Dr. Claudia Bruhn, Schmölln
Bei der Suche nach neuen Wirkstoffen zur Behandlung der therapieresistenten Depression richtet sich die Aufmerksamkeit derzeit insbesondere auf Möglichkeiten zur Modulation des glutamatergen Systems.
In verschiedenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Konzentrationen des exzitatorischen Transmitters Glutamat bei bestimmten Formen der Depression dysreguliert sind. Beispielsweise ist bei ausgeprägt anhedonen Patienten mit therapieresistenter Erkrankung ein großes Glutamat-Defizit im anterioren singulären Kortex nachweisbar. Ein derartiges Defizit könne mit Ketamin eventuell zurückgeführt werden. Denn der Wirkstoff ist ein Antagonist an N-Methyl-D-Aspartat(NMDA-)Rezeptoren, einer Glutamat-Rezeptoren-Subgruppe. Ketamin blockiert die Aufnahme des Transmitters in die Nervenzelle, was unter anderem eine verstärkte präsynaptische Glutamat-Ausschüttung zur Folge hat.
Ketamin in Tier- und Humanstudien
Ketamin ist derzeit nur als i.v. Narkosemittel zugelassen. In den 90er-Jahren entdeckte man in Tierstudien die Rolle des NMDA-Rezeptors für die Behandlung der Depression. Man fand heraus, dass durch eine Ketamin-Gabe die Glutamat-Konzentrationen in Hirnregionen, die für die emotionale Verarbeitung zuständig sind, stiegen. Eine im Jahre 2000 veröffentlichte Studie [1] konnte erstmalig die antidepressive Wirkung beim Menschen in subanästhetischen Dosen nachweisen, die seither in zahlreichen Studien bestätigt wurde. In einer aktuellen Untersuchung [2] wurden 24 Patienten mit einer therapieresistenten Depression innerhalb von 12 Tagen mit sechs Ketamin-Infusionen (0,5 mg/kg KG) behandelt. Rund 70% von ihnen sprachen bereits zwei Stunden nach der ersten Infusion signifikant auf die Behandlung an, das heißt, die Punktzahl auf der verwendeten Depressions-Bewertungsskala (Montgomery-Åsberg depression rating scale, MADRS) reduzierte sich um mindestens 50%. Die Response konnte über den Behandlungszeitraum von 12 Tagen aufrechterhalten werden.
Untersuchungen zum Wirkungsmechanismus
Ketamin kann in den bei Depression eingesetzten Konzentrationen auch Psychose-ähnliche Zustände induzieren. In der Drogenszene wird die Substanz beispielsweise konsumiert, um farbenreiche Halluzinationen, körperliche Entgrenzung und Nah-Tod-Zustände zu erleben. Gegenstand aktueller Untersuchungen ist es daher, die komplexen neurobiologischen Wirkprinzipien von Ketamin in den verschiedenen Hirnregionen besser zu verstehen. So ist beispielsweise der direkte Zusammenhang zwischen akuten und verzögerten Ketamin-Wirkungen derzeit noch unklar. Eine Magdeburger Arbeitsgruppe unter Martin Walter fand heraus, dass die akuten Effekte wahrscheinlich vor allem in Regionen mit hoher NMDA-Rezeptorendichte stattfinden, während verzögerte therapeutische Wirkungen neuronale Netzwerke mit hoher Dichte an AMPA-Rezeptoren (AMPA: α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid), einer weiteren Glutamat-Rezeptor-Subgruppe, betreffen.
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Milan Scheidegger, Zürich, fand im Rahmen von PET-MRS-Imaging-Studien (PET: Positronen-Emissions-Tomographie, MRS: Magnetresonanz-Spektroskopie) mit gesunden Probanden eine Zunahme des glutamatergen Metabolitenumsatzes sowie eine Abnahme der Konzentrationen des inhibitorischen Transmitters GABA, was auf einen Shift in der exzitatorisch-inhibitorischen Balance in den untersuchten Regionen hindeutet.
Ein Effekt von Ketamin auf die Dichte von metabotropen Glutamat-Rezeptoren (wie beim Schlafentzug zu beobachten) konnte jedoch im Vergleich mit Plazebo nicht festgestellt werden.
Quelle
Dr. Milan Scheidegger, Zürich (Schweiz), Prof. Dr. med. Alexander Sartorius, Mannheim, Dr. Michael Kometer, Zürich (Schweiz), Dr. Martin Walter, Magdeburg; Symposium „Neue Ansätze bei therapieresistenter Depression: Wirkmechanismen des NMDA-Antagonisten Ketamin“, veranstaltet im Rahmen der Jahrestagung 2013 der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 28. November 2013.
Literatur
1. Berman RM, et al. Antidepressant effects of ketamine in depressed patients. Biol Psychiatry 2000;47:351–4.
2. Murrough JW, et al. Rapid and longer-term antidepressant effects of repeated ketamine infusions in treatment-resistant major depression. Biol Psychiatry 2013;74:250–6.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(05)