Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen
Jeder vierte bis fünfte Patient mit einer venösen Thromboembolie (VTE) hat einen Tumor. Krebserkrankungen erhöhen das VTE-Risiko deutlich, bei einem Pankreas-, Magen- oder Lungenkarzinom kann das Risiko sogar um das 28-Fache erhöht sein. Die Sterblichkeit von Tumorpatienten mit VTE ist mehr als doppelt so hoch wie die von Tumorpatienten ohne VTE. Darüber hinaus haben Tumorpatienten mit VTE unter Antikoagulanzientherapie ein um den Faktor 2 bis 3 erhöhtes Rezidivrisiko und ein um den Faktor 2 bis 6 erhöhtes Risiko für schwere Blutungen.
Die verschiedenen Leitlinien zur Therapie und Sekundärprophylaxe von VTE und Lungenembolien (LE) bei Tumorpatienten empfehlen für die ersten 5 bis 10 Tage der Therapie und zur Langzeit-Sekundärprävention über mindestens sechs Monate niedermolekulare Heparine (NMH). Neue direkt wirkende orale Antikoagulanzien werden derzeit für die Behandlung von VTE bei Krebspatienten nicht empfohlen, weil es in den bislang vorliegenden Studien keinen leitlinienkonformen Vergleichsarm gibt.
Tinzaparin versus VKA
Derzeit liegen vier Studien vor, in denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit von NMH bei VTE von Krebspatienten überprüft wurde, und zwar die CLOT-Studie mit Dalteparin [1], die CANTHANOX- und ONCENOX-Studien mit Enoxaparin [2, 3] sowie die Main-LITE-Cancer-Studie mit Tinzaparin [4]. In der Main-LITE-Cancer-Studie wurden 200 Krebspatienten mit VTE in 30 kanadischen Zentren randomisiert und offen entweder mit unfraktioniertem Heparin über bis zu sechs Tage gefolgt von Warfarin über 84 Tage oder mit einer einmal täglichen subkutanen Gabe von Tinzaparin über 84 Tage behandelt. Nach einem Jahr waren in der Tinzaparin-Gruppe bei 7% der Patienten und in der UFH-Warfarin-Gruppe bei 16% der Patienten VTE-Rezidive aufgetreten (p=0,044). Damit konnte das relative Risiko für ein VTE-Rezidiv um 56% gesenkt werden. Die Zahl der Blutungen war in beiden Gruppen vergleichbar [4].
Kurz vor dem Abschluss steht die CATCH-Studie (Comparison of acute treatments in cancer haemostasis) [5], eine internationale, multizentrische offene Studie, in die 900 Tumorpatienten mit akuter symptomatischer tiefer Venenthrombose oder Lungenembolie eingeschlossen wurden. Sie erhalten randomisiert über sechs Monate Tinzaparin oder einen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) nach initialer Tinzaparin-Therapie über fünf bis zehn Tage. Der kombinierte primäre Endpunkt der Studie umfasst symptomatische nicht tödliche tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien, tödliche Lungenembolien sowie inzidentelle proximale tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien. Zu den sekundären Endpunkten gehören beispielsweise die Sicherheit, die Gesamtsterblichkeit, die Identifizierung von Risikofaktoren für Rezidive und Blutungen sowie von eventuellen Biomarkern, die Erfassung der Lebensqualität und des Ressourcenverbrauchs. Im November 2013 waren 900 Patienten in die Studie eingeschlossen; mit den Ergebnissen ist im Spätherbst 2014 zu rechnen.
Man erhofft sich, mit den Ergebnissen der Studie ein Reihe noch offener Fragen zur NMH-Behandlung einer VTE bei Krebspatienten beantworten zu können. So gibt es bisher keine Daten zur Lebensqualität und keine gesundheitsökonomische Auswertung. Bislang konnte auch kein Effekt der NMH-Therapie auf das Überleben der Patienten gezeigt werden.
Quellen
Prof. Dr. med. Hanno Ries, Berlin, Prof. Dr. med. Rupert Bauersachs, Darmstadt, ONLEX® – 2. Onkologisches LEO Experten-Meeting, 29. März 2014, Frankfurt am Main
Literatur
1. Lee AY, et al. N Engl J Med 2003;349:146–53.
2. Meyer G, et al. Arch Intern Med 2002;162:1729–35.
3. Deitcher SR, et al. Clin Appl Thromb Hemost 2006;12:389–96.
4. Hull RD, et al. Am J Med 2006;119:1062–72.
5. Lee AY, et al. BMC Cancer 2013;13:284.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(06)