Betablocker

Kein Nutzen bei stabiler KHK


Dr. Dr. Tanja Neuvians, Ladenburg, Prof. Dr. Karl Werdan, Halle/Saale

Kurz nach einem Herzinfarkt sinkt die Sterblichkeitsrate, wenn Patienten Betablocker einnehmen. Diesen offensichtlich kardioprotektiven Effekt nahm man auch für Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) an, sodass Betablocker Teil der Standardtherapie wurden. Möglicherweise zu Unrecht, wie die Analyse von Daten aus dem REACH-Register zeigt.
Mit einem Kommentar von Prof. Karl Werdan, Halle/Saale

Betablocker sind nach wie vor Teil der Standardtherapie für KHK-Patienten, insbesondere nach einem Herzinfarkt. Dieses Therapieverhalten wird von relativ alten Studien abgeleitet, in denen die Sterblichkeit von Infarkt-Patienten durch Betablocker sank. Um kardiovaskulären Ereignissen vorzubeugen, ging man dazu über, auch KHK-Patienten ohne Herzinfarkt Betablocker zu verordnen, und sogar Patienten, die lediglich Risikofaktoren für eine KHK aufweisen. Bisher liegen jedoch keine klinischen Studien vor, die beweisen, dass diese Therapieempfehlung einen Nutzen für die Patienten hat.

Studiendesign

Die Studiendaten wurden zwischen Dezember 2003 und April 2009 anhand des REACH(Reduction of atherothrombosis for continued health)-Registers erhoben, einer internationalen, longitudinalen Beobachtungsstudie an ambulanten Patienten. Für die Datenanalyse wurden drei Gruppen gebildet:

  • KHK-Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte
  • KHK-Patienten ohne vorherigen Herzinfarkt
  • Patienten, die lediglich KHK-Risikofaktoren aufweisen

Da sich die Basis-Charakteristika der eingeschlossenen Patienten mit und ohne Betablocker-Einnahme unterschieden, wurden nur vergleichbare Datenpaare mit Hilfe der Propensity-Score-matched-Analyse ausgewertet. Die Patienten wurden prospektiv bis zu vier Jahre lang nachbeobachtet. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus den Ereignissen kardiovaskulärer Todesfall, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Der sekundäre Endpunkt bestand aus dem primären Endpunkt plus Krankenhausaufenthalt wegen atherothrombotischer Ereignisse oder Revaskularisationsmaßnahmen (koronar, zerebral oder peripher). Tertiäre Endpunkte waren Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Sterblichkeit, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krankenhausaufenthalt, jeweils einzeln betrachtet.

Studienergebnisse

Insgesamt erfüllten 44708 Patienten des REACH-Registers die Einschlusskriterien, 21860 davon wurden in die Propensity-Score-matched-Analyse aufgenommen. Die Nachbeobachtungszeit betrug im Median 44 Monate.

In der Kohorte mit anamnestisch bekanntem Herzinfarkt wurden 3379 Patientenpaare mit und ohne Betablocker untersucht. Die Ereignisrate für den primären Endpunkt war nicht signifikant unterschiedlich für Patienten mit Betablockern (489 [16,93%]) gegenüber jenen ohne Betablocker (532 [18,60%]; Hazard-Ratio [HR] 0,90; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,79–1,03; p=0,14). Das gleiche gilt für den sekundären (30,96% vs. 33,12%; Odds-Ratio [OR] 0,91; 95%-KI 0,82–1,00) und alle tertiären Endpunkte.

In der Kohorte mit KHK ohne Herzinfarkt wurden 3599 Patientenpaare untersucht. Die Ereignisraten für Patienten mit und ohne Betablocker unterschieden sich nicht im Hinblick auf den primären Endpunkt, kardiovaskuläre Todesfälle, Schlaganfall oder Herzinfarkt. Patienten mit Betablockern hatten aber signifikant höhere Raten für den sekundären Endpunkt (1101 [30,59%] vs. 1002 [27,84%]; OR 1,14; 95%-KI 1,03–1,27; p=0,01) und für Krankenhausaufenthalte (870 [24,17%] vs. 773 [21,48%]; OR 1,17; 95%-KI 1,04–1,30; p=0,01).

In der Kohorte mit KHK-Risikofaktoren wurden 3952 Patientenpaare untersucht. Die Ereignisrate für den primären Endpunkt war höher bei Patienten mit Betablockern (467 [14,22%]) als bei jenen ohne Betablocker (403 [12,11%]; HR 1,18; 95%-KI 1,02–1,36; p=0,02). Das gleiche gilt für den sekundären Endpunkt (870 [22,01%] vs. 797 [20,17%]; OR 1,12; 95%-KI 1,00–1,24; p=0,04), aber nicht für Herzinfarkt und Schlaganfall allein, kardiovaskuläre Todesfälle oder Krankenhausaufenthalte.

