Calcium-Substitution bei Osteoporose


Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko?

Prof. Dr. med. Johann D. Ringe, Westdeutsches Osteoporose Zentrum (WOZ), Klinikum Leverkusen

In den letzten Jahren hat sich die präventive Calcium-Versorgung Gesunder und von Osteoporosenpatienten akut verschlechtert. Ursache ist die Publikation einer Metaanalyse, die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Calcium-Substitution beschrieb [1]. Diese Publikation wurde von der Laienpresse weltweit unkritisch aufgegriffen und durch weitere Mitteilungen der gleichen neuseeländischen Arbeitsgruppe verstärkt. Patienten und behandelnde Ärzte sind verunsichert, die Angst vor bedrohlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist verständlicherweise höher als die Sorge, dass sich eine Osteoporose entwickeln oder verschlechtern könne.

Die Vitamin-D-Versorgung durch Sonnenexposition in den Sommermonaten sowie durch Nahrung oder Supplemente muss in diesem Kontext unbedingt berücksichtigt werden. Wäre eine erhöhte Calcium-Zufuhr ein kardiovaskulärer Risikofaktor, würde Vitamin D diesen Effekt durch verbesserte intestinale Calcium-Resorption verstärken und somit auch einen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen. Dem widersprechen zunehmende Hinweise, dass das D-Hormon neben den genannten klassischen Wirkungen multiple nichtskelettale Effekte hat, unter anderem auch eine Reduktion von kardiovaskulären Erkrankungen [2].

Ist ein erhöhtes „kardiovaskuläres Risiko“ durch Calcium bzw. Calcium plus Vitamin D pathogenetisch plausibel?

Der Volksmund spricht von „Gefäßverkalkung“ und suggeriert damit, dass bei der Arteriosklerose die Verkalkung ganz im Vordergrund steht. Von daher ist es für einen Laien naheliegend, dass Calcium das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen erhöhen könnte. Der medizinische Terminus „Atherosklerose“ dagegen weist daraufhin, dass die Bildung von Lipidplaques pathogenetisch im Vordergrund steht. In alles „nekrotische“ Lipidmaterial werden sekundär Calcium-Salze eingelagert. Das heißt, die Kalzifikation atherosklerotischer Plaques der Gefäßintima ist ein Epiphänomen. Entscheidend ist, dass diese sekundäre Calcium-Einlagerung bei einem normalen Serumcalcium-Spiegel obligat erfolgt und keiner überhöhten Calcium-Spiegel bedarf. Diese treten bei der Calcium-Substitution im Übrigen normalerweise auch gar nicht auf. Insbesondere bei der von uns empfohlenen Aufnahme mit der Nahrung (z.B. täglich während des Frühstücks oder auch des Abendessens) wird das Calcium verzögert resorbiert und der Calcium-Spiegel zeigt allenfalls kleine Fluktuationen im mittleren Normalbereich. Eine Parathormon-Ausschüttung der Nebenschilddrüsen wird verhindert, ein Bruchteil des Calciums wird im Skelett deponiert – der Hauptteil wird renal, ein kleinerer Teil auch fäkal ausgeschieden. Bei terminaler Niereninsuffizienz können jedoch bei ungenügender Überwachung des Calcium/Phosphat-Haushalts in der Tat gelegentlich ausgeprägte Gefäßverkalkungen beobachtet werden.

Es gibt kein überzeugendes Konzept, dass Calcium und/oder Vitamin-D-Supplemente eine Atherosklerose begünstigen. Eine Reihe von Studien zeigt vielmehr, dass eine Unterversorgung mit Vitamin D mit einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht [2–4].

