Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Eine orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin (Coumadin®) ist die bei weitem wirksamste Methode um kardioembolische Schlaganfälle bei Patienten mit Vorhofflimmern zu verhindern. Vitamin-K-Antagonisten führen aber zu einem erhöhten Risiko für schwerwiegende Blutungskomplikationen. In den randomisierten Studien, in denen Warfarin untersucht wurde, handelte es sich meist um Patienten, die bezüglich ihres Alters nicht mit Patienten im klinischen Alltag vergleichbar sind.
Die Autoren führten eine populationsbezogene Kohorten-Studie aller Einwohner der Provinz Ontario in Kanada im Alter über 66 Jahre durch, die wegen Vorhofflimmern mit Warfarin behandelt wurden. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich von 1. April 1997 bis 31. März 2008.
Schwerwiegende Blutungen waren solche, die zu einer Krankenhausaufnahme führten. Zunächst wurden die Blutungskomplikationen insgesamt erfasst und dann das Blutungsrisiko, das zusammen mit dem Schlaganfallrisiko (bestimmt mit dem CHADS2-Score, siehe Kasten) erfasst wurde.
CHADS2-Score
Der CHADS2-Score kann als Entscheidungshilfe für den Beginn einer Antikoagulationstherapie dienen. Es werden Punkte für unterschiedliche Risikofaktoren eines thromboembolischen Schlaganfalls gegeben.
1 Punkt jeweils für
- Herzinsuffizienz (C: congestive heart failure),
- Hypertonie (H),
- Alter ab 75 Jahre (A) und
- Diabetes mellitus (D)
2 Punkte für
- vorangegangenen Schlaganfall oder vorangegangene transiente ischämische Attacke (TIA)
In die Studie wurden 125195 Patienten mit Vorhofflimmern aufgenommen, die im Untersuchungszeitraum die Einnahme von Warfarin begannen. Die Patienten waren im Mittel 77 Jahre alt und je zur Hälfte Männer und Frauen. 20% der Patienten nahmen zusätzlich zu Warfarin Acetylsalicylsäure ein.
Über den gesamten Beobachtungszeitraum betrug das Risiko für Blutungskomplikationen 3,8% pro Patientenjahr. Während der ersten 30 Tage der Einnahme von Warfarin war das Blutungsrisiko mit 11,8% pro Patientenjahr am höchsten. Ein weiterer Prädiktor für Blutungskomplikationen war ein CHADS2-Score von mehr als 4 Punkten. Während der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren wurden 10840 Patienten, dies entspricht 8,7%, wegen Blutungen im Krankenhaus stationär aufgenommen. Von diesen Patienten verstarben 18% im Krankenhaus. Mit einem Anteil von 36% waren untere gastrointestinale Blutungen am häufigsten, gefolgt von oberen Gastrointestinalblutungen mit 26%.
Kommentar
Diese populationsbezogene Studie zeigt, dass die Raten der Blutungskomplikationen mit Warfarin im klinischen Alltag offenbar deutlich höher sind als in den klinischen Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden (ca. 1–3% pro Patienenjahr); in den Studien mit den neuen Antikoagulanzien lag das Risiko schwerwiegender Blutungskomplikationen bei 2% pro Jahr.
Dies mag unter anderem daran liegen, dass die Patienten mit 70 Jahren im Mittel deutlich jünger waren als in der hier beschriebenen Population und dass möglicherweise auch andere Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie besser kontrolliert waren.
Die hier beschriebenen Ergebnisse sind sehr wichtig, insbesondere unter dem Aspekt, dass es unter 2-mal täglich 110 mg Dabigatran (Pradaxa®) und 2-mal 5 mg Apixaban (Eliquis®) zu signifikant weniger Blutungskomplikationen kommt als unter Warfarin.
Literatur
Gomes T, et al. Rates of hemorrhage during warfarin therapy for atrial fibrillation. CMAJ 2012;Nov 26 [Epub ahead of print].
Arzneimitteltherapie 2013; 31(04)