Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, von denen weltweit mehrere Millionen Menschen betroffen sind.
Die derzeitigen Therapieempfehlungen stützen sich auf Glucocorticoide, immunsuppressive Wirkstoffe wie Azathioprin, Mercaptopurin oder Methotrexat sowie Tumornekrosefaktor-(TNF-)Blocker wie Infliximab, Adalimumab und Certolizumab.
Obwohl die Krankheitsmechanismen noch nicht genau geklärt sind, haben insbesondere die biologischen Behandlungsansätze deutliche Therapievorteile, allerdings auch das Risiko neuer unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) mit sich gebracht.
Neben den TNF-Blockern wird derzeit eine weitere Klasse an biologischen Substanzen zur Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen untersucht, die Einfluss auf die Leukozytenmigration nimmt. Als erster Vertreter dieser Gruppe kam Natalizumab (Tysabri®) auf den Markt, ein monoklonaler Antikörper, der die Migration der Leukozyten ins Gehirn und den Darm moduliert, indem er die Integrine α4ß1 und α4β7 bindet und so Integrin-vermittelte Interaktionen verhindert. Sein Einsatz bei multipler Sklerose und Morbus Crohn wurde eingeschränkt, nachdem Fälle einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) infolge der Reaktivierung einer latenten JC-Polyomavirus-Infektion bekannt geworden sind.
Vedolizumab wurde als darmspezifischer, humanisierter, monoklonaler Antikörper entwickelt, der im Unterschied zu Natalizumab nicht die Leukozytenmigration ins ZNS beeinflusst. Vedolizumab wirkt spezifisch gegen das α4β7-Integrin und verhindert die Interaktion zwischen Leukozyten und den intestinalen Blutgefäßen, wodurch der Einstrom entzündlicher Zellen in die betroffenen gastrointestinalen Gewebe vermindert wird.
Zwei kürzlich veröffentlichte Plazebo-kontrollierte Phase-III-Studien mit Vedolizumab, an denen insgesamt 2010 Probanden teilnahmen, gehören zu den größten klinischen Studien, die bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen durchgeführt wurden.
GEMINI 1
In die Studie [1] wurden zwischen 2008 und 2012 895 Patienten mit Colitis ulcerosa im Alter zwischen 18 und 80 Jahren aus 211 medizinischen Zentren in 34 Ländern aufgenommen. Deren Krankheitsaktivität wurde zuvor mit der Mayo-Score beurteilt (Kasten).
Eingeschlossen in die Studie wurden nur Patienten mit einer mittleren Krankheitsaktivität, die zuvor erfolglos mit den herkömmlichen Therapiemethoden wie Glucocorticoide, Immunsuppressiva oder TNF-Blockern behandelt worden waren.
Das Studienkollektiv wurde in zwei Patientenkohorten aufgeteilt:
- Kohorte 1 bestand aus 374 Patienten, von denen 225 an Tag 1 und 15 je 300 mg Vedolizumab intravenös verabreicht bekamen und aus 149 Patienten mit Plazebo-Injektion.
- Kohorte 2 umfasste 521 Probanden, denen der monoklonale Antikörper unverblindet gespritzt wurde.
Patienten aus beiden Kohorten, die nach sechs Wochen unter Vedolizumab-Therapie einen um drei Punkte niedrigeren Mayo-Score aufwiesen (klinisches Ansprechen), wurden erneut in drei Gruppen aufgeteilt:
- Gruppe 1 wurde über ein Jahr alle acht Wochen mit Vedolizumab behandelt
- Gruppe 2 alle vier Wochen
- Gruppe 3 bekam alle vier Wochen ein Plazebo
Die Verblindung in Gruppe 1 wurde durch entsprechende Plazebo-Injektion aufrechterhalten.
Der primäre Studienendpunkt für die Induktionstherapie war definiert als das Ansprechen auf die sechswöchige Behandlung (eine Verbesserung von mindestens 3 Punkten auf dem Mayo-Score, weniger rektale Blutungen). Für die Erhaltungstherapie wurde eine klinische Remission nach 52 Wochen (Mayo-Score 2 oder weniger) als primärer Endpunkt herangezogen.
Studienergebnis
Eine Besserung nach sechs Wochen zeigten in Kohorte 1 47,1% der Patienten, die Vedolizumab erhielten, gegenüber 25,5% der Probanden mit Plazebo (Unterschied nach Angleichung der Stratifizierungsfaktoren 21,7 Prozentpunkte; 95%-Konfidenzintervall [KI] 11,6–31,7; p<0,001). Weiterhin konnte bei 40,9% der Patienten, die mit Vedolizumab behandelt wurden, die Abheilung der Mukosa nachgewiesen werden, mit Plazebo waren es nur 24,8% (p=0,001).
In Kohorte 2 (unverblindet) fiel das Ergebnis vergleichbar aus: 44,3% der Probanden sprachen klinisch auf die Therapie an, 19,2% zeigten eine klinische Remission und 36,7% eine Abheilung der Mukosa.
