Pneumonie

Neue Biomarker verbessern Prognoseabschätzung schon in der Notfallaufnahme


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. rer. nat. Klaus A. Schmidt, Aachen

Von einer guten Prognoseeinschätzung in der Notfallaufnahme und der daraus folgenden Stationszuordnung kann das Überleben eines Patienten abhängen. Bei Pneumoniepatienten lässt sich die Prognose besser mit kardiovaskulären Biomarkern als mit reinen Entzündungsmarkern abschätzen, weil diese die Haupttodesursachen reflektieren. Hierbei besonders vielversprechend ist der neue Biomarker MR-proADM (mittregionales Proadrenomedullin). Dies folgt aus dem Vortrag von Prof. Stefan Krüger (Aachen) bei dem von Thermo Fisher Scientific unterstützten Symposium „Evidenzbasierte Diagnostik in Zeiten knapper Kassen“ auf der 44. gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin.

Pneumonie-assoziierte respiratorische Insuffizienz oder Sepsis sind keineswegs die einzigen Todesursachen bei Patienten, die mit einer ambulant erworbenen Pneumonie (CAP, community-acquired pneumonia) ins Krankenhaus kommen. Viele sterben an kardiovaskulären Ereignissen, wie etwa Myokardinfarkt oder kardialer Dekompensation. Auch diejenigen, die die akute Episode überlebt haben, zeigen im weiteren Verlauf deutliche Übersterblichkeit. Im ersten Halbjahr nach einer Pneumonie versterben mindestens doppelt so viele Patienten wie in der Akutphase. Häufige Ursachen für die Folgemortalität sind unentdeckte Herzinsuffizienz, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD), Malignome und Nierenversagen. Die Pneumonie solle nicht einfach als ein antibiotisch behandelbarer „infektiologischer Unfall“ betrachtet werden, sondern als Indikatorerkrankung für eine wahrscheinlich lebensbedrohliche andere Grunderkrankung.

Die Verlaufsdiagnostik sollte sich deshalb nicht auf die typischen Entzündungsmarker beschränken, sondern auch Biomarker für Sepsis und kardiovaskuläre Morbidität einschließen. Um die hierfür aussagekräftigsten Parameter zu ermitteln, wurden in einer Studie des deutschen Kompetenznetzwerks CAPNETZ bei 785 Pneumonie-Patienten sieben verschiedene Biomarker in der Vorhersage der Letalität verglichen [1]. Bestimmt wurden

  • PCT (Procalcitonin),
  • CRP (C-reaktives Protein),
  • Leukozyten,
  • MR-proADM (mittregionales Proadrenomedullin, Kasten),
  • MR-proANP (mittregionales Pro-ANP; ANP=atriales natriuretisches Peptid),
  • CT-proET-1 (C-terminales Fragment von Proendothelin 1),
  • Copeptin (C-terminales Fragment von Pro-AVP, dem Prohormon von Arginin-Vasopressin)

sowie der CRB-65-Score, der für die Schweregradbeurteilung obligat ist (CRB-65: clinical confusion, respiratory rate, blood pressure, age >65 years)). Die Patienten wurden 180 Tage nachbeobachtet.

MR-proADM und Adrenomedullin

Mittregionales Proadrenomedullin (MR-proADM) umfasst die Aminosäuren(AS) 45 bis 92 des Adrenomedullin-Präkursorproteins Präproadrenomedullin (185 Aminosäuren). Es wird bei der Abspaltung von Adrenomedullin (AS 95–146) aus Präproadrenomedullin in stöchiometrischer Menge freigesetzt. MR-proADM hat keine biologische Wirkung, hat aber im Plasma eine deutlich längere Halbwertszeit als Adrenomedullin, dessen Halbwertszeit bei nur etwa 20 Minuten liegt, und eignet sich deshalb zur indirekten Quantifizierung der Adrenomedullin-Produktion [2].

Adrenomedullin wurde zuerst aus Nebennierenmark isoliert und danach benannt, wird aber in allen Geweben exprimiert. Adrenomedullin spielt in vielen Organsystemen eine Rolle. Unter anderem ist es ein potenter Vasodilatator.

Welches ist der beste Prognosemarker?

Die klassischen Entzündungsparameter lieferten in diesem Kollektiv keine gute Vorhersage der Letalität bis Tag 28 oder Tag 180. Als praktische Konsequenz daraus hat man am Uniklinikum Aachen die bislang tägliche CRP-Bestimmung auf der Intensivstation abgeschafft. Die neuen kardiovaskulären Biomarker waren für die Prognoseabschätzung deutlich genauer. Die beste Leistung in der Vorhersage der 28-Tage- und 180-Tage-Letalität zeigte der neue Biomarker MR-proADM. Je schwerer erkrankt die Patienten, desto höher der MR-proADM-Wert.