Nur bei Herzinfarkten innerhalb des letzten Jahres waren Betablocker mit einer geringeren Inzidenz für den sekundären Endpunkt verbunden (OR 0,77; 95%-KI 0,64–0,92).

Diskussion

In dieser Beobachtungsstudie hatten nur Patienten mit einem Herzinfarkt innerhalb des letzten Jahres einen Vorteil durch die Einnahme von Betablockern. Für alle anderen Gruppen konnte kein Nutzen, eher sogar ein Schaden durch Betablocker festgestellt werden. Die frühere Metaanalyse, die einen deutlichen Überlebensvorteil für Herzinfarkt-Patienten mit Betablockern zeigte, bezog sich auf Studien mit einem mittleren Publikationsdatum um 1982. Inzwischen gehören eine zeitnahe Reperfusion und moderne Medikamente zur Standardtherapie des Herzinfarkts, sodass das betroffene Herzgewebe oft erhalten bleibt. Großflächige Nekrosen und Narben, die häufig Arrhythmien verursachen, sind seltener geworden. Das könnte den abnehmenden Nutzen der Betablocker-Therapie erklären. Dieser Trend wurde in den Leitlinien verschiedener kardiologischer Gesellschaften bereits umgesetzt. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt inzwischen, Betablocker nur noch bei Patienten mit Herzinsuffizienz zur sekundären Prävention einzusetzen. In den Leitlinien wird außerdem erwähnt, dass für Patienten mit stabiler KHK bisher kein kardioprotektiver Effekt von Betablockern nachgewiesen werden konnte. Weitere Studien sollten die optimale Länge einer Betablocker-Therapie nach einem Herzinfarkt klären, und die Frage, ob es möglicherweise Subgruppen gibt, die von einer Betablocker-Therapie profitieren.

Fazit

Ein signifikanter Nutzen für die Therapie mit Betablockern bei ambulanten KHK-Patienten konnte nur innerhalb des ersten Jahres nach einem Herzinfarkt beobachtet werden. Alle anderen Patienten profitierten nicht von der Behandlung, Betablocker schienen sogar eher schädlich zu sein.

Quelle

Bangalore S, et al. β-Blocker use and clinical outcomes in stable outpatients with and without coronary artery disease. JAMA 2012;308:1340–9.

Kommentar

Das Kind nicht mit dem Bad ausschütten!

Die Ergebnisse des REACH-Registers sind offensichtlich: Ein signifikanter Nutzen für die Therapie mit Betablockern bei ambulanten KHK-Patienten kann nur innerhalb des ersten Jahres nach einem Herzinfarkt beobachtet werden. Leitlinienverfasser wussten schon lange um die Problematik der Betablocker-Therapie bei KHK-Patienten: Die positiven Studien gibt es ausschließlich nach Herzinfarkt, und diese Studien sind Jahrzehnte alt, durchgeführt mit dem damaligen Therapiestandard, der sicher nicht dem aktuellen mit möglichst baldiger kompletter Revaskularisation entspricht. Die Leitlinien tragen dem mehr oder weniger schon lange Rechnung – die aktuelle Version der Nationalen Versorgungsleitlinie „Chronische KHK“ empfiehlt die Gabe von Betablockern bei Patienten mit KHK nur noch nach Herzinfarkt, bei systolischer Herzinsuffizienz und bei Hochdruck, und daran ändert auch das Ergebnis des REACH-Registers nichts!

Ein wichtiger Aspekt wurde allerdings im REACH-Register nicht diskutiert: die Bedeutung der Herzfrequenz als Risikofaktor bei KHK-Patienten mit linksventrikulärer systolischer Dysfunktion! Wir wissen seit der BEAUTIFUL-Studie, dass zumindest KHK-Patienten mit einer linksventrikulären systolischen Dysfunktion<40% bei einer Ruhe-Herzfrequenz von >70/min eine um 34% höhere Letalität aufweisen. Insofern hat es wohl Sinn, die Herzfrequenz bei diesen Patienten zu senken. Und welche Substanz wäre dazu besser geeignet als ein Betablocker? Leider gibt uns dazu das REACH-Register keine Antwort. Schade!

Arzneimitteltherapie 2013; 31(06)