(t)idischer Reverse-Transcriptase-Hemmer (NNRTI) wie Efavirenz (Sustiva®) oder
  • ein mit Ritonavir geboosterter Protease-Inhibitor wie Atazanavir (Reyataz®) oder Darunavir (Prezista®) oder
  • der Integrase-Inhibitor Raltegravir (Isentress®).

Von den bevorzugten Dreifachkombinationen war bislang nur die Kombination Efavirenz, Emtricitabin und Tenofovirdisoproxilfumarat in einer einzelnen, koformulierten Tablette erhältlich (Atripla®).

Es stand in der AMT

Stellenwert der Integrase-Inhibitoren bei der Therapie der HIV-1-Infektion. AMT 2012;30:187–96.

Neue Vierfachkombination mit Elvitegravir

Elvitegravir ist ein neuer Integrase-Inhibitor, der in zwei randomisierten, doppelblinden, Phase-III-Studien als Bestandteil einer Vierfachkombination zur Initialtherapie bei Erwachsenen mit HIV1-Infektion untersucht wurde. Neben Elvitegravir (EVG) enthält das untersuchte Kombinationspräparat die beiden NRTI Emtricitabin (FTC) und Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) sowie den Cytochrom-P450-3A4-Inhibitor Cobicistat (COBI), eine neue Booster-Substanz ohne antivirale Wirkung.

Beide Studien waren als Nichtunterlegenheitsstudien angelegt. Verglichen wurde einmal mit einer Kombination der beiden NRTI mit dem NNRTI Efavirenz und einmal mit einer Kombination der beiden NRTI mit dem Protease-Inhibitor Atazanavir, geboostert mit Ritonavir.

Studie GS-US-236-0102 [2]

In die Studie GS-US-236-0102 wurden 707 mit HIV1 infizierte Patienten aus Klinik-Ambulanzen in Nordamerika aufgenommen. Die Probanden hatten eine Viruslast (Plasmavirämie, Konzentration der HIV-Ribonukleinsäure [RNS] im Plasma) von 5000 Kopien/ml oder mehr und waren zuvor noch nie mit antiretroviralen Substanzen behandelt worden. Die vor Therapiebeginn durchgeführte genotypische Resistenztestung zeigte eine Empfindlichkeit gegenüber Efavirenz, Emtricitabin und Tenofovir.

Die Patienten wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert in zwei Studienarme aufgeteilt und erhielten

  • die Vierfachkombination EVG/COBI/FTC/TDF („Quad“, n=348):
  • Elvitegravir 150 mg
  • Cobicistat 150 mg
  • Emtricitabin 200 mg
  • Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg
  • oder eine Standardtherapie mit EFV/FTC/TDF („Dreifachtherapie“, n=352):
  • Evafirenz 600 mg
  • Emtricitabin 200 mg
  • Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg

Die Studienmedikation wurde einmal täglich zusammen mit einer Mahlzeit und einem Plazebo der jeweils anderen Therapie eingenommen. Die Gruppenzugehörigkeit war sowohl für die Patienten als auch das involvierte Personal maskiert. Primärer Studienendpunkt war der Anteil der Patienten mit einer HIV-RNS-Konzentration von weniger als 50 Kopien/ml (in der Intention-to-treat-Population) in Woche 48.

Studienergebnis. In Woche 48 wiesen 87,6% der Probanden der EVG/COBI/FTC/TDF-Gruppe und 84,1% der Patienten der EFV/FTC/TDF-Gruppe eine HIV-RNS-Konzentration von weniger als 50 Kopien/ml auf (Unterschied 3,6 Prozentpunkte; 95%-Konfidenzintervall [KI] –1,6 bis +8,8). Die Vierfachkombination war der Dreifachkombination also bezüglich des virologischen Ansprechens nicht unterlegen.

Auch der Anteil der Patienten, die die Studienmedikation wegen unerwünschter Ereignisse abbrachen, unterschied sich in beiden Gruppen nicht wesentlich (13 von 348 in der EVG/COBI/FTC/TDF-Gruppe; 18 von 352 in der EFV/FTC/TDF-Gruppe). Übelkeit wurde im Quad-Arm signifikant häufiger beobachtet als in der Vergleichsgruppe, während abnorme Träume, Schlaflosigkeit, Schwindel und Hautausschläge unter der Vierfachkombination seltener vorkamen (Tab. 1). Wie es aufgrund vorangegangener Studien mit Cobicistat zu erwarten war, war die Serum-Creatinin-Konzentration in Woche 48 in der EVG/COBI/FTC/TDF-Gruppe stärker gegenüber dem Ausgangswert gestiegen als in der EFV/FTC/TDF-Gruppe (Median +13 vs. +1 µmol/l; p<0,001); dementsprechend hatte die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) in der Quad-Gruppe stärker abgenommen als unter der Dreifachtherapie (–14,3 vs. –3,0 ml/min; p<0,001).

