Analgosedierung bei Intensivpatienten
Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Bei einem großen Teil der Intensivpatienten, vor allem bei beatmeten Patienten, ist eine Langzeitanalgosedierung erforderlich, wobei verschiedene Substanzgruppen, nämlich Benzodiazepine, Opioide, Alpha-2-Agonisten, Neuroleptika und Propofol zum Einsatz kommen. Eine solche Analgosedierung geht immer mit unerwünschten und auch teilweise gefährlichen Wirkungen einher, sodass heute ein eher restriktives Vorgehen dahingehend empfohlen wird, die gewünschte Analgosedierung mit einem Minimum an Substanzen über einen möglichst kurzen Zeitraum zu erreichen. Dabei sind die wichtigsten Ziele:
- Beseitigung von Schmerzen
- Anxiolyse und Ausschaltung schwerer psychischer Belastungen
- Vegetative Abschirmung
- Erleichterung der maschinellen Beatmung
Scoring und Monitoring
Wünschenswert ist ein wacher kooperativer Patient, der die erforderlichen Maßnahmen auf der Intensivstation gut toleriert. Dazu gehört auch ein Analgesiemonitoring, das heißt eine Dokumentation des Behandlungsziels und der aktuelle Grad von Analgesie mindestens im Intervall von 8 Stunden. Auch sollten validierte Scoring-Systeme zur Therapiesteuerung und Überwachung der Analgesie, der Sedierung und des Delirs standardmäßig eingesetzt werden. Dabei werden im Hinblick auf den Schweregrad der Analgosedierung drei Patientengruppen unterschieden:
- Patient ansprechbar und kooperativ
- Patient ansprechbar, aber nicht kooperativ
- Patient nicht ansprechbar und beatmet
Bezüglich der Analgesie gelten folgende Grundsätze:
- Patienten auf der Intensivstation sollen eine an die individuelle Situation angepasste Schmerztherapie erhalten
- Zur Durchführung einer länger dauernden Analgesie (>72 Stunden) im intensiv-medizinischen Bereich kann eine Opioid-Therapie geeignet sein
- Zur Durchführung einer kürzer dauernden Analgesie (<72 Stunden) kann die Bolusapplikation von Piritramid (Dipidilor®) und/oder die kontinuierliche Applikation von gut steuerbaren Opioiden wie Remifentanil (Ultiva®) oder Sufentanil (Sufenta®) durchgeführt werden
- Bei kritisch kranken, über 72 Stunden therapiebedürftigen Patienten kann Sufentanil oder Fentanyl eingesetzt werden
Remifentanil: ein My-Agonist
Die Anforderungen an ein ideales Analgetikum in der Intensivmedizin sind:
- Effektive Schmerztherapie mit schnellem Wirkungseintritt und kurzer Wirkdauer
- Keine Akkumulation oder Bildung aktiver Metaboliten
- Einfache Anwendung und Möglichkeit der Titration
- Keine schwerwiegende kardiopulmonale Depression
- Von Organinsuffizienzen unbeeinträchtigte Metabolisierung
Diesen Anforderungen wird Remifentanil (Ultiva®), ein reiner My-Agonist, weitgehend gerecht. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit wird die Substanz kontinuierlich, beispielsweise über eine Spritzenpumpe, appliziert. Der Abbau erfolgt Organ-unabhängig durch unspezifische Esterasen, sodass eine Dosisanpassung bei Leber- oder Nierenfunktionseinschränkungen nicht erforderlich ist. Zu 98% wird die Substanz durch Hydrolyse der Esterbindung und zu 2% durch N-Dealkylierung abgebaut. Die dabei entstehenden Metaboliten haben praktisch keine opioide Wirkung mehr. Angesichts dieses Wirkungsmechanismus liegt die Halbwertszeit für die Substanz bei maximal 20 Minuten, sodass auch nach einer längeren intravenösen Gabe der Plasmaspiegel innerhalb von 10 bis 20 Minuten fast vollständig abfällt. Der Patient ist dadurch wieder rasch vollständig neurologisch beurteilbar.
Die sehr gute Steuerbarkeit der Substanz ist insbesondere auch im Bereich der ambulanten Anästhesie vorteilhaft. Bei Intensivpatienten kann durch die gute Steuerbarkeit eventuell die Beatmungsdauer und die Verweildauer auf der Intensivstation verkürzt werden. Auch wenn im Vergleich zu Fentanyl die Auswirkungen auf die hämodynamischen Parameter (Blutdruck, Herzfrequenz) deutlich geringer sind, so kann es auch unter Remifentanil zu Blutdruck- und Herzfrequenzabfällen kommen.
