Hans-Christoph Diener, Essen

Für viele Dinge des täglichen Lebens sind die Vereinigten Staaten ein Vorbild für uns Deutsche. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Kommunikation (außer Datenüberwachung), Internet, soziale Netzwerke und moderne Kommunikation. Vielen Laien und Patienten gilt das amerikanische Gesundheitssystem immer noch als eines der besten der Welt – auch wenn wir wissen, dass die Ausgaben pro Patient in den Vereinigten Staaten fast doppelt so hoch sind wie in Deutschland und die Ergebnisse deutlich schlechter sind. Darüber hinaus verfügen etwa 30 % aller Amerikaner nicht über eine Krankenversicherung, was sich auch im Rahmen von Obama-Care in den nächsten 15 Jahren nur langsam ändern wird.
Eine für Amerika spezifische Eigenheit ist der Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Komplikationen von neu eingeführten und zugelassenen Medikamenten. Im Gegensatz zu Europa ist es dort möglich, dass spezialisierte Rechtsanwalts-Sozietäten Patienten über Zeitungsanzeigen, Werbespots im Radio und Fernsehen sowie auf ihren Websites dazu auffordern, sich bei ihnen zu melden, wenn sie eine irgendwie geartete Nebenwirkung erleiden. Die meisten entsprechenden Webseiten firmieren unter „bad drug“ (z. B. www.bad-drug.net/). Die dahinter stehenden Anwalts-Sozietäten versprechen vollmundig umfangreiche finanzielle Kompensationen, egal, ob es sich um vermeintliche Nebenwirkungen von Medikamenten, Medizingeräten oder diagnostische oder therapeutische Prozeduren handelt. Eine der Anwalts-Sozietäten brüstet sich beispielsweise damit, dass sie innerhalb der letzten Jahre für ihre Klienten Schadenersatzsummen in Höhe von 34 Millionen Dollar erwirkt hat (Bad drug recall lawyer).
Ein besonders perfides Beispiel für diese Form des Umgangs mit möglichen Komplikationen betrifft Dabigatran (Pradaxa®). Dabigatran ist in der Zwischenzeit zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern in den Vereinigten Staaten zugelassen. Das Medikament ist in der hohen Dosis besser wirksam als Warfarin und in der niedrigen Dosis vergleichbar wirksam [1]. Besonders eindrucksvoll ist die dramatische Reduktion von intrazerebralen und intrakraniellen Blutungen unter Dabigatran verglichen mit Warfarin [2]. Während nun kaum ein Rechtsanwalt noch ein Patient jemals auf die Idee käme, die Hersteller von Warfarin zu verklagen, wenn es zu einer Blutungskomplikation kommt, wird dies bei jedweder Blutungskomplikation bei Pradaxa gemacht. Dabigatran ist ein hoch wirksames Antikoagulans und führt demgemäß zwangsläufig gelegentlich zu Blutungskomplikationen. Wie in allen Studien belegt, ist allerdings der therapeutische Nutzen bezüglich der Verhinderung von ischämischen Insulten deutlich höher als das Blutungsrisiko.
Wir leben in Europa in dieser Beziehung in einem deutlich besseren System. Hier werden tatsächliche oder vermeintliche Nebenwirkungen neu zugelassener Medikamente umgehend sowohl an die entsprechenden Firmen wie an die Zulassungsbehörde gemeldet. Auf diese Weise kann dann rasch und objektiv festgestellt werden, ob ein neues Medikament tatsächlich in Bezug auf eine bestimmte Nebenwirkung ein erhöhtes Risiko hat und insbesondere, ob Risiken auftreten, die in den randomisierten Studien mit ihrer eingeschränkten Patientenzahl nicht beobachtet wurden. Das System hat allerdings weiterhin erhebliche Mängel, wenn es um medizinische Geräte oder Implantate geht. Hier gibt es in weiten Bereichen noch keine verbindliche Meldepflicht von Komplikationen, sodass Probleme mit neuen operativen oder invasiven Verfahren häufig erst mit langer Latenz beobachtet werden. Hier müsste Waffengleichheit zwischen Medikamenten und Devices hergestellt werden.

Literatur

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