Studien, die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko postulieren

Bereits 2008 hatte eine Arbeitsgruppe aus Neuseeland eine Studie vorgelegt, die über „vascular events“ bei älteren Frauen berichtete, die Calcium-Supplemente erhalten hatten [5]. Kritiker bemängelten, dass der kausale Zusammenhang nicht eindeutig nachgewiesen sei. Als eine Metaanalyse zwei Jahre später ebenfalls zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko unter langzeitiger Calcium-Einnahme kam, fand dieses wichtige Thema weltweit Beachtung [6]. Durch eine Sekundärauswertung von Befunden der bekannten amerikanischen Women’s Health Initiative Studie (WHI) wurde durch die gleiche Arbeitsgruppe die schlechte Nachricht bezüglich Calcium verstärkt [1]. Es kamen aber auch erste kritische Stimmen auf. Der Zusammenhang Calcium – Herz-Kreislauf-Risiko war ein retrospektiv eingebrachter Endpunkt. Metaanalysen gelten nur als wissenschaftlich sauber, wenn sie zu Studienbeginn definierte primäre oder sekundäre Endpunkte untersuchen [7]. Der weltweit bekannteste Calcium-Experte schrieb im British Medical Journal einen Beitrag unter dem Titel „Making too much of a weak case“ [8]. Aber das Kind war in den Brunnen gefallen, weltweit herrschte große Verunsicherung bei Patienten und behandelnden Ärzten. Calcium wurde abgesetzt ohne Diskussion, ob es „unschädliche“ Schwellenwerte für Calcium gäbe und welche Rolle Vitamin D dabei spielte.

Studien, die das Gegenteil zeigen

Dass zum Zeitpunkt dieser aufgeregten Diskussion auch bereits eine saubere randomisiert kontrollierte Studie vorlag, die das Gegenteil zeigte, wurde ignoriert [9]. Diese Studie aus dem benachbarten Australien von 2011 fand in einer kontrollierten, prospektiven 5-Jahres-Beobachtung mit weiteren vier bis fünf Jahren Follow-up kein erhöhtes Risiko für atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Krankheiten. In der Zusammenfassung betonen die Autoren, dass sich eher Hinweise dafür fanden, dass Calcium-Supplemente das Risiko von Krankenhauseinweisungen und die allgemeine Sterblichkeit reduzieren [10]. Weitere Studien folgten, die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko nicht bestätigen konnten. So eine Untersuchung an 20024 Probanden des amerikanischen National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES III), in der speziell keine erhöhte kardiovaskuläre Sterblichkeit bei Calcium-Substitution gefunden wurde [10].

Die neueste und finale Auswertung der oben genannten WHI-Studie – aus der die Neuseeland-Arbeitsgruppe bei einer eingeschränkten Interimsanalyse negative Daten bezüglich Calcium herausgefiltert hatte – beschreibt jetzt nach 11-jähriger Calcium-Vitamin-D-Supplement-Anwendung lapidar keinen Effekt auf die kardiovaskuläre und Gesamtmortalität [11].

Eine Studie aus Schweden befasst sich mit unterschiedlichen Calcium-Dosierungen. Die Autoren beschreiben, dass bei Probanden mit niedriger Calcium-Substitution von 500 mg/Tag weder die kardiovaskuläre noch die Gesamtsterblichkeit erhöht gefunden wurde, während bei zusätzlicher Calcium-Zufuhr über 1400 mg/Tag die Gesamtsterblichkeit erhöht war [12].

Praktische Empfehlungen zur Calcium-Vitamin-D-Substitution

Nach unserer Einschätzung sprechen heute mehr und validere Studien gegen ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei Calcium-Substitution. Die Datenlage ist jedoch insgesamt immer noch widersprüchlich, da einige Studien mit, andere ohne Vitamin-D-Zusatz durchgeführt wurden und die tatsächlichen Calcium-Mengen pro Tag aus Diät und Substitution nicht erfasst werden. Die neueren Studien, die einem erhöhten kardiovaskuläres Risiko oder einer gesteigerten Mortalität widersprechen [12–15], sollten aber zur Kenntnis genommen werden.