Remifentanil garantiert eine effektive Schmerztherapie mit schnellem Wirkungseintritt und kurzer Wirkdauer, ohne das Risiko der Akkumulation, da die Metabolisierung durch eine renale oder hepatische Insuffizienz nicht beeinträchtigt wird [1–3].
Dexmedetomidin: ein Alpha-2-Agonist
Dexmedetomidin (Dexdor®) ist ein hochselektiver Alpha-2-Agonist. Im Vergleich zu dem Alpha-2-Agonisten Clonidin zeigt die Substanz eine höhere Spezifität für den Alpha-2-Rezeptor. Angesichts seiner kurzen Halbwertszeit von rund zwei Stunden ist die Substanz auch besser steuerbar.
In klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass das potenziell günstige pharmakodynamische Profil dieser Substanz für den Intensivpatienten vorteilhaft ist. Im Unterschied zu anderen Hypnotika, aber auch Analgetika vom Opioid-Typ, verursacht Dexmedetomidin keine Atemdepression [4, 5].
Die Sedierung bei der Gabe von Dexmedetomidin wird über Signalwege vermittelt, die auch in die Regulation des natürlichen Schlafs eingebunden sind, sodass die Wirkung durchaus dem natürlichen Schlaf ähnelt. Deshalb sind die Patienten aus der Sedierung erweckbar und kooperativ. Die erhaltene Kooperativität der Patienten ermöglicht eine regelmäßige Überprüfung der Sedierungstiefe, wie sie heute in den offiziellen Leitlinien gefordert wird.
Verglichen mit einem Benzodiazepin konnte für Dexmedetomidin auch ein Vorteil im Hinblick auf das Überleben gezeigt werden. Beim beatmeten Patienten reduziert Dexmedetomidin im Vergleich die Inzidenz von Koma und Delir [6]. Deshalb werden in den aktuellen US-Leitlinien Dexmedetomidin und Propofol Benzodiazepinen im Rahmen der Sedierung der Vorzug gegeben (Klasse-2B-Empfehlung).
Neben den sympatholytischen, sedierenden und Analgetika-sparenden Eigenschaften von Dexmedetomidin gibt es auch Hinweise, dass die Substanz neuroprotektive Effekte entfaltet, die durchaus von klinischer Relevanz sein könnten.
Fazit
Remifentanil garantiert eine effektive Schmerztherapie mit schnellem Wirkungseintritt und kurzer Wirkdauer. Die Metabolisierung wird durch eine hepatische oder renale Insuffizienz nicht beeinträchtigt und es besteht kein Akkumulationsrisiko. Dadurch wird eine Verkürzung des Zeitintervalls bis zur neurologischen Beurteilbarkeit, der Beatmungsdauer, der Weaningdauer (Beatmungsentwöhnung) und der Verweildauer auf der Intensivstation erreicht.
Der sedierende Alpha-2-Agonist Dexmedetomidin wirkt deutlich selektiver und stärker als Clonidin. Angesichts seiner kürzeren Halbwertszeit ist die Substanz besser steuerbar, sodass die Kooperativität der Patienten weitgehend erhalten bleibt und Überprüfungen der Sedierungstiefe erleichtert werden. Die durch die Substanz erreichte Sedierung ähnelt dem natürlichen Schlaf. In den offiziellen Leitlinien wird Dexmedetomidin der Vorzug vor Benzodiazepinen eingeräumt.
Quelle
Prof. Peter H. Tonner, Bremen; Priv.-Doz. Sascha Kreuer, Homburg/Saar; Seminarkongress „Interdisziplinäre Intensivmedizin“, Garmisch-Partenkirchen, 3. bis 8. März 2013.
Literatur
1. Battershill AJ, et al. Remifentanil: a review of its analgesic and sedative use in the intensive care unit. Drugs 2006;66:365–85.
2. Komatsu R, et al. Remifentanil for general anaesthesia: a systematic review. Anaesthesia 2007;62:1266–80.
3. Stroumpos C, et al. Remifentanil, a different opioid: potential clinical applications and safety aspects. Expert Opin Drug Saf 2010;9:355–64.
4. Paris A, et al. Dexmedetomidin in der Intensivmedizin. Intensivmed up2date 2012;8:33–48.
5. Mantz J, et al. Dexmedetomidin: New insights. Eur J Anaesthesiol 2011;28:3–6.
6. Pandharipande PP, et al. Effect of sedation with dexmedetomidine vs. lorazepam on acute brain dysfunction in mechanically ventilated patients: the MENDS randomised controlled trial. JAMA 2007;298:2644–53.
Arzneimitteltherapie 2013; 31(11)