In der CAPNETZ-Studie war die prognostische Vorhersage durch MR-proADM genauer als die des CRB-65-Scores und von diesem unabhängig. Der MR-proADM-Wert liefert – gegenüber dem CRB-65 – zusätzliche Information für die Abschätzung von Kurz- und Langzeitletalität. Korreliert man die Quartilen der MR-proADM-Werteverteilung mit der Letalität, so zeigen Patienten mit MR-proADM-Werten im obersten Quartil eine deutlich höhere Letalität als Patienten aus den unteren Quartilen.

Ähnliche Beobachtungen liegen aus anderen Studien vor. In der Schweizer ProHOSP-Studie bei 1359 Patienten mit tiefer Atemwegsinfektion erwies sich MR-proADM als prognostisch bester Marker und verbesserte in allen Risikoklassen die Aussagekraft der klinischen Scores CURB65 (confusion, urea, respiratory rate, blood pressure, age >65 years) und PSI (Pneumonia severity index). Besonders deutlich zeigte sich der prognostische Zusatznutzen von MR-proADM gegenüber dem CURB65-Score (Abb. 1). Patienten mit niedrigem CURB65-Score, aber hohem MR-proADM-Wert hatten eine hohe Letalität. Umgekehrt hatten Patienten mit hohem CURB65-Score, aber niedrigem MR-proADM-Wert nur eine geringe Letalität.

Abb. 1. Letalität bei Patienten mit tiefen Atemwegsinfektionen nach CURB65-Risikogruppe und ProADM-Terzile; die Risikoklassen beziehen sich auf den von den Studienautoren neu definierten Risikoscore CURB65-A, der beide Parameter berücksichtigt (Albrich et al. 2011 [3]). CURB65: confusion, urea, respiratory rate, blood pressure, age >65 years; ProADM: mittregionales Proadrenomedullin (MR-proADM)

Bei tiefen Atemwegsinfektionen könnte es sinnvoll sein, zusätzlich zu den klinischen Scores als Biomarker Procalcitonin zur Steuerung der Antibiotikatherapie und MR-proADM für die Prognose einzusetzen.

Versorgungsqualität durch Biomarker-gesteuerte Diagnostik

In der Zukunft könnten Biomarker dazu beitragen, dass trotz der Personalverknappung in vielen Krankenhäusern in der Notfallaufnahme auch nachts, am Wochenende oder an Feiertagen schwere Erkrankungen erkannt und Patienten der richtigen Station zugeordnet werden. Patienten, die mit Brustschmerz, Atemnot und Husten in die Notaufnahme kommen, könnten nach der Standarduntersuchung eine Biomarker-Batterie durchlaufen, die binnen einer Stunde Auskunft gibt, ob ein akutes Koronarsyndrom oder ein Herzinfarkt (Troponin), eine Lungenembolie (D-Dimer), ein kardiovaskuläres Problem (ANP) oder eine Pneumonie oder beginnende Sepsis (PCT) wahrscheinlich ist. Die Entscheidung, auf welche Station der Patient kommen sollte, könnten Biomarker für das Letalitätsrisiko unterstützen. Ein hoher MR-proADM-Wert wäre das Signal für eine Verlegung auf die Intensivstation.

Quelle

Prof. Stefan Krüger, Aachen; Symposium „Evidenzbasierte Diagnostik in Zeiten knapper Kassen“, veranstaltet von Thermo Fisher Scientific im Rahmen der 44. gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und der Österreichischen Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin (ÖGIAIM), Köln, 7. Juni 2012.

Literatur

1. Krüger S, et al. Cardiovascular and inflammatory biomarkers to predict short- and long-term survival in community-acquired pneumonia. Results from the German competence network, CAPNETZ. Am J Respir Crit Care Med 2010;182:1426–34.

2. Morgenthaler NG, et al. Measurement of midregional proadrenomedullin in plasma with an immunoluminometric assay. Clin Chem 2005;51:1823–9.

3. Albrich WC, et al. Enhancement of CURB65 score with proadrenomedullin (CURB65-A) for outcome prediction in lower respiratory tract infections: Derivation of a clinical algorithm. BMC Infect Dis 2011;11:112; doi:10.1186/1471–2334–11–112

Arzneimitteltherapie 2013; 31(01)