Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) gehören zu den am häufigsten weltweit eingenommenen Medikamenten. Sie werden ganz überwiegend bei Rückenschmerzen und Arthrosen eingesetzt. Die pharmakologische Wirkung der klassischen NSAR wird über die Hemmung der Cyclooxygenase (COX) 1 und Cyclooxygenase 2 vermittelt. Daher wurden die „Coxibe“ (COX-2-Hemmer) entwickelt mit der Vorstellung, dass eine selektive Hemmung der Cyclooxygenase 2 genauso schmerzlindernd wirken sollte wie traditionelle NSAR, aber das Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen vermindern sollte. In der Folgezeit stellte sich dann heraus, dass einige der Coxibe zu einem erhöhten Risiko vaskulärer Ereignisse führen, sodass sie wieder vom Markt genommen wurden.
In der vorliegenden Metaanalyse wurde daher untersucht, ob sich Coxibe und einzelne traditionelle NSAR in ihrer Eigenschaft unterscheiden, das Risiko schwerwiegender vaskulärer Ereignisse zu erhöhen, und wie das Risiko gastrointestinaler Komplikationen beeinflusst wird.
Studiendesign
Für die Metaanalyse wurden insgesamt 639 randomisierte Studien ausgewertet. In 280 Studien waren bei insgesamt 124513 Patienten nichtsteroidale Antirheumatika mit Plazebo verglichen worden. In 474 Studien war ein nichtsteroidales Antirheumatikum mit einem anderen verglichen worden; hier wurden Daten von 229296 Patienten eingeschlossen.
Die untersuchten Outcome-Parameter waren schwerwiegende vaskuläre Ereignisse (nichttödlicher Schlaganfall, nichttödlicher Herzinfarkt, vaskulär bedingter Tod), schwerwiegende koronare Ereignisse (nichttödlicher Herzinfarkt, koronar bedingter Tod) sowie Schlaganfall-Sterblichkeit und Herzinsuffizienz. Außerdem wurden schwerwiegende gastrointestinale Komplikationen wie Blutungen oder Perforationen ausgewertet. Die Berechnung der relativen Risiken gegenüber Plazebo stützte sich sowohl auf direkte Plazebo-Vergleiche als auch auf Daten, die indirekt aus Vergleichen aktiver Substanzen gewonnen wurden.
Ergebnisse
Das Risiko schwerwiegender vaskulärer Ereignisse war bei Coxiben und Diclofenac signifikant erhöht. Das relative Risiko (RR) betrug 1,37 (p=0,0009) bzw. 1,41 (p=0,0036). Dies war hauptsächlich durch ein erhöhtes Risiko von koronaren Ereignissen bedingt (Tab. 1). Ibuprofen führte zu einem erhöhten Risiko koronarer Ereignisse (RR 2,22; p=0,0253), aber nicht von schwerwiegenden vaskulären Ereignissen (RR 1,44; p=0,14)). Naproxen führte weder zu einem erhöhten Risiko schwerwiegender vaskulärer Ereignisse noch zu einem erhöhten Risiko eines vaskulär bedingten Todes. Das erhöhte Risiko vaskulärer Ereignisse war unabhängig davon, ob die Patienten vaskuläre Risikofaktoren hatten.