Tab. 1. Unerwünschte Ereignisse in der GS-US-236-0102-Studie, die in mindestens einer Gruppe bei 10% der Probanden auftraten und deren Häufigkeit sich signifikant zwischen den Gruppen unterschied [2]

EVG/COBI/FTC/TDF
(n=348) [n (%)]

EFV/FTC/TDF
(n=352) [n (%)]

Übelkeit

72 (21)

48 (14)

Schwindel

23 (7)

86 (24)

Abnorme Träume

53 (15)

95 (27)

Schlaflosigkeit

30 (9)

49 (14)

Hautausschläge

22 (6)

43 (12)

EVG: Elvitegravir; COBI: Cobicistat; FTC: Emtricitabin; TDF: Tenofovirdisoproxilfumarat; EFV: Efavirenz

Studie GS-236-0103 [3]

Die zweite Phase-III-Studie mit einem vergleichbaren Studiendesign und -endpunkt wurde in 146 Zentren in Australien, Europa, Nordamerika und Thailand durchgeführt. Eingeschlossen wurden 715 Patienten mit einer HIV1-Infektion, ohne vorherige antiretrovirale Therapie und mit einer Viruslast von 5000 HIV-RNS-Kopien/ml oder mehr. Sie wurden randomisiert behandelt mit

  • der Vierfachkombination EVG/COBI/FTC/TDF wie in Studie GS-US-236-0102 (n=353) oder
  • der Vergleichstherapie ATV/RTV +FTC/TDF (n=355):
  • Atazanavir 300 mg, geboostert mit Ritonavir 100 mg
  • Emtricitabin 200 mg
  • Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg

Studienergebnis. Nach 48 Behandlungswochen wiesen beide Therapien eine ähnliche Wirksamkeit auf: Unter der Elvitegravir-Kombination erreichten 89,5% der Patienten eine Viruslast von weniger als 50 Kopien/ml, unter der Atazanavir-Kombination 86,6% der Patienten (adjustierter Behandlungsunterschied 3,0 Prozentpunkte; 95%-KI –1,9 bis 7,8%). Auch bei Patienten, die zu Studienbeginn eine HIV-RNS-Konzentration von mehr als 100000 Kopien/ml aufwiesen, waren die beiden Therapien ähnlich wirksam: In dieser Subgruppe erreichten 85% der Probanden aus dem Quad-Arm und 82% der Probanden mit der Atazanavir-Kombination eine Viruslast von weniger als 50 Kopien/ml [4].

Sicherheit und Verträglichkeit der beiden Therapien waren ebenfalls vergleichbar. 13 Patienten (3,7%) mit der Elvitegravir-Kombination versus 18 (5,1%) in der Atazanavir-Gruppe brachen die Behandlung aufgrund von unerwünschten Ereignissen ab. Leberwerte außerhalb des Normbereichs waren bei Patienten mit der Vierfachkombination seltener als bei denen mit der Vergleichstherapie. In der Quad-Gruppe war außerdem ein gegenüber dem Atazanavir-Arm signifikant geringerer Anstieg der Nüchtern-Triglyceridwerte zu verzeichnen (0,09 vs. 0,26 mg/dl; p=0,006). In beiden Studiengruppen wurde in Woche 2 ein leichter Anstieg der mittleren Serum-Creatinin-Konzentration beobachtet, der von einer Abnahme der geschätzten glomerulären Filtrationsrate begleitet war. Beide Werte stabilisierten sich in der Regel bis Woche 8 und veränderten sich bis Woche 48 nicht mehr wesentlich (mediane Veränderung der Serum-Creatinin-Konzentration bzw. der eGFR für EVG/COBI/FTC/TDF vs. ATV/RTV+FTC/TDF: +11 vs. +7 µmol/l bzw. –12,7 vs. –9,5 ml/min; jeweils p<0,001).

Ausblick

Die Ergebnisse der beiden vorliegenden Phase-III-Studien waren Grundlage für die Ende August 2012 erfolgte Zulassung der Vierfachkombination EVG/COBI/FTC/TDF in den USA (Handelsname Stribild) für die Therapie von erwachsenen HIV1-Infizierten, die noch nie gegen HIV behandelt wurden.

Die Einführung des neuen Arzneimittels bereichert die Behandlungsoptionen bei der HIV-Infektion. Eine einzige Tablette, die einmal täglich eingenommen wird, vereinfacht die Therapie und verbessert die Compliance.

Die Sicherheit der Vierfachkombination sollte allerdings noch weiter untersucht werden: im Hinblick auf eine Langzeiteinnahme, mögliche Interaktionen mit anderen Arzneimitteln und darauf, dass in beiden Studien nur rund 10% der Teilnehmer Frauen waren [4, 5].

Quellen

1. Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion (AWMF-Register-Nr.: 055-001), Version 04_2012.2 vom 22.2.2012 unter www.daignet.de (Zugriff am 5.10.2012).

2. Sax PE, et al. Co-formulated elvitegravir, cobicistat, emtricitabine, and tenofovir versus co-formulated efavirenz, emtricitabine, and tenofovir for initial treatment of HIV-1 infection: a randomised, double-blind, phase 3 trial, analysis of results after 48 weeks. Lancet 2012;379:2439–48.

3. DeJesus E, et al. Co-formulated elvitegravir, cobicistat, emtricitabine, and tenofovir disoproxil fumarate versus ritonavir-boosted atazanavir plus co-formulated emtricitabine and tenofovir disoproxil fumarate for initial treatment of HIV-1 infection: a randomised, double-blind, phase 3, non-inferiority trial. Lancet 2012;379:2429–38.

4. Schrijvers R, Debyser Z. Quad’s in it for antiretroviral therapy? Lancet 2012;379:2403–5.

5. U.S. Food and Drug Administration. Pressemitteilung vom 27. August 2012.

Arzneimitteltherapie 2012; 30(12)