Dr. med. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn
Die am meisten gefürchtete Schmerzart bei Tumorpatienten ist der Durchbruchschmerz. Er wird von Patienten als unberechenbar und nicht beeinflussbar beschrieben. Hinzu kommt die permanente Angst vor der Therapieresistenz des Schmerzes.
Definitionsgemäß sind Durchbruchschmerzen Schmerzattacken, die trotz einer dauerhaften Opioid-Therapie spontan oder ereignisabhängig auftreten. Dabei ist das dauerhafte Schmerzgeschehen angemessen behandelt und stabil. Ereignisse, die einen Durchbruchschmerz auslösen, können vorhersehbar sein wie eine Mobilisation oder unvorhersehbar wie Husten. Bevor von Durchbruchschmerzen gesprochen wird, sollte jedoch immer geprüft werden, ob das Basis-Schmerzarzneimittel ausreichend dosiert ist und noch wirkt. Durchbruchschmerzen können sich innerhalb weniger Minuten bis zur Unerträglichkeit steigern und halten meist nicht länger als 20 bis 30 Minuten an. 70 bis 80% aller Tumorschmerzpatienten leiden darunter, unabhängig von der Tumorentität und der Ätiologie des Tumorschmerzes.
Therapie des Durchbruchschmerzes
Die Einstellung des Patienten auf eine stabile Basis-Schmerztherapie ist Voraussetzung für die Therapie von Durchbruchschmerzen. Diese Therapie kann beispielsweise bestehen aus 60 mg oralem Morphin/Tag oder 25 µg/Stunde transdermalem Fentanyl oder 30 mg Oxycodon/Tag oder 8 mg oralem Hydromorphon/Tag. Für die Therapie von Durchbruchschmerzen stehen seit 2009 Fentanyl-Buccal- und -Sublingualtabletten zur Verfügung, aus denen Fentanyl transmukosal schnell resorbiert wird und daher bereits nach fünf bis zehn Minuten beim Patienten zu einer spürbaren Schmerzlinderung führt. Generell gilt für die Dosierung des Fentanyls bei Durchbruchschmerzen keine strenge Korrelation zwischen der (Opioid-)Basismedikation und der Fentanyl-Dosierung. Die meisten Patienten benötigen jedoch eine Mindestdosis von 100 bis 200 µg Fentanyl. Dabei spielt die Applikationsform, ob als Buccaltablette, Sublingualtablette oder als Nasenspray, eine untergeordnete Rolle. Alle drei Zubereitungsformen wirken sicher und zuverlässig, allerdings bevorzugt die Mehrheit der Patienten eine Tablette.
Opioidinduzierte Hyperalgesie
Nimmt unter einer Opioid-Therapie die Schmerzintensität zu, ohne dass ein Krankheitsprogress zu erkennen ist, verändert sich der Schmerzcharakter und bleibt eine Dosiserhöhung des Opioids ohne Effekt, sollte an eine opioidinduzierte Hyperalgesie (OIH) gedacht werden. Deren klinische Relevanz wird oft unterschätzt. Bis zur Diagnosestellung dauert es häufig mehr als fünf Tage. Therapeutisch muss die Opioid-Dosis rasch um etwa 25% gesenkt werden. Ein komplettes Absetzen des Opioids ist in der Palliativmedizin meist nicht möglich, allerdings sollte ein Wechsel des Arzneimittels erwogen werden. Buprenorphin und Methadon haben beispielsweise ein niedrigeres OIH-Potenzial als Fentanyl oder Morphin. Weiterhin ist die Kombination mit Nichtopioid-Analgetika und Koanalgetika erforderlich, regionale Schmerzverfahren können eingesetzt werden und die Kombination mit dem NMDA-Rezeptorantagonisten Ketamin ist sinnvoll.
Quellen
Dr. med. Hans-Joachim Willenbrink, Bremen: „Durchbruchschmerz: Eine Erfindung der Industrie?“ Vortrag auf dem 8. Bremer Kongress für Palliativmedizin, 8. März 2013.
Dr. med. Uwe Junker, Remscheid: „Wenn Opioide nicht (mehr) helfen“, Vortrag auf dem 8. Bremer Kongress für Palliativmedizin, 9. März 2013.
Arzneimitteltherapie 2013; 31(11)