Tab. 1. Einfluss von Coxiben und traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika auf das Risiko vaskulärer Ereignisse und gastrointestinaler Komplikationen (ausgewählte Ergebnisse); Fettdruck: statistisch signifikant erhöhtes Risiko
Parameter |
Relatives Risiko (95%-Konfidenzintervall) vs. Plazebo |
|||
Coxibe |
Diclofenac |
Ibuprofen |
Naproxen |
|
Schwerwiegendes vaskuläre Ereignis* |
1,37 (1,14–1,66) |
1,41 (1,12–1,78) |
1,44 (0,89–2,33) |
0,93 (0,69–1,27) |
|
1,76 (1,31–2,37) |
1,70 (1,19–2,41) |
2,22 (1,10–4,48) |
0,84 (0,52–1,35) |
Mortalität |
1,22 (1,04–1,44) |
1,20 (0,94–1,54) |
1,61 (0,90–2,88) |
1,03 (0,71–1,49) |
|
1,58 (1,11–2,24) |
1,65 (0,95–2,85) |
1,90 (0,56–6,41) |
1,08 (0,48–2,47) |
Herzinsuffizienz (mit Hospitalisierung) |
2,28 (1,62–3,20) |
1,85 (1,17–2,94) |
2,49 (1,19–5,20) |
1,87 (1,10–3,16) |
Gastrointestinale Komplikationen¶ |
1,81 (1,17–2,81) |
1,89 (1,16–3,09) |
3,97 (2,22–7,10) |
4,22 (2,71–6,56) |
*Nichttödlicher Herzinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall, vaskulär bedingter Tod (Herzinfarkt, Schlaganfall, andere); # Herzinfarkt oder koronar bedingter Tod; ¶ Im oberen Gastroinestinaltrakt: Blutung, Perforation, Obstruktion
Das Risiko für Schlaganfall war nicht erhöht. Das Risiko für eine stationär behandlungsbedürftige Herzinsuffizienz war in allen Gruppen mehr oder weniger verdoppelt.
In absoluten Zahlen bedeuten die Ergebnisse: Die Einnahme eines Coxibs oder von Diclofenac wird bei 1000 Patienten, die ein Jahr behandelt werden, zu drei zusätzlichen schwerwiegenden vaskulären Ereignissen führen, von denen eines tödlich ist.
Alle nichtsteroidalen Antirheumatika erhöhten das Risiko von oberen gastrointestinalen Komplikationen. Die relativen Risiken betrugen für Coxibe 1,81 (p=0,0070), für Diclofenac 1,89 (p=0,0106), für Ibuprofen 3,97 (p=0,0001) und für Naproxen 4,22 (p=0,0001) (Tab. 1).
Kommentar
Diese große Metaanalyse zeigt, dass die meisten Coxibe und nichtsteroidalen Antirheumatika das Risiko von schwerwiegenden vaskulären Ereignissen, insbesondere Koronarereignissen, leicht erhöhen. Hier muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass in den frühen Studien sehr viel höhere Dosierungen insbesondere von Diclofenac und Ibuprofen verwendet wurden als heute üblich. Das Risiko von Schlaganfällen ist nicht signifikant erhöht.
Es ergibt sich eine gegenläufige Konstellation bezüglich der Nebenwirkungen. Während Coxibe und Diclofenac hauptsächlich das Risiko vaskulärer Ereignisse erhöhen, kommt es unter Naproxen und Ibuprofen zu einer Erhöhung von gastrointestinalen Komplikationen, überwiegend oberen gastrointestinalen Blutungen. Diese können allerdings durch die Gabe von Protonenpumpenhemmern reduziert werden.
Leider zeigte sich kein Zusammenhang zwischen vaskulären Risikofaktoren und dem erhöhten Risiko von vaskulären Komplikationen. Daher kann dies für die Differenzialtherapie nicht herangezogen werden.
Eine wesentliche andere Fragestellung wurde nicht beantwortet: Wenn Patienten mit ausgeprägten Gelenkschmerzen unbehandelt blieben und sich weniger bewegen könnten, hätte dies wahrscheinlich auch Auswirkungen auf das vaskuläre Risiko.
Literatur
Coxib and traditional NSAID Trialists’ (CNT) Collaboration. Vascular and upper gastrointestinal effects of non-steroidal anti-inflammatory drugs: meta-analyses of individual participant data from randomized trials. Lancet 2013, May 30, doi:10.1016/S0140–7636(13)60900–9.
Arzneimitteltherapie 2013; 31(07)