Nach 52 Wochen befanden sich 41,8% der Patienten, die auf die Induktionstherapie angesprochen hatten und danach alle acht Wochen Vedolizumab erhielten, in einer klinischen Remission sowie 44,8% der Patienten, denen der Antikörper im vierwöchigen Abstand injiziert wurde. Bei den Probanden, die nach einer erfolgreichen sechswöchigen Induktionstherapie mit Plazebo weiterbehandelt wurden, waren nur 15,9% in der Remissionsphase (adjustierter Unterschied 26,1 Prozentpunkte für Vedolizumab alle acht Wochen versus Plazebo [95%-KI 14,9–37,2; p<0,001] und 29,1 Prozentpunkte für Vedolizumab alle vier Wochen versus Plazebo [95%-KI 17,9–40,4; p<0,001]).
Die Häufigkeit von UAW war in den Vedolizumab- und Plazebo-Gruppen vergleichbar. Es trat kein Fall mit PML auf.
Messung der Krankheitsaktivität
Mayo-Score
Setzt sich aus mehreren Parametern wie Stuhlfrequenz, rektaler Blutung oder Endoskopie-Befund zusammen. Der Mayo-Score reicht von 0 bis 12, wobei eine höhere Punktezahl eine höhere Krankheitsaktivität bedeutet.
Crohn’s Disease Activity Index (CDAI)
Die Skala reicht von 0 bis 600. Höhere Punktezahlen bedeuten eine höhere Krankheitsaktivität.
GEMINI 2
Die Studie [2] wurde zwischen 2008 und 2012 mit 1115 Patienten mit Morbus Crohn im Alter zwischen 18 und 80 Jahren aus 285 medizinischen Zentren in 39 Ländern durchgeführt. Alle Probanden wiesen eine mittlere Krankheitsaktivität auf, die anhand des Crohn’s Disease Activity Index (CDAI) gemessen wurde (Kasten).
Für die Induktionsstudie wurden die Probanden folgendermaßen aufgeteilt:
- Kohorte 1: An den Tagen 1 und 15 wurden 368 Patienten randomisiert mit 300 mg Vedolizumab oder Plazebo behandelt.
- Kohorte 2:747 Patienten erhielten an den Tagen 1 und 15 unverblindet Vedolizumab.
Nach sechs Wochen wurde der Krankheitsstatus bewertet. In der Erhaltungsphase wurden, wie bei der GEMINI-1-Studie, diejenigen Probanden, die eine Antwort auf Vedolizumab gezeigt hatten, bis zur Woche 52 alle acht oder vier Wochen mit Vedolizumab weiterbehandelt oder erhielten Plazebo.
Studienergebnis
In Woche 6 befanden sich 14,5% der Patienten in Kohorte 1 mit Vedolizumab und 6,8% mit Plazebo in einer klinischen Remission (CDAI-Score ≤150; p=0,02). Dabei wurde für 31,4% beziehungsweise 25,7% dieser Patienten eine CDAI-100-Antwort (Abnahme in der CDAI-Punkteskala um ≥100; p=0,23) beobachtet. Die Ergebnisse in Kohorte 2 fielen vergleichbar aus.
In Woche 52 waren 39,0% der weiterbehandelten Patienten aus Kohorte 1 und 2, die alle acht Wochen mit Vedolizumab weiterbehandelt wurden, in einer klinischen Remission, mit einem vierwöchigen Dosierungsintervall waren es 36,4% verglichen mit 21,6% unter Plazebo (p<0,001 und p=0,004 für die zwei Vedolizumab-Gruppen vs. Plazebo).
Bei 4,0% der Studienteilnehmer entwickelten sich Antikörper gegen Vedolizumab.
Schwere UAW traten mit Vedolizumab häufiger auf als mit Plazebo (24,4% versus 15,3%), darunter waren zum Beispiel schwere Infektionen (5,5% vs. 3,0%), aber keine PML.
Fazit
Die Ergebnisse der GEMINI-1- und 2-Studien belegen, dass der darmspezifische, humanisierte, monoklonale Antikörper Vedolizumab eine Behandlungsoption für chronisch entzündliche Darmerkrankungen darstellt. Allerdings fiel die Wirkung bei Patienten mit Colitis ulcerosa deutlicher aus als für solche mit Morbus Crohn. Auch schwere UAW kamen bei Morbus Crohn häufiger vor, allerdings trat in beiden Studien keine PML auf.
Alle Studienteilnehmer litten nur an einer mittleren Krankheitsaktivität. Es bleibt zu untersuchen, wie der Therapievorteil bei schweren Fällen aussieht, für die insbesondere nach neuen Behandlungsstrategien gesucht wird.
Quellen
1. Feagan BG, et al. Vedolizumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med 2013;369:699–710.
2. Sandborn WJ, et al. Vedolizumab as induction and maintenance therapy for Crohn’s disease. N Engl J Med 2013;369:711–21.
3. Cominelli F. Inhibition of leukocyte trafficking in inflammatory bowel disease. N Engl J Med 2013;369:775–6.
Arzneimitteltherapie 2013; 31(12)