Kardiologische Impressionen


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Highlights vom ESC 2013 in Amsterdam

Die Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) ist der weltweit größte Kardiologenkongress. Auch diesmal wurden im Rahmen der Hotline Sessions eine Reihe neuer Studienergebnisse vorgestellt und diskutiert. Im Folgenden möchte ich über einige aus Sicht der „Arzneimitteltherapie“ relevante Studien nach dem Motto kurz und knapp berichten.

Nach Vorhofflimmern screenen

Vorhofflimmern ist die häufigste Rhythmusstörung im klinischen Alltag, wobei die Inzidenz mit dem Alter zunimmt. Doch die Rhythmusstörung manifestiert sich nicht immer mit entsprechender Symptomatik, das bedeutet, ein Drittel aller betroffenen Patienten ist vollständig asymptomatisch. Deshalb empfehlen die ESC-Leitlinien bei jedem Patienten, der die Praxis aufsucht, zumindest den Puls zu tasten und eventuell ein EKG abzuleiten. Bei einem Vorhofflimmern-Screening in Schweden mittels EKG fand sich bei 11,9 % aller 75-jährigen Patienten ein Vorhofflimmern, bei 3 % war dies bisher nicht bekannt. Bei insgesamt 5 % aller gescreenten Patienten, also bei jedem zweiten Patienten mit bekanntem oder unbekanntem Vorhofflimmern, war bisher auch keine Antikoagulation eingeleitet worden. Kurzum, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß.

Edoxaban bei venöser Thromboembolie

Die bisherige Standardtherapie der tiefen Beinvenenthrombose beziehungsweise der Lungenembolie ist die initiale Gabe eines Heparins, vorrangig eines niedermolekularen Heparins in therapeutischer Dosierung, überlappend mit einem Vitamin-K-Antagonisten, wobei das Heparin-Präparat dann abgesetzt werden kann, wenn der INR-Wert den Zielbereich von > 2 erreicht hat.
Nachdem bereits der Faktor Xa-Inhibitor Rivaroxaban die Zulassung für die Therapie venöser Thromboembolien erhalten hat, wurde jetzt auch der Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban im Rahmen einer klinischen Studie (HOKUSAI-VTE) mit der bisherigen Standardtherapie verglichen. Die Ergebnisse auf einen kurzen Nenner gebracht lauten: Bezüglich eines thromboembolischen Rezidivs fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen (3,2 % unter Edoxaban vs. 3,5 % unter Warfarin). Nur bei Patienten mit schwerer Lungenembolie, also mit rechtsventrikulärer Dysfunktion und Erhöhung des NTpro-BNP fand sich ein signifikanter Unterschied zugunsten der Edoxaban-Therapie. Bei diesen Patienten trat unter Edoxaban ein Rezidiv-Ereignis nur bei 3,3 %, unter Warfarin dagegen bei 6,2 % der Patienten auf. Eine klinisch relevante stärkere Blutung wurde unter Edoxaban signifikant seltener beobachtet als unter Warfarin (8,5 % vs. 10,3 %).

Kardiale Sicherheit von Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitoren

Die kardiovaskuläre Sicherheit von oralen Antidiabetika ist immer wieder Gegenstand intensiver Diskussionen. Zuletzt wurde darüber spekuliert, ob unter Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Inhibitoren vermehrt kardiale Ereignisse auftreten könnten. Doch diese Befürchtungen konnten jetzt durch die Ergebnisse zweier Studien wiederlegt werden. In der SAVOR-TIMI-53-Studie (Saxagliptin assessment of vascular outcomes recorded in patients with diabetes mellitus) wurde bei über 16 000 Typ-2-Diabetikern Saxagliptin mit Plazebo verglichen. Nach einer Beobachtungsdauer von 2,1 Jahren fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse. Der kombinierte Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, nichttödlichem Herzinfarkt oder Schlaganfall trat in der Saxagliptin-Gruppe bei 7,3 %, in der Plazebo-Gruppe bei 7,2 % der Patienten auf. Auch der sekundäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Krankenhausbehandlung wegen Herzinsuffizienz, instabiler Angina pectoris oder Revaskularisation) war nicht signifikant unterschiedlich (12,8 % in der Saxagliptin-Gruppe vs. 12,4 % in der Plazebo-Gruppe). Nur bei der stationären Behandlung wegen Herzinsuffizienz schnitten die Patienten in der Saxagliptin-Gruppe schlechter ab. Während unter Plazebo nur 2,8 % wegen einer kardialen Dekompensation hospitalisiert werden mussten, waren es in der Saxagliptin-Gruppe 3,5 %. Warum, weiß niemand!
In der EXAMINE-Studie (Examination of cardiovascular outcomes with alogliptin versus standard of care) wurde ein anderer DPP-4-Inhibitor, nämlich Alogliptin bei Typ-2-Diabetikern nach einem akuten Koronarsyndrom mit Plazebo verglichen. Auch hier ergab das Follow-up nach 18 Monaten bezüglich des primären Endpunktes (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall) keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen (11,3 % in der Alogliptin-Gruppe vs. 11,8 % in der Plazebo-Gruppe). In beiden Studien fand sich auch kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen im Hinblick auf Karzinome, Pankreatitis und Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie.
Fazit: DPP-4-Inhibitoren dürften auch aus kardialer Sicht ein sicheres Therapiekonzept sein.

Loading vor PCI: ja oder nein?

Auch wenn die Datenlage nicht überzeugend ist, so galt bisher eine Loading-Dosis von Clopidogrel bereits vor der Koronarangiographie als Standard. Ob die Gabe eines Thienopyridins in der Tat bereits vor der Koronarangiographie vorteilhaft ist im Vergleich zu einer Loading-Dosis erst zum Zeitpunkt der PCI (percutaneous coronary intervention), dieser Frage wurde im Rahmen der ACCOAST-Studie (A comparison of prasugrel at the time of percutaneous coronary intervention or as pretreatment at the time of diagnosis in patients with non-ST-elevation myocardial infarction [NSTEMI]) nachgegangen. 4033 Patienten mit einem NSTEMI erhielten 30 mg Prasugrel oder Plazebo vor Beginn der Koronarangiographie. Wenn eine PCI indiziert war, erhielt die Prasugrel-Gruppe dann direkt vor der Intervention zusätzlich 30 mg Prasugrel, die Plazebo-Gruppe 60 mg Prasugrel. Die frühe Gabe von Prasugrel brachte allerdings keinen Vorteil im Hinblick auf kardiovaskuläre Komplikationen, weder 7 Tage noch 30 Tage nach dem Ereignis. Die Studie wurde sogar vorzeitig beendet, da in der ungezielt vorbehandelten Patientengruppe signifikant häufiger größere Blutungen aufgetreten waren. Diese Studie wird sicherlich eine intensive Diskussion darüber auslösen, ob ein frühzeitiges routinemäßiges Loading mit einem Thienopyridin überhaupt sinnvoll ist.
Die kleine Auswahl an Studien möge zeigen, dass nicht alle Hoffnungen und Erwartungen in Erfüllung gegangen sind. Aber nicht nur die „Tops“, sondern auch die „Flops“ sind ein Fortschritt im Sinne der Wissenschaft.

Quelle

Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Amsterdam, 31. August bis 4. September.

Arzneimitteltherapie 2013; 31(10)