Dr. Annette Junker, Wermelskirchen
Lungenkrebs ist mit einem Anteil von 13% an allen neu diagnostizierten Krebserkrankungen eine der häufigsten bösartigen Erkrankungen weltweit und außerdem die häufigste Krebstodesursache.
Histologisch wird zunächst unterschieden zwischen dem kleinzelligen Lungenkarzinom (SLCLC) und dem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). Das mit einem Anteil von rund 85% vorkommende NSCLC wird histologisch wiederum klassifiziert in Adenokarzinome, die mit 48% die häufigste Form des Lungenkrebses ausmachen, und Plattenepithelkarzinome. Letztere entstehen häufig durch Tabakkonsum.
Abgesehen von dieser histologischen Differenzierung ist es seit einigen Jahren auch üblich, eine Mutationsanalyse durchzuführen, da sich gezeigt hat, dass bei einigen Subtypen gewisse Mutationen ein Fortschreiten der Erkrankung fördern. Bei etwa der Hälfte der Adenokarzinome können sogenannte Treiber-Mutationen nachgewiesen werden, die potenziell für die maligne Transformation wichtig sind: KRAS (15–36%), EGFR (15–20%), EML4-ALK (3–5%), BRAF und andere. Für einige dieser Treiber-Mutationen stehen bereits zugelassene zielgerichtete Therapien zur Verfügung (z.B. EGFR-Inhibitoren und Crizotinib bei EML-ALK-Mutationen). Leider existieren aber für sehr viele Patienten noch keine zugelassenen zielgerichteten Therapien. Für diese stehen zwar in der Erstlinienbehandlung mit Platin-haltigen Kombinationstherapien effektive Optionen zur Verfügung, und für die Zweitlinie werden Monotherapien wie Docetaxel oder Pemetrexed empfohlen, aber insgesamt werden damit nur Gesamtüberlebenszeiten von weniger als einem Jahr erreicht. Deshalb besteht ein dringender Bedarf an weiteren wirksamen NSCLC-Therapeutika.
Signifikanter Vorteil bezüglich des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens mit Nintedanib
Der Zulassungsantrag für Nintedanib basiert auf der internationalen, doppelblinden Phase-III-Studie LUME-Lung 1, die Wirksamkeit und Sicherheit von Nintedanib plus Docetaxel bei 1314 Patienten mit lokal fortgeschrittenen/metastasierten oder rezidivierten NSCLC nach Versagen einer Erstlinien-Chemotherapie im Vergleich zu Plazebo plus Docetaxel untersuchte.
Bei allen Patienten zeigte sich eine signifikante Verbesserung des primären Endpunkts (progressionsfreies Überleben, PFS) unter der Nintedanib-Kombination (3,4 vs. 2,7 Monate, p=0,0019). Das Progressionsrisiko war um 21% reduziert. Für die Subgruppe der Adenokarzinom-Patienten konnte zudem durch die Zugabe von Nintedanib zur Standardchemotherapie das Gesamtüberleben von 10,3 auf 12,6 Monate (Hazard-Ratio [HR] 0,83; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,70–0,99; p=0,0359) verlängert werden.
Überraschenderweise zeigten weitere Auswertungen, dass sogar Patienten mit einer außergewöhnlich schlechten Prognose, nämlich solche, deren Progress schon während oder unmittelbar nach der Erstlinientherapie eingesetzt hatte, ebenfalls mit einer Überlebensverlängerung von der Kombinationstherapie aus Nintedanib plus Docetaxel profitierten (Abb. 1).

Abb. 1. LUME-Lung 1: Gesamtüberleben bei Patienten mit Adenokarzinom und Progress unter oder kurz nach Erstlinientherapie (<9 Monate) [Reck et al.]. Selbst Patienten, die äußerst schlecht oder gar nicht auf die Ersttherapie angesprochen haben, also solche mit sehr schlechter Prognose, sprechen deutlich besser auf die Nintedanib-Kombination als auf die Docetaxel-Monotherapie an. Das zeigt sich sowohl in der Überlebensrate nach einem als auch nach zwei Jahren; HR: Hazard-Ratio; KI: Konfidenzintervall
Nintedanib ist ein 3-fach zielgerichteter Angiokinase-Hemmer, der simultan die Signalweiterleitung von Wachstumsfaktoren für drei Rezeptorfamilien blockiert: VEGFR 1–3 (Vascular endothelial growth factor receptors 1–3), PDGFR alpha/beta (Platelet-derived growth factor receptors) sowie FGFR 1–3 (Fibroblast growth factor receptors 1–3). Alle drei Rezeptorfamilien sind von zentraler Bedeutung für die Ausbildung und Erhaltung von neuen Blutgefäßen. Ihre Blockade könnte zu einer Inhibition der Angiogenese zum Tumor führen.
Erhalt der Lebensqualität
Bezüglich der klassenspezifischen Nebenwirkung wie sie für antiangiogene Therapien bekannt sind (Hypertonie, Blutungen oder Thrombosen vom Schweregrad ≥3) gab es im Vergleich zur Plazebo-Gruppe in der Zulassungsstudie keine relevanten Unterschiede, sie wurden also durch Nintedanib nicht vermehrt hervorgerufen. Der Angiogenesehemmer Bevacizumab beispielsweise darf im Vergleich dazu wegen Blutungsgefahr beim Plattenepithelkarzinom nicht eingesetzt werden.
Die Zahl der Studienabbrüche war in den beiden Behandlungsarmen vergleichbar.
Als häufigste unerwünschte Ereignisse im Nintedanib-Arm kam es in der LUME-Lung-1-Studie zu gastrointestinalen Nebenwirkungen sowie reversiblen Leberenzymerhöhungen, die in der Regel aber durch supportive Maßnahmen oder Dosisreduktion gut beherrschbar waren.
Die Lebensqualität, bestimmt mit den Standardfragebögen, war auch in der Nintedanib-Gruppe nicht schlechter als im Vergleichsarm, sodass resümiert werden kann, dass die Verlängerung des Überlebens durch die Nintedanib-Kombination nicht zu Lasten der Lebensqualität geht.
Quellen
Dr. Nicolas Dickgreber, Rheine, Priv.-Doz. Dr. Martin Reck, Großhansdorf; Pressegespräch „Klinischer Bedarf und neue Perspektiven in der Zweitlinientherapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC)“, veranstaltet von Boehringer Ingelheim im Rahmen des Deutschen Krebskongresses (DKK), Berlin, 20. Februar 2014.
Reck M, et al. Docetaxel plus nintedanib versus docetaxel plus placebo in patients with previously treated non-small-cell lung cancer (LUME-Lung 1): a phase 3, double-blind, randomized controlled trial. Lancet Oncol 2014;15:143–55.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(05)