Wir beraten Patienten mit Osteopenie oder Osteoporose dahingehend, mit einer ausgewogenen normalen Ernährung ohne Übertreibungen über Milchprodukte 400 bis 500 mg Calcium pro Tag zu sich zu nehmen. Zusätzlich verordnen wir täglich eine Tablette Calcium/Vitamin D plus eine zusätzliche Tablette mit 1000 I.E. Vitamin D. Damit substituieren wir täglich 600 mg Calcium und 1400 I.E. Vitamin D. Regelmäßige Laborkontrollen zeigen uns darunter stabile, normale Calcium-Spiegel im Blut und Urin und 25-OH-Vitamin-D-Werte im Bereich von 25 bis 40 ng/ml. Die zitierte schwedische Publikation [12] bestätigt dieses Konzept und dies ist auch im Einklang mit aktuellen Empfehlungen der ESCEO [13].

Es bleibt zu hoffen, dass weitere sorgfältige prospektive Studien über primäre Endpunkte eine positive Nutzen-Risiko-Konstellation derartiger moderater Calcium/Vitamin-D-Supplemente weiter bestätigen.

Das Literaturverzeichnis finden Sie im Internet www.arzneimitteltherapie.de unter „Archiv“, „Literatur“, Heft 6/2014.

Literatur

1. Bolland MJ, Grey A, Avenell A, Gamble GD, et al. Calcium supplementation with and without vitamin D and risk of cardiovascular events: re-analysis of the Women’s Health Initiative. BMJ 2011;341:2040.

2. Ringe JD, Kipshoven C. Vitamin-D-Unterversorgung in Deutschland. Gefahr für erhöhte Morbidität und Mortalität? MMW Fortschritte der Medizin 2011;IV:115–20.

3. Pilz S, Fahrleitner-Pammer A, Polt G, Grammer TB, et al. Vitamin-D-Mangel. Ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und mehr. Klinikarzt 2010;39:120–8.

4. Young KA, Tarullo D, Gottlieb PA, Satish KG, et al. Vitamin D-deficiency and coronary artery calcification in subjects with type 1 diabetes. Diabetes Care 2011;34:454–8.

5. Bolland MJ, Barber PA, Doughty RN, Mason B, et al. Vascular events in healthy older women receiving calcium supplementation. BMJ 2008;336:262–6

6. Bolland MJ, Avenell A, Baron JA, Grey A, et al. Effect of calcium supplements on risk of myocardial infarction and cardiovascular events: Meta-analysis. BMJ 2010;340:2567.

7. Burckhardt P. Potential negative cardiovascular effects of calcium supplements. Osteoporos Int 2011;22:1645–7.

8. Nordin BEC, Daly RM, Horowitz J, Metcalfe AV. Making too much of as weak case. BMJ 2010;341:4997.

9. Lewis JR, Calver J, Zhu K, Flicker L, et al. Calcium supplementation and the risk of atherosclerotic vascular disease in older women: results of a 5 year RCT and a 4- to 5-year follow-up. J Bone Miner Res 2011;26:35–41.

10. Van Hemelrijck M, Michaelsson K, Lineisen J, Rohrmann S. Calcium intake and serum calcium concentrations in relation to risk of cardiovascular death in NHANES III. PLOS one 2013;8:e60137.

11. Cauley JSA, Chlebowski RT, Wactawaski-Wende J, Robbins JA, et al. Calcium plus vitamin D supplementation and health outcomes five years after active intervention ended: The Women’s Health Initiative. J Womens Health 2013;22:915–29.

12. Michaelsson K, Melhus H, Warensjö Lemming E, Wolk SA, et al. Long term calcium intake and rates of all cause and cardiovascular mortality: community based prospective longitudinal cohort study. BMJ 2013;346:1–13.

13. Rizzoli R, Boonen S, Brandi M-L, Bruyere O, et al. Vitamin D supplementation in elderly or postmenopausal women: a 2013 update of the 2008 recommendations from the European Society for Clinical and Economic Aspects of Osteoporosis and Osteoarthritis (ESCEO). Curr Med Res Opin 2013;29:1–9.

Arzneimitteltherapie 2014; 32(06)