Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen
Das differenzierte Schilddrüsenkarzinom ist die häufigste Form einer Schilddrüsenkrebs-Erkrankung. Im Allgemeinen sind die Heilungsraten nach Operation und Behandlung mit radioaktivem Iod hoch. Jedoch entwickeln etwa 5 bis 15% der Patienten eine Resistenz auf radioaktives Iod. In diesen Fällen ist bislang nur Doxorubicin zugelassen, das jedoch wegen seiner geringen Wirksamkeit und schlechten Verträglichkeit nur selten eingesetzt wird. Das mediane Überleben dieser Patienten liegt bei 2,5 bis 3,5 Jahren. Sie leiden zudem häufig unter Komplikationen der fortschreitenden Erkrankung.
Tyrosinkinase-Inhibitor Sorafenib
Der oral applizierbare Tyrosinkinasehemmer Sorafenib hemmt VEGFR (Vascular endothelial growth factor receptor) 1–3 und Raf-Kinasen. Er ist bislang in der Europäischen Union für die Therapie des Leberzellkarzinoms sowie für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, bei denen eine Behandlung mit Interferon alfa oder Interleukin-2 versagt hat oder die für eine solche Therapie nicht infrage kommen, zugelassen. In einer einarmigen Phase-II-Studie hatte Sorafenib zu viel versprechenden Ergebnissen bei Patienten mit Radioiod-resistentem differenziertem Schilddrüsenkarzinom geführt.
DECISION mit Sorafenib
In der von Bayer und Onyx unterstützten Phase-III-Studie DECISION (Study of sorafenib in locally advanced or metastatic patients with radioactive iodine refractory thyroid cancer) wurden nun randomisiert und doppelblind Wirksamkeit und Verträglichkeit von Sorafenib und Plazebo in dieser Indikation verglichen.
In die Studie wurden 417 Patienten mit lokal fortgeschrittenem/metastasiertem Radioiod-resistentem differenziertem Schilddrüsenkarzinom eingeschlossen, deren Erkrankung in den letzten 14 Monaten progredient war. Knochenmark, Leber- und Nierenfunktion mussten adäquat sein und die Patienten sollten einen Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) Performance Status von 0 bis 2 aufweisen.
Die Patienten erhielten randomisiert Sorafenib (400 mg zweimal täglich, n=207) oder Plazebo (n=210). Die Patienten der Plazebo-Gruppe konnten bei Progression offen mit Sorafenib weiter behandelt werden. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS), zu den sekundären Endpunkten gehörten das Gesamtüberleben (OS), die Ansprechraten und die Verträglichkeit.
Fünf Monate längeres progressionsfreies Überleben
Der primäre Endpunkt wurde erreicht: Das mediane PFS betrug 10,8 Monate in der Sorafenib-Gruppe und 5,8 Monate im Plazebo-Arm (Hazard-Ratio 0,58; 95%-KI 0,45–0,76; p<0,0001) (Abb. 1). Ein partielles Ansprechen zeigten 12,2% der Patienten unter Sorafenib und 0,5% unter Plazebo. Das partielle Ansprechen hielt im Median 10,2 Monate an. Bei 42% der Patienten stabilisierte sich mit Sorafenib die Erkrankung über mindestens sechs Monate, während dies mit Plazebo bei 33% der Fall war. Die Daten zum Gesamtüberleben sind noch nicht verfügbar.

Abb. 1. Primärer Endpunkt in der DECISION-Studie: Eine Therapie mit Sorafenib verlängert bei Patienten mit Radioiod-Therapie-resistentem differenziertem Schilddrüsenkarzinom im Vergleich zu Plazebo das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant um 5 Monate im Median [nach Brose]
Häufigste Nebenwirkungen in der Sorafenib-Gruppe waren Hand-Fuß-Syndrom, Durchfall, Alopezie, Hautausschlag, Fatigue, Gewichtsverlust und Bluthochdruck. Es wurden keine neuen, bislang noch nicht bekannten unerwünschten Wirkungen beobachtet.
Mit Sorafenib steht damit eine potenzielle neue Therapieoption für Patienten mit Radioiod-refraktärem differenziertem Schilddrüsenkarzinom zur Verfügung.
Klasseneffekt der VEGF-Hemmer
Das Schilddrüsenkarzinom ist ein hoch vaskularisierter Krebs, der VEGF/VEGFR stark exprimiert. Dr. Ezra E. W. Cohen von der Universität von Chicago wies als Diskutant des Vortrags darauf hin, dass es sich vermutlich um einen Klasseneffekt der VEGF-Hemmer handeln würde. Denn es lägen derzeit aus Phase-II-Studien positive Daten zur Behandlung von Patienten mit Schilddrüsenkrebs für Axitinib, Levantinib, Motesanib, Pazopanib und Sunitinib vor. Eine gegen Liganden gerichtete Therapie mit Aflibercept und Bevacizumab sei nicht wirksam.
Die DECISION-Studie habe jedoch gezeigt, dass man auch mit einen VEGF-Hemmer wie Sorafenib keine komplette Remission und keine Heilung der Erkrankung erreichen könne. Cohen sieht es als unwahrscheinlich an, dass sich eine Überlegenheit im Gesamtüberleben zeigen wird. Ein Grund hierfür sei auch die hohe Wechselrate der Plazebo-Patienten in den Sorafenib-Arm.
Seiner Ansicht nach benötigen auch nicht alle Radioiod-refraktären Patienten eine Therapie, die meisten Patienten seien asymptomatisch. Man müsse die Therapieentscheidung von den Symptomen, von der Lokalisation und von der Wachstumsrate abhängig machen.
Quelle
Brose MS, et al. Sorafenib in locally advanced or metastatic patients with radioactive iodine-refractory differentiated thyroid cancer: The phase III DECISION trial. ASCO Annual Meeting, 31. Mai bis 4. Juni 2013, Chicago. J Clin Oncol 2013;31 (suppl); abstr 4.
Arzneimitteltherapie 2013; 31(10)